Wie Polens Kirche immer mehr Vertrauen und Einfluss verliert
Von einer Säkularisierungsagenda und einer starken Unterstützung durch die Europäische Union ist die Rede, wenn die polnische Kirche über die neue Regierung von Donald Tusk spricht. Man tut sich schwer mit den neuen Machthabern. Die meisten Bischöfe schweigen, während andere deutlich machen, dass sie den Regierungswechsel und die Ankündigungen zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder zur Liberalisierung der Abtreibung nicht akzeptieren – und wohl auch in naher Zukunft nicht akzeptieren werden.
Ein Paradebeispiel dafür ist der jüngste Hungerstreik zweier ehemaliger Minister der früheren Regierungspartei PiS, die wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden. Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, schaltete sich ein und bot an, sich für ihre Freilassung einzusetzen. Sein Brief blieb allerdings unbeantwortet, während es von einigen katholischen Publizisten und Priestern Kritik gab. Inzwischen wurden die beiden Politiker von Staatspräsident Andrzej Duda begnadigt. Nach Angaben der Polnischen Bischofskonferenz hat Gadecki keine weiteren Schritte mehr unternommen.
Weitere bischöfliche Interventionen scheinen jedoch erfolglos zu bleiben, wie der Streit um das neue Gesetz zur künstlichen Befruchtung zeigt. Die neue Mitte-Links-Regierung unter Donald Tusk hat deutlich gemacht, dass sie eine andere Politik gegenüber der Kirche verfolgt und sich nicht beeinflussen lässt. Neben der Liberalisierung von Abtreibung und der Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften will sie auch die Kirchenfinanzierung reformieren. Der so genannte Kirchenfonds, aus dem der Staat Renten und andere Sozialversicherungen für Geistliche bezahlt, soll abgeschafft und durch ein freiwilliges Spendensystem ersetzt werden. Allerdings macht dieser Fonds nur einen kleinen Teil der gesamten staatlichen Finanzierung der Kirche in Polen aus, so dass es sich eher um eine symbolische als um eine grundlegende Änderung handelt, sagt Ignacy Dudkiewicz, Philosoph, Publizist und Chefredakteur der polnischen katholischen Zeitschrift "Kontakt" gegenüber katholisch.de.
Dennoch werde die Kirche versuchen, mit der neuen Tusk-Regierung zu kooperieren, vor allem, um eigene Interessen zu verfolgen, vermutet Dudkiewicz. "Man darf nicht vergessen, dass die polnischen Bischöfe jahrzehntelang darin geübt waren, jeder Regierung entgegenzukommen, vor allem wenn es um ihre eigenen Interessen ging". Dass dies aktuell jedoch schwierig werden könnte, liegt auf der Hand. Prominente Kirchenvertreter wie der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski hatten die PiS-Regierung noch vorbehaltlos unterstützt und Episkopat und Gläubige dazu gebracht, der kirchennahen Partei den Rücken zu stärken.
Mit medialer Unterstützung
Dies geschah vor allem mithilfe von Tadeusz Rydzyk. Der einflussreiche Priester hat ein Medienimperium mit landesweiter Reichweite aufgebaut. Ihm wird ein außerordentliches Talent im Eintreiben von Spendengeldern nachgesagt. Medienberichten zufolge soll der Geistliche für die mit seinem Medienimperium verbundene Stiftung "Lux Veritatis" Fördergelder in Millionenhöhe aus dem Fonds des Justizministeriums erhalten haben. Die Rede ist von mehr als 80 Millionen Euro seit dem Regierungsantritt der PiS. Nach Angaben des Justizministeriums gegenüber dem polnischen Internetportal "Tvn24" soll Rydzyks Stiftung für den Zeitraum zwischen 2015 und 2023 rund 10 Millionen Euro erhalten haben. Weitere 100.000 Euro zahlte die PiS kürzlich für das Jahr 2024 und die Übertragung von Gottesdiensten auf "Radio Maryja" und dem Fernsehsender "Telewizja Trwam", beides Medien mit überdiözesaner Struktur und großem Einfluss auf die polnischen Katholiken.
Als Ordenspriester ist der Redemptorist Rydzyk den Bischöfen nicht direkt unterstellt, genießt aber bei einigen wichtigen Kirchenvertretern und Politikern des konservativen Flügels Ansehen und Vertrauen. Einige habe er vor Jahren im Wahlkampf unterstützt, indem er ihnen in seinen Medien eine landesweite Plattform bot, sagt Dudkiewicz. Auf diese Weise habe er sich über die Jahre ihre Dankbarkeit erworben – vor allem in Form von Spenden und Investitionen, die auch der Kirche zugutekamen. Dies löste einen regelrechten Wettkampf konservativer Politiker, vor allem der PiS-Partei, um seine Gunst aus. Auch Vertreter des Episkopats rissen sich um einen Sendeplatz, vor allem aber jene, die Rydzyks Ansichten in politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Fragen teilen. Er selbst verfolge eine antimodernistische, konservativ-nationalistische Agenda, die dem Westen, der Europäischen Union, dem Liberalismus und jeglichem kulturellen Wandel skeptisch gegenüberstehe, analysiert Dudkiewicz. Dies zeige sich deutlich in der traditionalistischen und konservativen Frömmigkeit, die Rydzyk durch seine Medien verbreite.
Aus diesem Einfluss seien unter anderem "einige umstrittene Initiativen wie die 'Wojownicy Maryi' entstanden", sagt ein gut informierter polnischer Geistlicher gegenüber katholisch.de. Die "Krieger Mariens", wie sie sich auf Deutsch nennen, hätten in Polen rund 60 Ableger mit mehr als 5.000 Mitgliedern und expandierten in zehn weitere europäische Länder. Die Bewegung habe sich jedoch zusehends radikalisiert und sei bisweilen sogar ins Sektenhafte abgerutscht. Charakteristisch für die Gruppierung sind Protestaktionen auf den Hauptplätzen europäischer Städte, meist kniend und Rosenkranz betend, gegen LGBTQ-Rechte und muslimische Flüchtlinge, für ein Abtreibungsverbot und gegen andere liberale Ideen des Westens.
Die Bewegung hat sich rasant verbreitet. Einer der Gründe dafür seien die politischen und kirchlichen Strukturen, auch wenn es keine direkten Verbindungen zu Rydzyk oder den Bischöfen gebe. Der polnische Episkopat habe in einem Dokument sogar einzelne Elemente der Bewegung kritisiert, betont Dudkiewicz. "Natürlich haben sich die Bischöfe wie immer zu spät zum Handeln entschlossen, so dass ihr Einfluss auf diese und ähnliche Bewegungen sehr gering ist", sagt er. "Vielen Mitgliedern dieser Bewegungen ist es egal, was die Bischöfe denken."
Unverständnis, Entwicklungen zu verstehen
Die polnischen Bischöfe stehen damit vor einem doppelten Problem: Einerseits eine scheinbar unkontrollierbare Bewegung, die das Episkopat offenbar ignoriert, andererseits eine Gesellschaft, die zunehmend säkularer wird und sich im Prozess von ideologischen und religiösen Veränderungen befindet. Immer weniger junge Menschen besuchen Gottesdienste, auch die Berufungen gehen zurück. Ähnlich etwa die Ansichten zu LGBTQ-Rechten und Abtreibungen, die diametral anders aussehen, als die der Kirche.
Der starke Einfluss und die Verflechtung der Kirche mit der PiS-Partei sowie die von Bischöfen und kirchennahen Medien geschürte Skepsis gegenüber kulturellen Veränderungen haben in der Vergangenheit bis heute zu einem Vertrauensverlust geführt. Dudkiewicz sieht auch andere Probleme der Kirche, wie die unzureichende Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs oder intransparente Finanzstrukturen. Diese fielen nun stärker ins Gewicht, da die Regierung der Kirche nicht mehr so positiv gegenüber stehe wie früher.
Auch auf kirchlicher Ebene zeigt sich ein gewisses Unverständnis, Entwicklungen zu verstehen – vor allem nachdem das Glaubensdikasterium die Segnungserklärung "Fiducia supplicans" veröffentlicht und darin die Segnung homosexueller und wiederverheirateter Paare unter bestimmten Bedingungen empfohlen hat. Die polnischen Bischöfe lehnten das Dokument ab und betonten, dass sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe "immer ein Verstoß gegen den Willen Gottes" seien. Aus diesem Grund würden außereheliche und irreguläre Beziehungen, insbesondere gleichgeschlechtliche, nicht gesegnet. Dabei sprach der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz noch zu Beginn des Jahres über eine "Offenheit für den Dialog und die Suche nach Antworten auf die Fragen der Gesellschaft". Es hieß, man müsse auf die Bedürfnisse der Gesellschaft eingehen. Daher werden die kommenden Monate zeigen, wie die Kirche in Polen mit den neuen politischen, gesellschaftlichen und vor allem kirchlichen Veränderungen und Herausforderungen umgehen wird.