Künftiger Kardinal: Weltsynode stärkt Vielfalt und Dezentralisierung
Der Belgrader Erzbischof, Ladislav Nemet, der unter anderem Vizepräsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) ist, gibt Einblicke in die Ernennung zum ersten Kardinal in der katholischen Kirche Serbiens. Ebenso spricht er im Interview mit katholisch.de über seine Erfahrungen bei der Weltsynode und die Herausforderung, eine neue Kultur des Zuhörens zu schaffen. Nemet geht unter anderem auch darauf ein, wie die Kirche dezentral auf Fragen – etwa zur Rolle der Frau – eingehen kann, ohne die Einheit zu gefährden.
Frage: Herr Erzbischof, Sie sind der erste Kardinal in der Geschichte der Kirche Serbiens. Wie nehmen Sie das wahr?
Nemet: Es war sicherlich eine große Überraschung für mich, und ich denke auch für meine Mitarbeiter und die Gläubigen, denn es war nicht vorhersehbar. Für die Kirche in Serbien ist es auch etwas überraschend, dass der Papst eine solche Entscheidung getroffen hat, auch wegen ihrer Größe.
Frage: Der Papst hat die Prozedur bei der Ernennung von Kardinälen etwas vereinfacht…
Nemet: Früher war es gewöhnlich Tradition, dass die Nuntien die Kandidaten vorher fragten, ob sie eine Ernennung zum Kardinal annehmen würden. Papst Franziskus macht das nicht mehr, er entscheidet einfach. So habe ich auch erst kurz nach der Kundgebung beim Sonntagsangelus am Mittag, dem 6. Oktober erfahren, dass er mich zum Kardinal ernannt hat. Freunde haben angerufen und mir gratuliert. Das war schon interessant, denn die ersten Glückwünsche kamen, als ich noch gar nichts wusste.
„Ich habe erst kurz nach Mittag erfahren, dass Papst Franziskus mich zum Kardinal ernannt hat, und da haben meine Freunde angefangen, mich anzurufen und mir zu gratulieren.“
Frage: Die Ernennung erfolgte während der Weltsynode. Sie haben an beiden Sitzungen im Vatikan teilgenommen. Wie haben Sie diese wahrgenommen und was war der Unterschied zwischen den Sitzungsperioden?
Nemet: Es gab einen grundsätzlichen Unterschied, der im letzten Jahr schon oft erwähnt wurde. Die Anwesenheit der Laien, der Frauen hat uns sehr gut getan. Auch die Arbeit an den runden Tischen hat die Gesprächsatmosphäre völlig verändert. Runde Tische von 12 Personen, mit einem Kardinal, mehreren Bischöfen, mehreren Laien und auch mehreren Frauen, und das aus ganz unterschiedlichen Kontexten. Das war wirklich katholisch.
Frage: Inwiefern?
Nemet: Die Schönheit der Weltkirche war erfahrbar. Wenn ich die beiden Sitzungsperioden vergleiche, dann war das in diesem Jahr viel deutlicher, weil wir letztes Jahr am Anfang einer Reise standen. Es war das erste Mal, dass wir solche Diskussionen führten. Wir lernten die anderen Delegierten erst kennen. Als wir dieses Jahr nach Rom zurückkamen, sahen wir viele bekannte Gesichter, Menschen, mit denen wir letztes Jahr an einem Tisch gesessen hatten und die wir mochten, unabhängig davon, was sie dachten oder nicht dachten. Wir waren plötzlich wie unter Freunden, wenn ich das so sagen darf. Das ist ein großer Gewinn, nicht nur für mich persönlich, sondern für die ganze Kirche. Und die Kirche hat der ganzen Welt gezeigt, dass Vertreter von 1,3 Milliarden Katholiken auf der Welt vier Wochen lang miteinander reden können, und zwar ohne großen Streit, trotz aller Unterschiede.
Frage: Auch andere Teilnehmer wie der US-Jesuit James Martin sprachen von "Freundschaft". Macht es das leichter, schwierige Themen zu diskutieren?
Nemet: Wenn man zum ersten Mal mit jemandem spricht, der eine ganz andere Meinung hat, dann prüft man zuerst, ob diese Person wirklich so denkt, ob sie authentisch ist und ob es Argumente für ihre Meinung gibt. Andere Meinungen kommen ja nicht aus dem Nichts, sondern von Menschen, die auch einen tiefen Glauben an Gott haben - und die hoffen, dass die Kirche ihre Aufgabe in dieser Gesellschaft erfüllen kann. Diese zwischenmenschliche Komponente hat uns sehr geholfen und Vertrauen aufgebaut, gemeinsame Ziele und unterschiedliche Wege aufgezeigt, die genauso katholisch sind wie meine Überzeugungen. Wir kamen schließlich an den Punkt, an dem wir über alle Themen sprechen konnten, ohne dass es zu Blockaden kam. Es war schön zu sehen, wie die Menschen einander zugehört haben. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir uns gegenseitig besser verstehen und schätzen gelernt haben.
Frage: Was nehmen Sie für sich von der Synode mit?
Nemet: Es ist die "neue" Mentalität des Zuhörens, nicht so sehr die Gesprächsmethode, die wir in Rom praktiziert haben. Für mich ist es wichtig, mit den Menschen zusammenzukommen, Zeit zu haben und ihnen zuzuhören. Es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Menschen die Angst vor Bischöfen und Priestern abbauen und mit uns offen und ehrlich über ihre Probleme sprechen können. Für uns Priester und Bischöfe geht es darum, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen zu haben und sich in das Leben des anderen hineinzuversetzen. Es geht nicht darum, zu schweigen, wenn andere reden, sondern zu spüren, warum es wichtig ist und was Gott mir durch diesen anderen Menschen sagen will. Der nächste Schritt ist schließlich, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Über diesen Prozess der Entscheidungsfindung haben wir viel gesprochen und gelernt. Dazu gehört auch Transparenz. Wir Bischöfe und Priester müssen bereit sein, klar zu sprechen und transparent zu machen, was wir tun und warum.
Frage: Dazu gehört dann auch die Rechenschaftspflicht kirchlicher Autoritäten?
Nemet: Wir sollten uns daran gewöhnen, dass wir, allen voran der Bischof, unseren Gläubigen Rechenschaft schuldig sind. Es geht also auch darum, immer wieder zu fragen und zu prüfen, zu evaluieren, ob eine Entscheidung gut war, ob sie uns geholfen hat, ob eine Entscheidung den Menschen in unserem Land mehr Freude und Hoffnung gebracht hat, ob unsere Präsenz als Kirche in der Gesellschaft und das, wofür wir stehen, deutlicher geworden ist. In einer synodalen Kirche geht es nicht mehr darum, dass es dem Bischof gefällt. Er ist den Gläubigen gegenüber Rechenschaft schuldig. Hier helfen uns die synodalen Gremien, die wir sicher auch in Serbien noch entwickeln müssen und wo ich als Metropolitanerzbischof sehr genau hinschauen muss. Wo werden Menschen verletzt, ausgegrenzt, wo werden Entscheidungen intransparent getroffen, wo wird die Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk von Klerikern verweigert. Das alles sind Türen zum Klerikalismus - und diese Zeit ist hoffentlich vorbei.
„Auf allen Kontinenten stellt sich die Frage nach der Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Aber sie wird in unterschiedlichen Kontexten auf unterschiedliche Weise verstanden und impliziert.“
Frage: Da zu bestimmten Themen wie der Rolle der Frau keine Entscheidungen getroffen wurden: Was wollte der Papst eigentlich mit dieser Synode erreichen?
Nemet: Nun, ich denke, dass die Synode zu einem Ergebnis gekommen ist, das es theoretisch schon vorher in kirchlichen Dokumenten gab, dass jetzt aber konkrete Gestalt angenommen hat. Ich benutze hier das Wort Dezentralisierung. Lassen Sie mich das klarstellen: Auf allen Kontinenten stellt sich die Frage nach der Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Aber sie wird in unterschiedlichen Kontexten auf unterschiedliche Weise verstanden und impliziert. Ich komme aus einem Land, in dem orthodoxe Christen die Mehrheit bilden, in dem Frauen zum Beispiel in der Liturgie wenig bis gar nicht präsent sind. In der katholischen Kirche ist das ganz anders.
Frage: Aber nicht überall…
Nemet: Aber wir werden eine andere Aufgabe als Kirche haben, zum Beispiel in Deutschland oder in der Schweiz, wo die Frauen viel stärker eingebunden sind. Dezentralisierung bedeutet also, dass jede Ortskirche sich mit ihrer Situation, ihrer Kultur und ihren Bedürfnissen auseinandersetzt, wo den Frauen mehr gegeben werden kann, damit wirklich erfahrbar wird, dass aus der Taufe die gleiche Würde erwächst. Wenn wir dem folgen, wird die Rolle der Frau in der Kirche in Afrika, in Asien, in einigen arabischen Ländern, vielleicht auch in Nordamerika oder Australien eine ganz andere sein. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass die Kirche noch reicher an unterschiedlichen Ausdrucksformen sein wird.
Frage: Wie etwa der Ständige Diakonat?
Nemet: Der Ständige Diakonat ist ein gutes Beispiel. In Europa und Nordamerika ist er akzeptiert, anderswo nicht. In vielen afrikanischen Ländern und asiatischen Ortskirchen wurde ein solcher Diakonat nicht eingeführt. Deshalb betone ich nochmals die Dezentralisierung. Die Kirche wird reich sein an allen möglichen Dimensionen.
Frage: Und doch muss Rom darüber entscheiden?
Nemet: Ja, egal wie bunt die Kirche wird, Rom ist auch in diesem Sinne das Prinzip der Einheit in der katholischen Kirche. Es muss darauf geachtet werden, dass die Vielfalt nicht den Rahmen der Kirche sprengt. Hier garantiert Rom die Einheit der katholischen Kirche.
Frage: Ein anderes Beispiel ist das Segensdokument "Fiducia supplicans"...
Nemet: Die Reaktionen auf das Segensdokument des Glaubensdikasteriums sind ein gutes Beispiel für die Vielfalt. Einige afrikanische Ortskirchen haben das Dokument abgelehnt, bleiben aber in Gemeinschaft mit dem Papst. Sie haben ihre Haltung klar kommuniziert, und auf dieser Basis hat es einen Austausch gegeben, den der Vatikan akzeptiert hat. Wir wissen auch, dass in vielen Ortskirchen weltweit Segnungen für Paare in gleichgeschlechtlichen Beziehungen praktiziert werden. Natürlich dürfen kulturelle Spezifika nicht missbraucht und instrumentalisiert werden, wenn ein Bischof oder eine Bischofskonferenz etwas nicht einführen will. Deshalb haben wir die Entscheidungsprozesse jetzt viel breiter und bewusster angelegt, mit Beteiligung vieler, nicht nur der Bischöfe. Die Gläubigen müssen gefragt werden.
Frage: Was sagen Sie zum Abschlussdokument der Weltsynode?
Nemet: Der Heilige Vater hat uns alle überrascht, als er das Dokument angenommen hat. Es ist eine historische Entscheidung. Nach drei Jahren und zwei großen Versammlungen in Rom wird ein einziges Dokument vorgelegt, das angenommen und in das Lehramt der Kirche aufgenommen wird. Ich denke, es ist eine einmalige Sache und eine einmalige Erfahrung, dass eine so große Kirche mit so vielen Völkern, Sprachen und Kulturen ein solches Dokument vorlegen kann. Mit 60 Seiten und 152 Paragrafen ist es ziemlich lang, aber wenn man bedenkt, wie viele Katholiken es gibt, ist es doch ein sehr kurzes Dokument. Überraschenderweise sind aber die meisten damit zufrieden.
„Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass die Kirche noch reicher an unterschiedlichen Ausdrucksformen sein wird.“
Frage: Stichwort Zufriedenheit: Nach Ihrer Ernennung haben konservative Strömungen behauptet, der Papst wolle mit Ihrer Kardinalserhebung die Heiligsprechung des kroatischen Kardinals Alojzije Stepinac verhindern. Wie sehen Sie das?
Nemet: Natürlich hat meine Kardinalserhebung in manchen Köpfen nationalistische, chauvinistische Gedanken geweckt. Wir haben das in einigen Medien sowohl in Serbien als auch in Kroatien gesehen. Das waren Reaktionen, die überhaupt nicht dem katholischen Bewusstsein entsprechen. Die Tatsache, dass konservative Strömungen in Serbien und Kroatien in gleicher Weise reagiert haben, beweist für mich, dass es weder hier noch dort rational ist. Man kann die Ernennung lesen wie man will, aber es ist klar, dass es die Absicht des Papstes war, die Kirche in Serbien zu stärken. Wir sind eine kleine Kirche mit 300.000 Katholiken. Für uns ist das ein besonderes Zeichen.