Zum ersten Mal: Die Kirche feiert den Sonntag des Wortes Gottes
Eigentlich ist jeder Sonntag Bibelsonntag. Aus dem Gottesdienst ist die Bibel nämlich nicht wegzudenken. In der Messe sind zwei Lesungen aus dem Alten und dem Neuen Testament, ein Psalm, eine Lesung aus dem Evangelium und eine Predigt, die die Schrift auslegt, vorgesehen. Dennoch gibt es im Kirchenjahr einen eigenen Sonntag, der ausdrücklich der Schrift gewidmet ist. Erstmals 2020 wird der von Papst Franziskus im Jahr 2019 eingeführte "Sonntag des Wortes Gottes" begangen. An diesem Tag soll sich die Kirche besonders "der Feier, der Betrachtung der Verbreitung des Wortes Gottes widmen".
Der Umgang der Kirche mit der Heiligen Schrift ist je nach Epoche sehr unterschiedlich gewesen. In der Anfangszeit des Christentums hatte die Schrift eine hohe Bedeutung. Darauf weist auch der Papst in dem Schreiben hin, in dem er die Ergänzung des kirchlichen Kalenders um einen Bibelsonntag verfügt hatte: "Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen", zitiert Franziskus den heiligen Bibelübersetzer Hieronymus. Die Anfangsworte des Schreibens stammen aus der Bibel: Mit "Aperuit illis" beginnt der Vers aus dem Lukasevangelium, der übersetzt "Darauf öffnete er ihren Sinn für das Verständnis der Schriften" lautet. Christus selbst hat vor seiner Himmelfahrt ein letztes Mal den Jüngern die Bedeutung der Schrift vor Augen geführt.
Das Konzil betont den Stellenwert der Bibel neu
Zwischenzeitlich trat die Bibel im Feiern der Kirche zurück; der Schwerpunkt der Messe lag auf der Wandlung, gelesen wurden nur wenige ausgewählte Stellen, und die auf Latein. In der katholischen Kirche hat die Auseinandersetzung mit protestantischer Theologie, die Liturgische Bewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts und schließlich verbindlich für die ganze Kirche das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) den hohen Stellenwert der Schrift für den Gottesdienst und alle Christen wieder in Erinnerung gerufen. "Bei den heiligen Feiern soll die Schriftlesung reicher, mannigfaltiger und passender ausgestaltet werden", heißt es in der Liturgiekonstitution des Konzils. Der "Tisch des Wortes" sollte reicher gedeckt werden, die ganze Fülle aus Altem und Neuem Testament im Gottesdienst zur Sprache kommen. Mit der neuen Leseordnung ist ein gutes Drittel der biblischen Verse im Laufe des dreijährigen Zyklus zu hören.
Spätestens seit der Liturgiereform kann man also davon sprechen, dass jeder Sonntag auch ein Sonntag des göttlichen Wortes ist. Die Einführung eines eigenen Bibelsonntags ist daher in der katholischen Welt nicht nur auf Begeisterung gestoßen. Liturgiewissenschaftler wie Markus Tymister, der in Rom am Päpstlichen Liturgischen Institut unterrichtet, wies etwa darauf hin, dass zum Sonntag seit alters her sowohl das Hören auf das Wort Gottes wie die Feier der Eucharistie gehört. So wie es keinen "Sonntag der Eucharistie" brauche, brauche es auch keinen "Extra-Sonntag" für die Schrift.
In Deutschland ein Traditionstermin für die Ökumene
Ganz neu ist die Idee eines Bibelsonntags nicht. Papst Franziskus weist selbst darauf hin, dass er den Tag aufgrund vieler Bitten eingeführt hätte, "die vom Volk Gottes an mich herangetragen wurden, damit der Sonntag des Wortes Gottes in der ganzen Kirche übereinstimmend gefeiert werden kann". Er weist zudem auf das ökumenische Potential des neuen Tages hin, "denn die Heilige Schrift zeigt denen, die auf sie hören, den Weg, der beschritten werden muss, um zu einer authentischen und soliden Einheit zu gelangen". Der gewählte Termin fällt in der Regel in die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen, die jedes Jahr vom 18. bis 25. Januar begangen wird.
In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten einen Bibelsonntag – und zwar von vornherein ökumenisch. Seit 1976 in Baden-Württemberg und ab 1982 in ganz Deutschland feiert die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen den letzten Sonntag im Januar als Ökumenischen Bibelsonntag, an dem die Bibel als das alle Christen verbindende Buch ins Zentrum gerückt werden soll.
2020, am ersten katholischen Bibelsonntag, fallen der katholische Termin am 3. Sonntag im Jahreskreis und der ökumenische am letzten Januar-Sonntag zufällig zusammen. 2021 ist das schon nicht mehr der Fall – damit nicht ausgerechnet der Bibelsonntag zum ökumenischen Stolperstein wird, hat daher die Deutsche Bischofskonferenz für ihren Bereich festgelegt, dass abweichend von der Weltkirche der Sonntag des Worts Gottes in Deutschland am angestammten Termin des ökumenischen Bibelsonntags gefeiert wird. Im liturgischen Kalender ist der Sonntag des Wortes Gottes ohnehin ein normaler Sonntag im Jahreskreis. Der Tag hat keinen eigenen liturgischen Rang, er ist weder Gedenktag noch Fest, sondern eher, wie Tymister es nennt, ein "Motto-Sonntag".
Bibeln inthronisieren, Lektoren beauftragen – so wird gefeiert
Wie der Tag gefeiert wird, ist nicht festgelegt. Bischöfe könnten, so schlägt es der Papst vor, an diesem Tag Lektoren beauftragen, Pfarrer das Lesen, Vertiefen und Beten der Heiligen Schrift besonders empfehlen. Während der Messe soll die Bibel besonders hervorgehoben werden, etwa indem man sie "während der Eucharistiefeier inthronisiert".
Das soll auch beim ersten päpstlichen Bibel-Sonntag passieren, bei dem während der Papst-Messe im Petersdom ein Lektionar prominent aufgestellt wird, das während der Sitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils präsent war. Anschließend gibt der Papst 40 Bibeln an 40 Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen, darunter Priester, Polizisten, Lehrer, Journalisten, Gefängnisinsassen und viele andere.
So soll der Bibelsonntag in das Leben aller Christen hineinwirken: "Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten", zitiert Papst Franziskus aus Deuteronomium am Ende von "Aperuit illis".