Der Kreuzweg vor dem Hintergrund der Corona-Krise – Station 1

"Die Geißelung": Was wir aus dem Anschauen seines Leidens lernen können

Veröffentlicht am 04.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Corona als die Geißelung der Gegenwart zu betrachten – das ist ein naheliegender Gedanke bei der Betrachtung der ersten Kreuzwegstation. Doch in der Krise geht es um mehr. Gott hofft auf Menschen vom Format Jesu. Und die finden sich an vielen Orten.

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"Das Kreuz wie eine Krone tragen", war das Motto von Edith Stein, also "wie eine Corona". Die "vom Kreuz Gesegnete", so ihr Ordensname, geht mitleidend für ihr Volk ins KZ, wo Peitsche und Ochsenziemer Menschen niederschlagen. Bis dorthin, wo bitter die Geißel des Unrechts herrscht, folgt sie dem mit-leidenden Christus auf seinem krönenden Osterweg. Er musste ja "mit lautem Schreien und unter Tränen" selbst erst lernen, was es heißt, zu Gott zu gehören (Hebr 5,7ff). Nicht zufällig ist das Osterbild von Christus an der Geißelsäule, das so in der Bibel gar nicht vorkommt, im Herzen und Hoffen der Christenheit in den Mittelpunkt gerückt: Teresa von Avila zum Beispiel verdankt ihm ihre Emanzipation. Im Anschauen Seines Leidens kann sie mit ihren eigenen Problemen neu umgehen und findet ihren Weg; sie wird zur Kundschafterin von Gottes heilender Gegenwart der Reform(ation). Im Hinschauen auf die "Not Gottes" - so nannte man den gegeißelten Schmerzensmann – verwandelt sich die eigene Leidensgeschichte und die der Menschheit. Das vorhandene Leiden wird nicht wegzaubert, es wird auch nicht verklärt: es wird in der Gemeinschaft mit Jesu Passion durchgeschmerzt und so verwandelt. Und alles wird getan, um der "Kraft der Auferstehung" (Phil 3,24) heilend Raum zu geben schon jetzt. Passion heißt hier beides: Leiden und Leidenschaft – und zwar für Gott und seinen Lebenswillen in allem.

Die Schöpfung atmet auf

Nicht zufällig spricht man von den großen Infektionskrankheiten als Geißeln der Menschheit. Will das Coronavirus, diese Geißel, uns neu daran erinnern, wer Herr im Lebenshaus dieser Erde ist? Jedenfalls werden die Grenzen des Wachstums schmerzlich spürbar. Befreit von der Dreckschleuder Mensch kann die Schöpfung aufatmen. Und deutlich wird die kränkende Tatsache, dass es jenseits von Eden kein Menschenrecht auf leidfreies, gar unsterbliches Leben gibt. Wie viel wäre schon gewonnen, wir könnten der hausgemachten Gewalt ins Gesicht schauen, mit der wir uns und andere leiden machen. Muss es nicht zu denken geben, dass just eine vom Aussterben bedrohte Tierart uns das Coronavirus eingebrockt hat, als wollte sie sich rächen nach dem Motto "Geißel zu Geißel"?

Aber schauen wir nicht fixiert auf Corona, schauen wir auf den gegeißelten Christus und Gottes Not mit Mensch und Welt. Endlich rückt da der benachteiligte, der hilfsbedürftige, der gegeißelte Mitmensch in den Blick - und auch das ungeheure Potential an Solidarität und Kreativität im Helfen und Forschen. Im Zentrum steht Gottes Schöpfungsversprechen auf Leben und seine österliche Bestätigung für immer: was in Wahrheit schon gut ist, soll und wird überall auch gut werden – zwar vorläufig noch, aber definitiv. Leid ist deshalb niemals ein Wert an sich, und warum es diese verdammten Seuchen überhaupt geben muss, bleibt als offene Frage und laute Klage. Im Bild des gegeißelten Christus freilich schaut Gott auch uns an mit der Gegenfrage und -klage: "Adam/Eva, wo bist du?" Er hofft auf Menschen im Format Jesu, in der Haltung von Edith Stein und Teresa, von Ruth Pfau und von dem Pfleger oder der Pflegerin im Seniorenheim.

Von Gotthard Fuchs

Der Autor

Gotthard Fuchs (geboren 1938) ist katholischer Priester und Publizist. In den 1980er und 1990er Jahren war er Direktor der Katholischen Akademie Rabanus Maurus der Diözesen Limburg, Mainz und Fulda. Er wirkte auch als ehrenamtlicher Burgpfarrer auf Burg Rothenfels. Er lebt in Wiesbaden.

Projekt "Denkbares"

Bis Karfreitag schreiben sieben Autoren auf katholisch.de jeweils einen Text über eine Station des Kreuzwegs - betrachtet vor dem Hintergrund der Corona-Krise. Dieser Kreuzweg orientiert sich an der Tradition des Leidenswegs Jesu mit sieben Stationen. Die Idee ist im Rahmen des kulturellen Diakonieprojekts "Denkbares. Begegnungen mit Menschen und Büchern" des Bistums Limburg und des Lehrstuhls Philosophie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt entstanden. In dieser Gesprächsreihe diskutieren Autoren aus Philosophie, Theologie und Literatur miteinander.