Serie: Große Theologen der Kirchengeschichte – Teil 6

Johann Adam Möhler: Wegbereiter der ökumenischen Theologie

Veröffentlicht am 06.05.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Einheit der Kirche war sein Lebensthema: Johann Adam Möhlers Werk stellte einen bedeutenden Schritt in der ökumenischen Bewegung dar. Vor 225 Jahren kam der Theologe, der die Kirche in erster Linie als Gemeinschaft von Glaubenden sah, zur Welt.

  • Teilen:

Am 6. Mai 1796 wurde Johann Adam Möhler in Igersheim, einer Gemeinde im fränkisch geprägten Nordosten des heutigen Baden-Württembergs, geboren. Die Familie war kinderreich, der Vater hatte sich als Bäcker und Gastwirt verdingt, die Mutter war die Schwester eines Domkapitulars. Möhler besuchte zunächst die Schule in Mergentheim, bevor es ihn zum Studium der Philosophie und Theologie nach Ellwangen zog. Später wurde die Fakultät nach Tübingen verlegt, wo Möhler sein Studium abschloss. Nach dem Eintritt ins Wilhelmsstift empfing er 1819 das Sakrament der Priesterweihe. Schon kurze Zeit später wurde ihm ein Lehrauftrag angeboten, den er am Wilhelmsstift wahrnehmen sollte. Dabei war Möhler als Nachfolger des Professors für Kirchengeschichte, Georg Leonhard Dresch, angedacht. Möhler jedoch lehnte mit der Begründung, sich zunächst weiterhin dem Studium widmen zu wollen, ab.

Eine Studienreise, die von König Wilhelm I. von Württemberg finanziert wurde, führte Möhler unter anderem nach Würzburg, Bamberg und Coburg, aber auch nach Berlin, Wien und München. Auf dieser Reise gewinnt Möhler immer mehr an Kontakt mit der protestantischen Theologie. Er besuchte nicht nur die Vorlesungen bekannter protestantischer Theologen, sondern wurde immer mehr von einem Bestreben nach der Erlangung der Einheit der Kirche erfüllt. Ein Thema, das Möhler fortan während seiner gesamten akademischen Laufbahn begleiten sollte.

Neurezeption der Kirchenväter

Im Sommer 1823 kehrte Möhler nach Tübingen zurück, wo er zunächst Kirchengeschichte und kanonisches Recht lehrte. Freilich blieben vor allem die Kirchenväter ein zentrales Thema in seinen Vorlesungen; ihre Bedeutung für die gesamte Kirchengeschichte hatte Möhler schon vor seiner Studienreise in Tübingen entdeckt. Schon 1825 veröffentlichte Möhler seine erste größere Schrift mit dem Titel "Die Einheit in der Kirche". Das Buch stieß auf ein geteiltes Echo: Während es bei manchen mit Begeisterungsstürmen angenommen wurde, blickten andere mit großer Skepsis auf das Werk des Tübinger Theologieprofessors. Lob erhielt Möhler vor allem deshalb, weil er sich von der scholastischen Methode der Theologie abgewandt hatte und die Schriften der Kirchenväter als Quelle des theologischen Denkens neu rezipierte. Die Kirche wurde dadurch gewissermaßen zu ihren Ursprüngen zurückgeführt. Dies freilich war auch der Ansatz für die Kritik am Buch Möhlers, die besonders an seiner harschen Ablehnung der Scholastik Anstoß nahm. Wie auch immer: "Die Einheit in der Kirche" blieb das Opus Möhlers, das ihn bis zu seinem Lebensende begleiten sollte und das er immer wieder intensiv überarbeitete.

Bereits 1828 ereilte Johann Adam Möhler ein Ruf an die theologische Fakultät der Universität Freiburg. Möhler lehnte ab, mit der Begründung, dass er an einer "Brustkrankheit" leide, die ihm das Lehren zunehmend erschwere. Auch Berufungen nach Bonn oder Münster kamen nicht zustande; sie scheiterten vor allem am Einspruch eines Gegners, der schon beim Erscheinen der "Einheit in der Kirche" die Rechtgläubigkeit Möhlers angezweifelt hatte: Es handelte sich um den Bonner Dogmatiker Georg Hermes, dessen eigene Lehre 1835 vom Papst verboten wurde.

Gegen Ende er 1820er Jahre erschienen zwei weitere Bücher von Möhler: In einem beschäftigte er sich mit dem Kirchenvater Athanasius von Alexandrien, ein anderer widmete sich dem mittelalterlichen Theologen Anselm von Canterbury. Schließlich wandte sich Möhler auch der Kirche im 16. Jahrhundert zu und untersuchte die Gründe, die zur Spaltung der Kirche geführt hatten. Diese Untersuchung wird zum Grundstock für das zweite große Werk Möhlers, das 1832 erstmals veröffentlicht wurde: seine "Symbolik". In ihr stellt er die "dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten" dar und plädiert mit großer Entschlossenheit für das Modell der Rückkehrökumene. Der einzige Weg, so Möhler, um die Spaltung der Kirche zu überwinden, sei die Rückkehr der Protestanten zur katholischen Kirche. Freilich war Möhlers Schrift vor allem deshalb innovativ, weil sie einen bedeutenden Schritt in der ökumenischen Bewegung darstellt. Denn Möhler untersucht nicht nur die trennenden Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, er macht sich auch auf die Suche nach neuen Wegen, um diese Trennung zu überwinden.

Das Zweite Vatikanische Konzil im Petersdom.
Bild: ©KNA (Archivbild)

Karl Rahner, Hans Küng, Yves Congar: Die großen Theologen des Zweiten Vatikanischen Konzils ließen sich bei den Arbeiten an den Dokumenten von Johann Adam Möhler inspirieren.

Von protestantischer Seite jedenfalls stieß Möhlers Schrift nicht nur auf Zustimmung; vor allem der Tübinger Kollege Ferdinand Christan Baur ließ sich auf eine Replik ein, die eine erneute Erwiderung Möhlers zur Folge hatte. Die kontroverse Debatte scheint nicht spurlos an Möhler vorübergegangen zu sein, äußert er doch schon kurz darauf den Wunsch, das protestantische Tübingen verlassen zu wollen, da er sich hier nicht mehr wohl fühle. Bereits 1835 konnte dem Ansinnen Möhlers entsprochen werden und er erhielt einen Ruf an die Münchner Fakultät, wo er für ein Semester neutestamentliche Exegese und die Geschichte der christlichen Literatur lehrte.

Möhlers Gesundheitszustand scheint sich zu dieser Zeit drastisch verschlechtert zu haben, sodass er nur wenige Male an der Fakultät öffentlich auftreten konnte. Zwar wurde er noch am 23. März 1838 durch den bayerischen König zum Domherrn am Dom von Würzburg ernannt, doch schon am 12. April, dem Gründonnerstag, starb Möhler in München. Am darauffolgenden Karsamstag erfolgte die Beisetzung auf dem Münchner Zentralfriedhof, bei der viele Professoren und Studierende der Fakultät dem Gelehrten die letzte Ehre erwiesen. Auf seinem Grabstein wurde die Inschrift eingraviert, die ihn als "Verteidiger des Glaubens, Zierde der Wissenschaft, Trost der Kirche" charakterisiert.

Dynamische Ekklesiologie

Das Sujet, mit dem sich Johann Adam Möhler Zeit seines Lebens am intensivsten auseinandersetzte, war die Kirche. Wahrscheinlich ist die Beschäftigung mit der Ekklesiologie vor allem zeitbedingt zu verstehen: Möhler wurde 1796 geboren, 1803 erfolgte die Säkularisation, in deren Folge zahlreiche Klöster und Kirchen enteignet wurden und die  Kirche einen radikalen Einschnitt erlebte. Möhler hat die Säkularisation im Alter von sieben Jahren zwar noch nicht bewusst miterleben können, aber spätestens in seinen Studienjahren konnte er ihren Folgen nicht mehr ausweichen. Die Herausforderungen, welche die Kirche in diesen bewegten Jahrzehnten zu bewältigen hat, werden zum Lebensthema des Tübinger Professors. Dabei hilft ihm vor allem seine Auseinandersetzung mit den Kirchenvätern, um eine allzu institutionelle Sichtweise der Kirche zu überwinden: Es ist ein pneumatologischer Ansatz, den Möhler nutzt, um die Kirche zu beschreiben. Für ihn ist sie zu allererst vom Heiligen Geist erfüllt und es ist die Gegenwart jenes Geistes, welche zur Einheit der Kirche führen kann. Damit ist Möhlers Ekklesiologie von einer hohen Dynamik getragen, die vor allem dadurch zum Ausdruck kommt, dass er die Kirche als eine Gemeinschaft versteht, in der Menschen den Glauben miteinander teilen. Dabei betont er gerade im Blick auf den Episkopat die Kollegialität so sehr, dass er sich den Vorwurf des Konziliarismus gefallen lassen muss.

Zu Möhlers Lebzeiten waren seine beiden Hauptwerke, "Die Einheit" und die "Symbolik", große Bestseller, die in mehreren Auflagen erschienen und in andere Sprachen übersetzt wurden. Nach seinem Tod jedoch gerieten seine Arbeiten besonders außerhalb von Tübingen mehr und mehr in Vergessenheit. Ein Grund hierfür lag vor allem im Ersten Vatikanischen Konzil, dessen Ekklesiologie durch und durch neuscholastisch geprägt war und mit dem Ansatz Möhlers nicht vereinbar war. Anders liegen die Dinge schließlich auf dem Zweiten Vaticanum: Es heißt, dass Paul VI. "Die Einheit" Möhlers gelesen habe; und nicht nur der Papst, sondern auch die großen Konzilstheologen wie Karl Rahner, Hans Küng oder Yves Congar ließen sich  bei den Arbeiten an den Dokumenten des Konzils vom Tübinger Theologen Johann Adam Möhler nachdrücklich inspirieren.

Von Fabian Brand