Papst legt bei der Kampfansage gegen Missbrauch einen Gang zu
In der Auseinandersetzung mit den Missbrauchsskandalen in der Kirche hat Papst Franziskus ein neues Kapitel aufgeschlagen. Dazu nutzte er mehrere streckenweise improvisierten Ansprachen in Belgien Ende September und einen sorgfältig inszenierten feierlichen Bußakt im Petersdom am Vorabend der Weltsynode.
Er distanzierte sich dabei ausdrücklich von früheren Relativierungen des Missbrauchs in der Kirche und machte das schmerzhafte Thema mehrere Male in kurzen Abständen zur Chefsache. Dabei formulierte er nicht nur deutlich schärfer als bei früheren Äußerungen; er weitete auch den Begriff des Missbrauchs aus und sprach von einem Zusammenhang von Machtmissbrauch, Gewissensmanipulation (geistlichem Missbrauch) und sexuellem Missbrauch.
Kritik an früheren Äußerungen
Noch in seiner Abschlussrede beim sogenannten Anti-Missbrauchsgipfel im Februar 2019 in Rom hatte er ausführlich daran erinnert, dass die meisten Missbrauchsfälle in Familien und außerhalb des Bereichs der Kirche geschehen. Die Täter im Priesteramt hatte er als Opfer des Teufels bezeichnet. Diese Äußerungen hatten seinerzeit viel Kritik, auch von Missbrauchsbetroffenen, ausgelöst. Nun sagte er bei einem Treffen mit dem König und dem Regierungschef von Belgien: "Jemand sagt mir: Heiliger Vater, bedenken Sie, dass laut Statistik die überwiegende Mehrheit des Missbrauchs in der Familie oder in der Nachbarschaft oder im Bereich des Sports, in der Schule stattfindet – ein einziger ist genug, um sich zu schämen! In der Kirche müssen wir dafür um Vergebung bitten; andere sollen für ihren Teil um Vergebung bitten. Dies ist unsere Schande und unsere Demütigung." Diese Worte formulierte er mit besonderem Nachdruck und abweichend vom Redemanuskript.
Zuvor verglich er den Missbrauch gar mit der Ermordung der unschuldigen Kinder durch König Herodes, über die das Neue Testament berichtet. Er sagte: "Brüder und Schwestern, das ist die Schande! Die Schande, gegen die wir heute alle angehen müssen, für die wir um Vergebung bitten müssen, das Problem, das wir lösen müssen: die Schande des Missbrauchs, des Kindesmissbrauchs. Wir denken an die Zeit der heiligen unschuldigen Kinder und sagen: 'Oh, welch eine Tragödie, was König Herodes getan hat!', aber heute gibt es in der Kirche dieses Verbrechen; die Kirche muss sich schämen und um Vergebung bitten und versuchen, diese Situation in christlicher Demut zu lösen. Und sie muss alle Voraussetzungen schaffen, damit dies nicht wieder geschieht."
Klarer als bei früheren Gelegenheiten benannte Franziskus den Zusammenhang von klerikalem Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch. Er führte aus, die Kirche müsse von den Opfern lernen, "eine Kirche zu sein, die sich zur Dienerin aller macht, ohne irgendjemanden zu knechten. Ja, denn eine Wurzel der Gewalt liegt im Missbrauch von Macht, wenn wir die Funktionen, die wir innehaben, dazu benutzen, andere zu erdrücken oder zu manipulieren."
Hartes Vorgehen auch gegen Laien
Mit mehr Nachdruck als früher verdammte er jeden Versuch der Vertuschung und forderte die Bestrafung von Tätern und Vertuschern – Bischöfe eingeschlossen. In der großen Abschlussmesse unter freiem Himmel formulierte er unter dem Beifall von mehreren zehntausend Zuhörern – wiederum teils in freier Rede: "Alle werden wir gerichtet werden, und es gibt keinen Platz für Missbrauch, es gibt keinen Platz für das Vertuschen von Missbrauch. Ich fordere alle auf: Vertuscht keinen Missbrauch! Ich ersuche die Bischöfe: Vertuscht den Missbrauch nicht! Die Missbrauchstäter sind zu verurteilen und ihnen ist zu helfen, damit sie von dieser Krankheit des Missbrauchs geheilt werden. Das Böse darf nicht versteckt werden: Das Böse muss ans Licht gebracht werden, damit es bekannt wird, wie es einige Missbrauchsopfer mutig getan haben. Es soll bekannt werden. Und der Täter soll gerichtet werden. Der Missbrauchstäter soll gerichtet werden, egal ob Laie, Laiin, Priester oder Bischof: er soll gerichtet werden."
Der Hinweis des Papstes auf Laien als Täter korrespondiert mit seinem ungewöhnlich scharfen Vorgehen gegen Mitglieder der Laienvereinigung "Sodalicio" in Peru, dessen Gründer Luis Fernando Figari mehrfachen sexuellen Missbrauchs beschuldigt wird. In Peru hat Franziskus in den vergangenen Monaten gleich mehrere Exempel gegen das Sodalicio und sein Umfeld statuiert. Dabei ging er sogar so weit, einem Mann und einer Frau, die aus seiner Sicht versucht hatten, die vatikanischen Ermittlungen gegen Missbrauchstäter in der Gruppe mit unlauteren Mitteln zu behindern, die Exkommunikation anzudrohen.
Höhepunkt und krönender Abschluss dieser Auseinandersetzung mit dem Missbrauchsskandal auf einer neuen Qualitätsstufe war der öffentliche Bußakt im Petersdom am Vorabend der Weltsynode. Hier erklärte der Papst: "Wir können nicht mehr den Namen Gottes anrufen, ohne zuvor die Brüder und Schwestern um Verzeihung zu bitten." Weiter sagte er: "Wir müssen uns fragen, welche Verantwortung wir haben, wenn es uns nicht gelingt, dem Bösen mit dem Guten Einhalt zu bieten." Das Schuldbekenntnis sei "eine Gelegenheit, das Vertrauen in der Kirche und das Vertrauen in die Kirche wiederherzustellen, das durch unsere Fehler und Sünden zerbrochen wurde, und die Wunden zu heilen, die noch immer bluten, und die Fesseln des Unrechts zu lösen."