Martin Kirschner forscht zu Theologie in Transformationsprozessen

Theologe: Synodalität kann Lösung für Krisen in Kirche und Welt sein

Veröffentlicht am 22.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Eichstätt ‐ Die Kirche ist im Wandel. Gerade bei der Weltsynode in Rom macht Theologe Martin Kirschner zwei Punkte aus, in denen sie sich schon jetzt ganz fundamental verändert. Im katholisch.de-Interview spricht er auch darüber, wie kirchliche und politische Konfliktfragen sich synodal klären lassen könnten.

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Das Wort "Synodalität" ist kirchlicherseits in aller Munde – nicht nur in Deutschland. Dabei legt jeder seine eigenen Erwartungen in das Wort, sagt Martin Kirschner. Er ist Professor für Theologie in Transformation an der Katholischen Universität Eichstätt-ingolstadt und hat bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz einen Studientag zur Bedeutung von Synodalität in der Kirche gehalten. Im Interview erklärt er auch, wo der weltweite synodale Prozess vom Synodalen Weg der Kirche in Deutschland lernen kann.

Frage: Professor Kirschner, wenn man Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertreter über das Wort Synodalität reden hört, kann man manchmal den Eindruck bekommen, dass weltkirchlich gesehen nicht alle das gleiche damit meinen. Stimmt der Eindruck?

Kirschner: Ja, das stimmt. Und jeder legt seine eigenen Erwartungen in das Wort. Das Spannende ist aus meiner Sicht, dass es bei der Synodalität um eine Art "Ekklesiologie im Werden" geht.

Frage: Was heißt das?

Kirschner: In dem Prozess, der aktuell läuft, wird gleichzeitig ausgehandelt, weiterentwickelt und reflektiert, was Synodalität bedeutet. Ganz breit gesprochen bedeutet Synodalität zunächst, gemeinsam als Volk Gottes auf dem Weg zu sein. In seiner Rede zur 50-Jahr-Feier der Bischofssynode hat Papst Franziskus 2015 betont, dass dies der Weg ist, den Gott von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet. Bei der aktuellen Bischofssynode in Rom gibt es aber bereits zwei Punkte, die aus meiner Sicht ganz fundamental die Kirche verändern.

Frage: Und die wären?

Kirschner: Zum einen wurde das Ereignis Bischofssynode mit einem breiten, partizipativen Prozess verbunden, an dem das gesamte Volk Gottes teilnehmen soll. Zum anderen nehmen an dieser Bischofssynode nicht mehr nur Bischöfe teil, sondern auch Ordensleute, Priester und Laiinnen und Laien. Ich sehe hier im Hintergrund auch die Frage, wie eigentlich ein künftiges Konzil aussehen würde, welche Prozesse der Beteiligung dort notwendig wären und wie das ökumenisch gedacht werden müsste. Signale dafür sehe ich im Instrumentum Laboris zur Weltsynode (Nr. 95-108), wo darauf reflektiert wird, wie die Einheit der Kirche in synodaler Weise Gestalt gewinnen kann, wie der Dienst des Bischofs von Rom synodal zu bestimmen ist und welche Möglichkeiten ökumenischer synodaler Praxis sich hier ergeben.

Theologieprofessor Martin Kirschner
Bild: ©Privat

Theologieprofessor Martin Kirschner hat den Lehrstuhl für "Theologie in Transformation" der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt inne. Aus seiner Sicht sind die Krisen von Kirche und Gesellschaft miteinander verbunden und fordern ein gegenseitiges Lernen in Synodalität und Demokratie.

Frage: Wird im Hintergrund also schon an einem dritten Vatikanischen Konzil gearbeitet?

Kirschner: Nein, nicht in dem Sinne, dass das jemand planen würde. Konzile kann man so nicht planen, sie haben ihre Zeit. Aber wenn man auf innerkirchliche Fragen wie die Ordination der Frau zum Priesteramt und das Verständnis von Geschlechteranthropologie schaut, dann gibt es hier einen Dissens, der Grundüberzeugungen des Glaubens berührt und der bearbeitet werden muss. Und wenn man auf die Krisen schaut, die die Welt erschüttern – der Klimawandel oder die Sorge vor einem Dritten Weltkrieg – dann fordert das neue Formen, wie die christlichen Kirchen zusammenkommen und synodal versuchen, ihr Zeugnis in der Welt zu geben. Beides kann durchaus ein Konzil notwendig machen.

Frage: Bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz haben Sie in Ihrem Vortrag darüber gesprochen, dass die Krisen der Welt und die Krisen der Kirche zusammenhängen. Inwiefern ist das so?

Kirschner: Durch die derzeitigen unterschiedlichen Krisen geraten Kirche und Gesellschaft unter erheblichen Handlungsdruck. Nehmen wir beispielsweise die Corona-Pandemie: Da muss man handeln und kann nicht nichts tun. Dies geschah mit Verweis auf einen ausgewählten Kreis von "Experten" und so wurde im Grunde technokratisch hierarchisch von oben entschieden und damit die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben. Wenn man das auf die Kirche überträgt: Wenn man durchregieren und einfach die Ordination der Frau beschließen würde, würde das die Kirche spalten. Aber wenn man umgekehrt die Ordination der Frau für unmöglich erklärt und tabuisiert, spaltet das ebenso – und das ist jetzt schon der Fall. Um diese Krisen zu bearbeiten, müssen wir also weiche, integrative und partizipative Formen finden, die lern- und trotzdem handlungsfähig sind. Das ist unglaublich schwierig für die Kirche, aber nicht weniger schwierig für die Welt als Ganze. Deswegen bin ich sehr skeptisch, wenn gesagt wird: Die Kirche muss nur endlich das übernehmen, was in der westlichen Demokratie wunderbar funktioniert. Da knirscht es ja auch überall und die Demokratie ist in einer tiefen Krise.

Frage: Die Kirche sollte also nicht die Demokratie übernehmen, sondern die säkulare Welt sollte synodale Prozesse der Kirche übernehmen?

Kirschner: Man kann Kirche und Welt nicht als zwei Welten gegeneinander ausspielen. Sie sind miteinander verbunden. Da lässt sich nichts einfach übernehmen, sondern es braucht ein wechselseitiges Lernen und ein Weiterentwickeln sowohl der synodalen wie der demokratischen Strukturen und Kultur. Beispielsweise ist das Gespräch im Geist, das jetzt bei der Weltsynode praktiziert wird, eine Form der Verlangsamung und des Aufeinanderhörens, die tief in der Menschheitsgeschichte verwurzelt ist – egal, ob das dann "Kreisgespräch" oder "Palaver" heißt. Das ist etwas, von dem man lernen kann. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, wie man von dort aus zu transparenten Entscheidungen kommen kann und wie Macht kontrolliert wird. Hier kann dann beispielsweise die Weltsynode etwas vom Synodalen Weg der Kirche in Deutschland lernen – und können beide viel von demokratischen Verfahren lernen. Es ist also nicht ein Gefälle von einer Richtung in die andere.

Eröffnungssitzung der Weltsynode
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Andrew Medichini

Die Weltsynode wird in den Medien gerne als eine Art "Lieblingsprojekt" von Papst Franziskus dargestellt. Aus Sicht von Martin Kirschner wird die Hinwendung zur Synodalität auch über das Pontifikat von Franziskus hinausreichen.

Frage: Was wäre denn ein Punkt, wo der weltweite synodale Prozess vom Synodalen Weg lernen kann?

Kirschner: Das Gespräch im Geist führt dazu, dass die Beratungen der Weltsynode von der Öffentlichkeit geschützt sind. Dafür gibt es gute Gründe. Trotzdem müssen Prozesse der Entscheidungsfindung öffentlich transparent und in geordneten Verfahren stattfinden, sonst widerspricht das dem Prinzip der Synodalität. Streitthemen kann man deshalb nicht einfach an Expertengremien zur Entscheidung zusammen mit dem Papst delegieren.

Frage: Sie sprechen den Papst an: In den Medien wird die Weltsynode ja gerne als ein Lieblingsprojekt von Franziskus bezeichnet. Hat der Papst aus Ihrer Sicht begriffen, welche Chancen und welche Bedeutung eine synodale Kirche hat?

Kirschner: Ja, das nehme ich schon so wahr. Mit dieser Hinwendung zur Synodalität hat er einen Prozess angestoßen, der auch über sein Pontifikat hinausreichen wird. Er treibt einen Kultur- und Strukturwandel voran, um in eine neue Gestalt von Kirche zu finden, die den Anforderungen der Zeit und dem Evangelium besser entspricht. Insofern bin ich schon positiv gestimmt, auch wenn ich mittlerweile eine Ermüdung im Pontifikat wahrnehme und ich nicht jede Wortäußerung des Papstes für hilfreich halte. Wichtig wäre es allerdings, die angestoßenen Prozesse auch in Strukturen zu übersetzen. Mit der Kirchenversammlung CEAMA in Lateinamerika hat er dafür einen wichtigen Impuls gesetzt. Im nachsynodalen Schreiben nach dieser Weltsynode wird es daher sehr stark um die Frage der Umsetzung in Prozesse und Strukturen gehen.

Frage: Wie lassen sich denn mithilfe von Synodalität solche hochkonfliktiven Fragen wie etwa nach der Weihe der Frau klären – ohne, dass am Ende eine Seite als Verlierer dasteht oder die Entscheidung ewig hinausgezögert wird?

Kirschner: Beim Priestertum der Frau ist der Dissens wirklich fundamental und auf beiden Seiten geht es um Kernfragen des Glaubens, der Menschenwürde und der katholischen Identität. Dieser Dissens lässt sich nicht einfach aus der Welt schaffen, sondern es braucht Wege, ihn zu bearbeiten. Das ist ein dickes Brett, das da zu bohren ist, daher braucht es gleichzeitig Ungeduld und Geduld: Ungeduld, damit man an dieser Frage dranbleibt und sie nicht aus den Augen verliert, und Geduld, weil man ohne einen längeren Prozess hier nicht weiterkommt. Dafür braucht es das ernsthafte Interesse am Anderen, das wechselseitige Hören und freie Sprechen und das geistliche Unterscheiden. Das ist der einzige Weg, um nicht in eine schnelle Kirchenspaltung zu kommen.

Frage: Das klingt nicht besonders konkret …

Kirschner: Ich habe da auch keine fertige Lösung. Ich glaube aber schon, dass diese Form synodaler Kommunikation hilfreich ist. Wenn es jetzt zum Beispiel eine Kirchenversammlung für Europa gäbe, auf der über die Frauenordination offen gesprochen und wechselseitig gehört wird, dann kann ein Prozess in Gang kommen, von dem man nicht weiß, wo er hinführt. Und wenn beide Seiten darauf vertrauen, dass Gottes Geist wirkt, dann kommt man vielleicht weiter – oder zumindest zu einem respektvollen Umgang miteinander.

Von Christoph Brüwer