Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA gewählt

Theologe zu US-Wahl: Massive Polarisierung könnte voranschreiten

Veröffentlicht am 07.11.2024 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn/Eichstätt ‐ Donald Trump zieht zum zweiten Mal ins Weiße Haus. Viele Katholiken haben ihn gewählt. Wie es dazu kam und was das für Kirche und Gesellschaft bedeutet, erklärt der USA-Experte und Dogmatiker Benjamin Dahlke im katholisch.de-Interview.

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Donald Trump wird am 20. Januar 2025 als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Sein Wahlsieg am Mittwoch löste Überraschung und Sorge zugleich aus. Viele Katholiken stimmten für den Kandidaten der Republikaner und verhalfen ihm so zum Wahlsieg. Doch warum ist das so? Im Interview mit katholisch.de spricht der Eichstätter Dogmatiker und USA-Experte Benjamin Dahlke über den Wahlsieg Trumps und was das für die katholische Kirche in den USA, die Weltkirche, das Pontifikat von Papst Franziskus und die amerikanische Gesellschaft bedeutet.

Frage: Herr Professor Dahlke, laut Exit Polls haben 56 Prozent der Katholiken Trump gewählt – gegenüber 61 Prozent der Protestanten/Evangelikalen und nur 22 Prozent der Juden. Warum haben so viele Katholiken für Trump gestimmt? 

Dahlke: Zunächst einmal handelt es sich bei den Katholiken in den USA um eine sehr große, nicht homogene Gruppe von gut 75 Millionen Menschen. Was die Wahlentscheidung betrifft, muss man mehrere Faktoren unterscheiden: Das Alter spielt zum Beispiel eine Rolle: Junge Katholiken wählen eher demokratisch. Die Frage ist auch, welcher Ethnie man angehört. Sowohl Hispanics als auch afroamerikanische Katholiken wählen mehrheitlich demokratisch. Gleiches gilt für Frauen. Man muss außerdem den Kirchenbesuch berücksichtigen. Wer häufiger in die Kirche geht, tendiert eher zu den Republikanern. Über die hohe Zustimmung von Katholiken für die Partei bin ich schon etwas überrascht. In den Umfragen vom Herbst waren es noch 52 Prozent.

Frage: Und wie verhält es sich mit der Frage des Lebensschutzes?  

Dahlke: Für eher konservativ orientierte Katholiken hat das sicherlich eine große Rolle gespielt – gerade weil die US-Bischöfe in ihrer Orientierungshilfe das Thema Abtreibung sehr weit nach oben geschoben haben. Es gibt Aussagen von einzelnen Bischöfen, die darauf hindeuten, dass das ein wichtiges Wahlkriterium ist. Und in der Tat wirken die alten Kulturkämpfe und die Zeit von Johannes Paul II. weiter. Der Widerstand gegen die Abtreibung war und ist ein Identitätskern eines bestimmten Teils des amerikanischen Katholizismus. 

Der Eichstätter Dogmatiker, Benjamin Dahlke
Bild: ©KU Eichstätt / Christian Klenk

Der Eichstätter Dogmatiker und USA-Experte Benjamin Dahlke sagt in Sachen Polarisierung: "Viel hängt davon ab, wie Trump sich in den nächsten Tagen und Wochen verhält. Als Person polarisiert er ohnehin schon."

Frage: Was bedeutet die Wahl Trumps für die katholische Kirche in den USA? 

Dahlke: Es gibt durchaus Bischöfe, die Donald Trumps Kurs gut finden und sich darum wahrscheinlich schon freuen, dass er der neue Präsident wird. Interessant wird trotzdem sein, wie sich die Republikaner weiter zum Thema Abtreibung positionieren werden. Im Wahlkampf haben sie die Abtreibung nicht mehr grundsätzlich abgelehnt, sondern auf Regelungen in den einzelnen Bundesstaaten verwiesen. Es gibt also keine grundsätzliche, moraltheologisch begründete Ablehnung, sondern eher eine pragmatische, juristische Sicht des Ganzen. Zurecht werden jetzt viele Bischöfe und konservative Katholiken fragen, was eigentlich die Position der Partei ist. 

Frage: Der Papst hat es den amerikanischen Katholiken auch nicht leicht gemacht, als er bei der fliegenden Pressekonferenz auf dem Rückflug von Singapur Einwanderung und Abtreibung gegenüberstellte. Man müsse sich für das kleinere Übel entscheiden...

Dahlke: Genau, aber was das nun konkret meinen sollte, blieb offen. In den USA selbst gab es unterschiedliche Interpretationen. Ohnehin stellt sich die Frage, ob der Papst in modern-westlichen Gesellschaften überhaupt Wahlen beeinflussen sollte und darf. Das müsste man erst einmal diskutieren. Aber zur Sache: Seit Johannes Paul II. gibt es eine sehr starke Betonung der Individualethik. Insbesondere die Ablehnung von Abtreibung gilt als zentral. Franziskus fügt in seinem Pontifikat eine andere, neue Komponente hinzu, eine sozialethische, nämlich das Wohl aller Menschen – auch der Migrantinnen und Migranten, die in den Vereinigten Staaten ein besseres Leben für sich und ihre Familien erhoffen. Franziskus betont diese beiden Aspekte, das Individuelle und das Soziale, ja stellt sie auf eine Ebene. 

Frage: Was heißt das?

Dahlke: Franziskus’ Idee ist, die bloße Fokussierung auf Abtreibung etwas zu weiten. Im Katholizismus geht es um das ganze Leben in allen Dimensionen.

Papst Franziskus
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Üblicherweise machen auch US-Präsidenten Antrittsbesuche in Rom, so der USA-Experte Dahlke. "Da bin ich mir nicht so sicher, wie die Atmosphäre sein wird.

Frage: Was aber bedeutet die Wahl für die Weltkirche und das Pontifikat von Papst Franziskus? 

Dahlke: Üblicherweise machen auch US-Präsidenten Antrittsbesuche in Rom. Da bin ich mir nicht so sicher, wie die Atmosphäre sein wird. Trump und Franziskus haben zum Beispiel in Migrationsfragen sehr unterschiedliche Auffassungen. Insofern bin ich gespannt, welche Rolle der künftige Vizepräsident J.D. Vance spielen wird. Dieser hat sich bekanntlich 2019 katholisch taufen lassen und könnte möglicherweise auch eine vermittelnde Rolle einnehmen. 

Frage: Der Theologe Massimo Faggioli hat in einem Interview mit katholisch.de gesagt, dass eine Wiederwahl Trumps einen demokratischen Rückschritt und eine Verschlechterung der amerikanischen Demokratie bedeuten könnte. Würden Sie diese Einschätzung teilen?

Dahlke: Zunächst einmal ist Trump demokratisch gewählt worden. Das bezweifelt auch die unterlegene Demokratische Partei nicht. Die Gefahr ist aber sicherlich, dass die massive Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft, wie sie im Wahlkampf deutlich wurde, noch weiter voranschreitet: dass Familien nicht mehr miteinander reden können, dass Menschen in ihren Gemeinden und auch in ihren Kirchen überhaupt nicht mehr miteinander diskutieren können. Insofern ist das schon eine Gefahr für die Demokratie, die ja davon lebt, dass man im Austausch ist, dass man unterschiedliche Positionen haben kann und trotzdem Kompromisse findet. Also, da kann man nur auf eine Entspannung hoffen.

Frage: Halten Sie das für wahrscheinlich, dass es eine Entspannung geben wird?

Dahlke: Viel hängt davon ab, wie Trump sich in den nächsten Tagen und Wochen verhält. Als Person polarisiert er ohnehin schon. Sollte er ein striktes politisches Programm präsentieren, dürfte das die Konflikte in den USA nochmals anheizen. Da die Republikaner auch im Senat die Mehrheit errungen haben, könnte Trump versucht sein, seine Agenda energisch durchzusetzen. Ein wenig Sorge habe ich da schon.

Von Mario Trifunovic