Lingua Latina
Auf 90 Meter langen und 4 Meter breiten Podien, die links und rechts vom Mittelgang der Kirche stufenförmig aufgebaut wurden, installierten Dutzende von Handwerkern Sitzgelegenheiten, Pulte, Mikrofone und Lautsprecher. In jeder Ecke des riesigen Kirchenraums sollten die fast 3.000 Konzilsväter die Reden akustisch verfolgen können.
Konferenzsprache war Latein. Schon die 69 Bände der theologischen Vorbereitungskommission waren in der Sprache Ciceros verfasst, und auch in den Reden waren moderne Sprachen nicht erlaubt. Vor allem die Nordamerikaner, die es in ihrer Priesterausbildung schon damals nicht mehr sehr genau nahmen mit der Pflege der klassischen Sprachen, bemühten sich vergebens, eine Simultanübersetzung nach dem Vorbild der UNO einrichten zu lassen.
Deutsche Latein-Experten
Einer der US-amerikanischen Konzilsväter soll sogar angeboten haben, zur Not werde er halt die Kosten einer Simultanübersetzungsanlage aus eigener Tasche (also aus den üppigen Spendengeldern von US-Katholiken) bezahlen. Doch es nützte nichts - das Konzilspräsidium beharrte auf dem Lateinischen.
Dies sollte sich in mancherlei Hinsicht rächen. Zum einen mussten nun Italiener, Franzosen und Deutsche das bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Latein der US-Amerikaner ertragen. Zum anderen, und das wog viel schwerer, hatten die Deutschen, deren Theologen das beste Latein sprachen, einen Vorteil in den Debatten. Und da sie, von den Beratern Küng, Ratzinger und Rahner bis hin zu den Konzilsväter Frings, Volk und Döpfner zu den politischen Strippenziehern des fortschrittlichen Lagers zählten, wirkte sich dieser Vorteil doppelt aus. Zudem konnten sie untereinander und mit ihren Freunden aus den Niederlanden, Belgien, Österreich und Skandinavien am Rande der Debatten Deutsch sprechen - das wiederum den Romanen ringsherum gänzlich unverständlich war.
Nicht nur theologisch, auch rhetorisch war es vor allem der Chef der Glaubensbehörde, Kardinal Ottaviani, der dagegenhielt. Legendär ist seine Gegenrede zu jener Anklage, die der Kölner Kardinal Frings 1963 an die Adresse des gefürchteten Heiligen Offiziums richtete und in der er in klassischem Latein ein Klima der Gesinnungsknechtung beklagte.
Ghostwriter für die Afrikaner
Als er dafür laut Protokoll mit "plausis in aula" (Beifall im Plenum) bedacht wurde, schleuderte ihm Ottaviani zornentbrannt ein "altius, altissime protesto" (Ich protestiere mit lauter, ja mit lautester Stimme!) entgegen und wies die Anschuldigungen in nicht minder geschliffenem Latein zurück.
Am wenigsten vorteilhaft war der Lateinzwang für die afrikanischen Konzilsväter. Viele von ihnen verstanden die Sprache bestenfalls bruchstückhaft; aber auch sie wollten beim Konzil reden. So kam es, dass sprachbegabte junge Jesuiten, unter ihnen auch der deutsche Pater Peter Gumpel, für diese Konzilsväter als Ghostwriter einsprangen. Sie formulierten ihnen die Reden, markierten sie mit Akzenten und Betonungshilfen, und so kam es, dass manch ein Afrikaner plötzlich besseres Latein sprach als die Nachfahren Cäsars.
Zur Logistik des Konzils zählte aber nicht nur das Kommunikationsproblem. Auch an die leiblichen Bedürfnisse musste gedacht werden. So richtete man im Petersdom sogar eine Kaffeebar ein. Die wurde rasch zu einem wichtigen informellen Begegnungspunkt. Und hier versöhnten sich auch die Kontrahenten Frings und Ottaviani wieder.
Wenn es darum ging, geheime Allianzen zu schmieden, trafen sich die unterschiedlichen Gruppierungen freilich nicht im Petersdom. Die Deutschsprachigen hatten ihr Hauptquartier im deutschsprachigen Seelsorgezentrum Santa Maria dell'Anima, die Frankophonen im Centre Saint Louis sowie in der Französischen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Afrikaner, die über kein eigenes Zentrum verfügten, fanden Unterschlupf bei einer Ordenszentrale. Auch die römische Gastronomie profitierte vom Appetit und dem Gesprächsbedarf und Wunsch der Bischöfe aus aller Welt, sich außerhalb von Klöstern und Pilgerheimen zu treffen und bei hitzigen Debatten über die Zukunft der Kirche das Flair der Ewigen Stadt zu genießen.