Bausteine für ein gemeinsames Leben
Frage: Herr Neysters, alles hat sich verändert, nichts ist mehr wie früher. Kaum noch etwas hat wirklich Bestand. Was bedeutet das für heiratswillige Paare?
Neysters: In diesen Zeiten zu heiraten, sich zu binden, Ehe zu leben, ist unbestritten eine schwierige Entscheidung. Denn nichts mehr ist selbstverständlich. Dies gilt auch für die Ehe, denn es gibt keine Garantie dafür, ob und wie lange sie hält. Das spiegelt sich im deutlichen Rückgang kirchlicher Trauungen wider. Entwicklung und Veränderung hat es zwar immer gegeben, aber sie vollzogen sich früher über Jahrzehnte und damit über Generationen hinweg – für die Einzelnen kaum wahrnehmbar in einem geordneten, überschaubaren Rahmen. Heute geschieht dies alles innerhalb eines Menschenlebens. Die Beschleunigung der Entwicklung und die Radikalität der Veränderung treffen den Lebensnerv der Menschen. So haben auch viele Paare bereits etliche Umbrüche in ihrem Leben hinnehmen müssen. Fest steht aber: Wo es an sozialer Stabilität und zunehmend auch an wirtschaftlicher Sicherheit mangelt, sind langfristige Bindungen gefährdet. Und so zählt die Entscheidung für eine Ehe, die ein ganzes Leben lang halten soll, zu den großen Abenteuern, die Frauen und Männer zum Glück immer noch einzugehen bereit sind.
Frage: Hat die lebenslange Ehe denn trotz der hohen Scheidungsrate überhaupt noch eine Chance?
Neysters: Ja, denn noch immer stellt sie die Mehrheit aller Lebensformen dar – allen inneren und äußeren Bedrohungen und Widerständen zum Trotz. Und noch immer steht der Wunsch nach einer glücklichen Ehe ganz oben auf der Werteskala junger Frauen und Männer. Aber die Ehe ist keine Kurz- oder Mittelstrecke, sondern ein Marathon. Und wie beim sportlichen Wettkampf geht es auch bei der Ehe nicht ohne "Trainingsfleiß". Ohne persönlichen Einsatz bleibt man auf der Strecke. Ohne die Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung verläuft sich die Beziehung in Routine. Nur wer sich immer wieder aufmacht, bleibt auf dem Weg und offen für neue Entwicklungen.
Frage: Unterscheiden sich die Lebensbiografien der Brautleute heute deutlicher als in früheren Zeiten?
Neysters: Ja, bei Ehevorbereitungsseminaren habe ich oft festgestellt, dass da zuweilen Welten aufeinanderstoßen. Da hat sie gerade den 30. Hochzeitstag ihrer Eltern dankbar erlebt, seine Eltern haben sich dagegen schon früh scheiden lassen, und er hat dies als schmerzlich erfahren. Oder er kommt aus einer traditionellen Familie – sie aus einer Patchworkfamilie. Oder sie ist in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen, und seine Familie hat mit Gott und Kirche nichts am Hut. Solche Unterschiede können eine zukünftige Ehe belasten oder bereichern – je nachdem, wie die Paare damit umgehen. Gut, wenn sie im gegenseitigen Respekt vor der jeweiligen Lebensgeschichte der oder des anderen und mit dem notwendigen Feingefühl für die gegenseitigen Bedürfnisse, Hoffnungen, Ängste und Zweifel zu einem gemeinsamen Lebenskonsens finden können. Denn nur so kann ihr gemeinsames Projekt Ehe gelingen.
Frage: Warum heiraten heute denn auch Paare kirchlich, die sonst mit Kirche nicht viel zu tun haben?
Neysters: Da gibt es viele Gründe und Motive. Die einen haben die kirchliche Trauung als eine besonders schöne Feier bei Geschwistern oder Freunden erlebt – manche auch im Fernsehen. Sie wünschen sich einen solchen feierlichen Rahmen auch für ihre Hochzeit. Hinter der Festlichkeit ist insgeheim oft der Wunsch nach Festigkeit verborgen. Andere wiederum meinen, dass es ja nicht schaden kann, kirchlich zu heiraten. Und dass sie den Segen Gottes gut brauchen können - bei allem, was passieren kann.
Frage: Können denn alle Paare auf den Segen Gottes vertrauen – auch wenn sie mit Kirche eigentlich nichts am Hut haben?
Neysters: Ja, denn die Liebesgeschichte eines jeden Paares ist auch die Liebesgeschichte Gottes mit ihm. Gott fragt nicht nach der Vollwertigkeit oder Minderwertigkeit des Glaubens. Wer um seinen Segen bittet, wird auf seinen Zuspruch und seinen Beistand vertrauen dürfen – ganz gleich, wie er oder sie zu Gott stehen. Das kann entlasten und von dem Druck befreien, alles selbst in der Hand halten zu müssen, dem Partner alles zu sein und alles geben zu müssen. Nicht alles hängt von unserer Leistung ab. Manches ist einfach Geschenk. Vielleicht spüren Eheleute gelegentlich ganz leise: Gott zeigt sich mir – in dir.
Frage: Viele Heiratswillige haben vor der Hochzeit oft schon längere Zeit zusammengelebt. Hat das Vorteile?
Neysters: Das könnte man so sagen. Wer heiratet, beginnt seine Ehe dann jedenfalls nicht am Punkt null. Die meisten heiraten heute später und leben vorher einige Jahre zusammen. Die Eheschließung verstehen die Heiratswilligen dann als eine Bestätigung und Fortsetzung ihrer Partnerschaft auf verbindlicherem Niveau. Das Jawort, privat und persönlich längst zugesagt, wird nun offenkundig gemacht vor aller Welt. Für viele ist das oft langjährige Zusammenleben zu einer Art vorehelicher Partnerschaft geworden – vielleicht zu einer neuen Form der Verlobung.
Frage: Was können Paare tun, um ihre Ehe lebendig zu halten?
Neysters: Liebe entwickelt sich, sie kann wachsen und sich vermehren. Sie kann aber auch verkümmern und zerbrechen. Sie schafft, wenn es gut geht, immer wieder Raum für Aufbrüche und Neuanfänge. Nichts fordert so viel Wandel wie eine lebendige Ehe. Was eine Beziehung auf Dauer zusammenhält, ist das Miteinander, das beide Partner als bereichernd erleben. Eheglück fällt einem nicht in den Schoß. Man muss schon einiges dafür tun. Wichtig ist, dass die Partner das Interesse aneinander wachhalten, sich gegenseitig Entwicklung zugestehen und fördern, sich Freiräume schaffen, Freundschaften pflegen. Sonst kann aus dem Miteinander schon bald ein Nebeneinander oder gar Gegeneinander werden.
Das Interview führte Margret Nussbaum