Die reale Gegenwart Christi
Wenn die Gläubigen zur Feier der Eucharistie zusammenkommen, dann tun sie das zum Gedächtnis des Leidens, Todes und der Auferstehung Jesu. Gedächtnis meint jedoch weit mehr als ein bloßes "Erinnern" an Jesus Christus und dessen Handeln. Es hat zugleich auch eine zukünftige Dimension, indem es die Erlösung und Vollendung der Menschheit zeichenhaft vorwegnimmt. Und schließlich glauben die Christen daran, dass Jesus im Sakrament der Eucharistie in ganz besonderer Weise auch im Hier und Jetzt gegenwärtig ist – und zwar unter den Gestalten von Brot und Wein.
Möglich wird das durch die Menschwerdung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus. Im gemeinschaftlichen Verzehr der Gaben, der Kommunion, erhalten die Gläubigen Anteil an "Leib und Blut" Jesu und an seinem erlösenden Kreuzestod. "Leib und Blut" stehen – wie meistens im biblischen Kontext –für die ganze Person Jesu, für seine Lebendigkeit und seine Zuwendung zu den Menschen.
Dass Jesus sich den Gläubigen ausgerechnet unter den Zeichen von Brot und Wein schenkt, wird auf die Abendmahlsworte Christi zurückgeführt. Im ältesten biblischen Zeugnis, dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde von Korinth (ca. 55 n. Chr.), heißt es: "Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!" (1 Kor 11,23-25)
Einsetzungsworte sind heute Teil des Hochgebets
Diese Einsetzungsworte Jesu aus dem Korintherbrief sind heute Bestandteil des Hochgebets in der Eucharistiefeier und werden auch "Wandlungsworte" genannt. Durch den Priester gesprochen, vollzieht sich die geheimnisvolle Wandlung (oder: Konsekration) von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi. Seit Jahrhunderten versuchen Theologen und Philosophen diese Verwirklichung der Zuwendung Gottes, die zuallererst Glaubenswahrheit ist, auch mit der Vernunft zu durchdringen.
Für die römisch-katholische Kirche hat sich für diesen Vorgang spätestens seit dem Konzil von Trient (1545-1563) der lateinische Begriff der "Transsubstantiation" durchgesetzt, der so viel wie "Wesenswandlung" bedeutet. So haben die Konzilsväter festgehalten: "Durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt."
Buch-Tipp
Der Artikel wurde mit Hilfe des Buches "Geladen zum Tisch des Herrn: Die Feier der Eucharistie" (Verlag Friedrich Pustet) der Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser und Stephan Winter geschrieben.Damit greifen die Konzilsväter auf die Lehre eines der bedeutendsten Theologen der Kirchengeschichte, Thomas von Aquin (1224-1274), zurück. Der unterscheidet – in Anlehnung an den griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v.Chr.) – zwischen der Substanz und den Akzidenzien einer Sache oder Person. Während die Substanz das Wesen bzw. die Artzugehörigkeit beschreibt, sind Akzidenzien die mehr oder weniger zufälligen Eigenschaften. Dazu zählen zum Beispiel Form, Größe, Geruch, Geschmack oder Aussehen.
Das Prinzip lässt sich anhand einiger Beispiele verdeutlichen: So wird ein Mensch in unserem Kulturkreis einen Gegenstand, der aus einer Platte, aus vier Beinen und aus Holz besteht, eindeutig als Tisch identifizieren. Sollten sich seine zufälligen Eigenschaften nun ändern, ihm beispielsweise ein Bein fehlen oder er statt aus Holz aus Plastik sein, bleibt er dennoch wesentlich – also in der Substanz – ein Tisch. Genauso kann ein Stück Eisen rosten oder ein Apfel verfaulen. Sie ändern dadurch ihre Form, ihr Aussehen oder ihren Geruch, bleiben aber dennoch Eisen oder Apfel.
Thomas von Aquin: Ein übernatürlicher Wandlungsprozess
In der Eucharistie passiert laut Thomas von Aquin nun etwas, das völlig verschieden ist von allen natürlichen "Wandlungsprozessen". Denn es sind nicht die äußeren Eigenschaften von Brot und Wein, die sich verändern. Die Konsistenz, der Geschmack, das Aussehen und der Geruch bleiben auch nach der Wandlung gleich. Es ist die Substanz, das Wesen, das sich wandelt und zu Leib und Blut Christi wird. "Diese Verwandlung ist also den natürlichen Verwandlungen nicht ähnlich, sondern gänzlich übernatürlich, allein bewirkt durch Gottes Kraft", erklärt Thomas in seiner "Summa theologiae III".
Dennoch kann laut Thomas auch dieser Vorgang mit dem Verstand nachvollzogen werden. Aristoteles hat für einen solchen Fall ein sehr anschauliches Beispiel: nämlich das einer Türschwelle. Durch sinnliche Wahrnehmung alleine kann man sie höchstens als ein Stück Holz einer bestimmten Form definieren. Erst der Verstand sagt dem Betrachter, dass dieses Stück Holz an einer bestimmten Position eine bestimmte Funktion erfüllt und so zur Türschwelle wird. Verändert man die Position, hört die Türschwelle auf eine solche zu sein.
In der Eucharistie werden Brot und Wein nun auch in eine andere "Position" gebracht und durch die Wandlungsworte des Priesters in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt. Dabei beruft er sich auf die Autorität der Worte Jesu. Wenn die Gläubigen an Fronleichnam - und an jedem Sonntag - die wahrhafte Gegenwart Jesu unter den Zeichen von Brot und Wein feiern, dann hilft ihnen das Sakrament der Eucharistie, die bedingungslose Liebe Gottes in Worte und Zeichen zu fassen.