Bischof Dieser: Habe den Eindruck, dass Rom uns nicht richtig versteht
Am Freitag wird eine Abordnung deutscher Bischöfe im Vatikan zu Gesprächen empfangen. Thema ist der Synodale Weg, den der Vatikan wiederholt kritisiert hat. Der Aachener Bischof Helmut Dieser ist Co-Vorsitzender des Synodalforums, das sich mit dem Themenfeld Sexualität und Partnerschaft befasst. Im Interview erläutert er seine Sicht auf die römisch-deutschen Spannungen in der Reformdebatte. Zudem blickt er auf die künftige Rolle der Kirche in der Gesellschaft und sagt, warum er an die Auferstehung glaubt.
Frage: Herr Bischof, die Christen bereiten sich auf ihr höchstes Fest Ostern vor. Im Mittelpunkt steht der Glaube an die Auferstehung. Aber laut Umfragen hadern selbst viele Christen damit. Was bewegt Sie persönlich, an eine Auferstehung zu glauben?
Dieser: Als einzigem Lebewesen auf der Welt ist den Menschen bewusst, dass sie sterblich sind und ihr Leben begrenzt ist. Irgendwann haben sie angefangen, sich von ihren Toten zu verabschieden und sie zu bestatten – vielfach verbunden mit Grabbeigaben. Darin spiegelt sich schon eine Reflexion: Nämlich dass die Verstorbenen die Sachen noch gebrauchen können und das Leben auf der Erde der Anfang von etwas Größerem ist.
Frage: Aber was legt Ihnen diesen Glauben nahe?
Dieser: Es ist zum Beispiel sehr prominent das Zeugnis des Apostels Paulus, der Christus zunächst verfolgt hat. Er berichtet darüber, dass der gekreuzigte und dann auferweckte Jesus anderen und dann auch ihm erschienen ist. Dieses Zeugnis der ersten Frauen und Männer, die Jesus, den Auferstandenen, gesehen haben, wofür sie dann später sogar getötet wurden, ist die Basis des Osterglaubens. Und ich nehme ihnen das ab.
Frage: Irgendwie unvorstellbar...
Dieser: Durchaus, aber doch nicht unmenschlich. Ich persönlich würde am Leben verzweifeln, wenn es diese Hoffnung auf Auferstehung nicht gäbe. Denn der Mensch ist ja auch des Menschen Wolf, der wie kaum ein anderes Lebewesen auf sich selbst bezogen ist und dabei seine eigene Art verfolgt und zerstört. Auch Jesus wurde Opfer dessen, was wir theologisch Sünde nennen. Er ist stellvertretend für uns den Weg nach ganz unten gegangen. Und wenn dieser Jesus auferstanden ist, gibt mir das Hoffnung. Das ist aber kein Aussteigerprogramm,...
Frage: Sondern?
Dieser: ...hat Rückwirkungen auf dieses Leben hier. Nun geht es nicht mehr darum, alles aus dem irdischen Dasein herauszuholen, was es herauszuholen gibt, und dem anderen die Existenz streitig zu machen. Jetzt geht es im Gegenteil darum, wie Jesus sein Leben für den anderen einzusetzen und den Mitmenschen ins Leben zu helfen.
Frage: Kirchenführer beklagen immer wieder eine Gottvergessenheit in der Gesellschaft. Wenn man sich so die derzeitige Weltlage anguckt, dann wirkt Gott sehr abwesend. Gebete vieler Menschen, den Krieg im Nahen Osten und in der Ukraine zu beenden, scheinen ins Leere zu laufen.
Dieser: Das ist ja die Frage, die sich schon der biblische Hiob stellte: wie Gott denn das ganze Leid zulassen kann, obwohl er fromm und gläubig ist. Aber mit Gott ist es nicht so, dass er einen Aggressor sofort stoppt, sobald man ihn darum bittet. Dennoch habe ich weiter Vertrauen in Gott. Gerade für die vielen Opfer von Gewalt und Krieg eröffnet der Glaube doch die größte – nämlich dass Gott im Letzten den Angreifer zur Rechenschaft zieht und Gerechtigkeit herstellt. Eine endgültige Versöhnung kann es nicht geben, wenn es diese Art von Gerechtigkeit nicht gäbe. Was wahr ist, muss auch mal endgültig wahr sein dürfen.
Frage: Katholische wie evangelische Kirche in Deutschland verlieren massiv Mitglieder. Welche Folgen erwarten Sie mittel- und langfristig?
Dieser: Wir werden im Vergleich zu heute Minderheit werden. Der gesellschaftliche Relevanzverlust wird sicher gravierend sein. Die Politik wird mit uns keine Wahlen mehr gewinnen wollen. Dennoch werden wir gesellschaftlich anschlussfähig bleiben, weil unsere Botschaft nichts an Kraft und Aktualität verloren hat. Zu unseren ersten Pflichten als Christen gehört unser soziales oder – theologisch gesprochen – diakonisches Engagement. Und damit bleiben wir höchst wirksam für das Gemeinwohl, was allgemein auch anerkannt wird.
Frage: Wie könnte die Kirche ihre Attraktivität wieder steigern?
Dieser: Es kommt darauf an, eine Sprache zu sprechen, die heute gehört wird, um anschlussfähig zu bleiben. Und wir müssen da reden, wo heute gehört wird: Das kann dann auch an ganz ungewöhnlichen Orten von Kirche sein – im Digitalen wie im Analogen. Da haben wir noch viel Luft nach oben. Auch in der Frage: Was sind denn eigentlich die Bedürfnisse der Menschen? Dieser Perspektivwechsel muss uns gelingen.
Frage: Muss sich die Kirche nicht auch mehr für Reformen öffnen?
Dieser: Reformen und Weiterentwicklung der Lehre sind ein erster wichtiger Schritt. Aber ich erwarte nicht, dass alle klatschen und in Scharen zu uns strömen, nur weil wir endlich Reformen umsetzen.
Frage: Auf dem Synodalen Weg hat der Vatikan die rote Kelle gezückt und einem Entscheidungsgremium aus Klerikern und Laien – dem Synodalen Rat – eine Absage erteilt. Wie frustriert sind Sie?
Dieser: Ich bin eher besorgt. Ein solches öffentliches Spiel dürfen wir nicht weiterdrehen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Rom nicht richtig verstanden werden. Manches, was dort angemahnt wird, machen wir gar nicht. Ich wünsche mir eine andere Art der Kommunikation zwischen dem Vatikan und der deutschen Kirche. Auf Augenhöhe. Bisher hat Rom deutlich gezeigt, dass sein Handlungshebel länger ist und auch dort bestimmt wird, ob und wann Gespräche stattfinden.
Frage: Wie kann sich der zugespitzte Konflikt zwischen Rom und der deutschen Kirche lösen?
Dieser: Ich hoffe, dass der geplante Austausch mit Rom zu mehr Verständnis führt. Einen solchen direkten Austausch hätte es schon viel früher gebraucht. Leider sind die Laien, die Co-Vorsitzende der vier Themengruppen beim Synodalen Weg sind, nicht mit eingeladen worden. Das ist nicht der Stil von Leitung, wie wir ihn in Deutschland zu etablieren versuchen.
Frage: Die katholische Kirche in Deutschland kämpft insbesondere für mehr Beteiligung von Laien an Entscheidungen. Die Idee ist, dass sie mit den Bischöfen in einem Synodalen Rat über Grundsatzfragen entscheiden. Der Vatikan lehnt das ab. Kardinal Kasper schlägt als Alternative das "Rottenburger Modell" vor. Im dortigen Diözesanrat sind Kleriker und Laien vertreten; und die Mehrheitsbeschlüsse des Gremiums werden nur dann wirksam, wenn der Bischof zustimmt. Was halten Sie davon?
Dieser: Wie der Synodale Rat genau aufgestellt werden soll, ist ja noch nicht zu Ende gedacht. Das sollte ja noch weiter erarbeitet werden – durch den Synodalen Ausschuss. Dessen Vorhaben, den Synodalen Rat zu Ende zu denken, hat der Vatikan kürzlich untersagt. Die erste Vorlage zur Ausgestaltung des Rates haben wir Bischöfe abgelehnt. Denn mit diesem Vorschlag hätte die Gefahr bestanden, dass ein Bischof in die Minderheit gerät und am Ende noch vor eine Schiedsstelle hätte ziehen müssen. "Katholisch" geht aber anders: Man kann nicht gegen den Papst oder gegen den Bischof katholisch sein, sondern nur mit dem Papst und mit dem Bischof. Dann geht viel.
Frage: Der Synodale Weg – und auch Sie persönlich – haben sich für eine Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualmoral ausgesprochen. Jetzt hat der Papst die Tür einen Spalt geöffnet und ermöglicht den Segen für homosexuelle Paare, wenn auch nur im privaten Rahmen. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?
Dieser: Ich glaube, dass das der Anfang einer Weiterentwicklung der Lehre ist. Allerdings muss man sich darauf einstellen, dass das noch ein längerer Prozess sein wird. Mit der kleinen Öffnung hat der Papst nicht die Lehre verändert. Er hat aber deutlich gemacht, dass das Handeln nicht eins zu eins die Lehre abbilden muss. Das weist indirekt darauf hin, dass die Lehre ein Potenzial zur Weiterentwicklung hat. Das spüren die Kritiker dieser Entscheidung, weshalb sie auch so vehement dagegen Position beziehen.
Frage: Dazu gehören Bischöfe in Afrika, Amerika oder Osteuropa. Gehört die Ablehnung queeren Lebens zum Wesenskern des Katholischen?
Dieser: Überall in der katholischen Kirche nimmt man wahr, dass es in den eigenen Reihen queere Menschen gibt. Es wird dann häufig ignorierend zugelassen, was zu einem schrecklichen Doppelmoral-Verhalten und zu Lügen führt. Die Kirche muss sich hier ehrlicher machen. Ich glaube nicht, dass wir über die Sexualität des Menschen schon alles gesagt haben. In Deutschland sind wir schon etwas weiter; hier werden queere Menschen nicht mehr ignoriert oder ausgeschlossen. Im Gegenteil: Sie gehören selbstverständlich und ausdrücklich dazu.