Nach Sperre von Traditionalisten-Blog: Wie tief reicht der Konflikt?
Im virtuellen Schlachtfeld der katholischen Debatten sind sie allgegenwärtig: Traditionalisten und Reformer. Auf Blogs, Portalen und Social-Media-Kanälen liefern sie sich Wortgefechte um Liturgie, Lehramt und Deutungshoheit. Dabei scheinen die Traditionalisten den Reformern im Netz oft eine Nasenlänge voraus zu sein – mit erfolgreichen Blogs und vielgelesenen Plattformen. Ein Beispiel ist der 2007 gestartete Blog italienischer Anhänger der vorkonziliaren Messe, "messainlatino.it", der allein im Juni 2025 nach eigenen Angaben über eine Million Besuche zählte – bevor Google ihn jüngst sperrte. Blog-Chefredakteur Luigi Casalini kündigte rechtliche Schritte an: Die italienische Verfassung verbiete die Unterdrückung von Gedanken- und Meinungsfreiheit.
Geht es hier um Zensur? Wird die Meinungsfreiheit angegriffen? Diese Fragen stellen sich nun auch Unterstützer des Blogs. Google verwies auf seine Content-Richtlinien, die Hassrede verbieten – also Inhalte, die Gewalt oder Diskriminierung gegen Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften befördern. Google schreibt dazu: "Hassreden sind untersagt. Das sind Inhalte, die Gewalt gegen Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund von Hautfarbe oder ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Behinderung, Alter, Nationalität, Veteranenstatus, sexueller Orientierung, Geschlecht, geschlechtlicher Identität oder anderen Eigenschaften fördern oder billigen, die mit systematischer Diskriminierung oder Ausgrenzung verbunden sind, oder deren primäres Ziel darin besteht, Hass zu schüren".
Inwiefern der Vorwurf auf "messainlatino.it" zutrifft, bleibt unklar. Der italienische Theologe und Liturgieprofessor Andrea Grillo spricht von Verunglimpfungen des Blogs, die Hass schürten. Ein Bekannter habe ihn um Solidarität mit der Internetseite gebeten, erzählt Grillo. Doch wie könne er sich mit jenen solidarisieren, die persönliche Beleidigungen zur Regel machten? "Wenn man Texte und Kommentare voller Verleumdungen und Beleidigungen im Netz hinterlässt, findet man kaum eine gute Verteidigungslinie", sagt der Liturgiker. Zwar nehme er niemandem das Recht, Kritik zu üben – doch Beleidigungen führten zu nichts. "Aus der Logik der Beleidigung herauszukommen und die hohe Kunst der Argumentation zu erlernen, ist eine schwierige Aufgabe."
Aufgeheizte Debatten
Die Sperrung des Blogs fällt in eine Zeit aufgeheizter Debatten – nicht nur über die "Alte Messe", sondern auch über den künftigen Heiligen Carlo Acutis. Grillo selbst war auf dem erwähnten Blog bereits mehrfach Zielscheibe von Hasskommentaren, etwa weil er das 2021 von Papst Franziskus veröffentliche Dokument "Traditionis custodes" verfasst haben soll, mit dem die traditionelle Liturgie eingeschränkt wurde. Zuletzt stand er vor allem aufgrund eines kritischen Artikels im Fokus. Darin hatte er die eucharistische Frömmigkeit von Acutis scharf kritisiert und seinen Lehrern eine "verzerrte, veraltete und unausgewogene Theologie" vorgeworfen. Acutis hatte zu Lebzeiten eine Website über eucharistische Wunder aufgesetzt. Statt die Eucharistie als kirchliche Gemeinschaft zu verstehen, habe man den Jugendlichen auf Wunderfixierung und fragwürdige Frömmigkeitsformen gelenkt, kritisierte der Liturgiewissenschaftler in seinem Artikel. Die von Acutis initiierte Ausstellung über eucharistische Wunder sei theologisch schwach, weltfremd und vernachlässige den wahren Kern der Eucharistie, so Grillo weiter. Acutis sei demnach Opfer einer "schlechten eucharistischen Erziehung", die Jugendlichen kein Vorbild sein dürfe. Verantwortlich dafür seien der ehemalige Kurienkardinal Angelo Comastri, Bischof Raffaello Martinelli und der Dominikaner Roberto Coggi. Die von ihnen verfassten Texte auf Acutis' Internetseite zu den eucharistischen Wundern wirkten, "als kämen sie aus einer anderen Welt, aus abgeschotteten Büros oder fensterlosen Zimmern" – ein Paradox für einen "Super-Kommunikator" wie Acutis.
Die Sperrung des Blogs fällt in eine Zeit aufgeheizter Debatten – nicht nur über die "Alte Messe", sondern auch über den künftigen Heiligen Carlo Acutis.
Grillo erntete dafür heftige Gegenwehr und alles andere als freundliche Kommentare – nicht nur von "Messa in Latino". Der ebenfalls traditionalistische Blog "Rorate Caeli" warf ihm vor, das traditionelle Verständnis der Eucharistie zu hassen und "verborgenen Hass auf das Dogma der Transsubstantiation" zu zeigen. In früheren Jahrhunderten gäbe es dafür die Exkommunikation, heißt es laut dem Blog – unter Franziskus soll er das 2021 veröffentlichte Dokument "Traditionis custodes" geschrieben haben, mit dem die vorkonziliare Liturgie eingeschränkt wurde.
Auch Grillos Arbeitgeber, das Päpstliche Athenaeum Sant'Anselmo, ging auf Distanz – ohne den Professor namentlich zu nennen. Man distanziere sich "von Äußerungen einzelner Professoren, die in persönlicher Eigenschaft und in alleiniger Verantwortung auf ihren Websites oder Blogs Thesen, Meinungen oder persönliche Positionen veröffentlichen. Diese vertreten nicht das, was in den verschiedenen Fakultäten unseres Athenaeums gelehrt wird", heißt es in der Erklärung. Zudem bekenne sich die Hochschule "voll und ganz" zur Lehre der Kirche und des Papstes. Ein Vorwurf zwischen den Zeilen oder nur der Versuch, die Wogen zu glätten? "Rorate Caeli" nennt die Erklärung lächerlich, fordert eine Untersuchung und die Entlassung Grillos. "Entweder wird Grillo entlassen, oder die Verhöhnung der Eucharistie und der vollkommen orthodoxen eucharistischen Frömmigkeit eines zukünftigen Heiligen wird vom Anselmianum in vollem Umfang zugegeben", heißt es.
Konflikte auch bei anderen Plattformen
Doch die Spannungen um Grillo und die Sperrung von "Messa in Latino" sind für jene aus dem traditionalistischen Kreis nur Teil eines größeren Zusammenhangs – eines langen schwelenden Konflikts um den Kurs des Vatikans. In den Diskussionen etwa auf der Plattform "X" sehen nicht gerade wenige die Sperrung auch im Kontext eines kürzlich geleakten Berichts des vatikanischen Glaubensdikasteriums, wonach Bischöfe weltweit der "Alten Messe" weit positiver gegenüberstünden, als es "Traditionis custodes" nahelegt. Der Vatikan bestätigte die Echtheit des Leaks nicht. Auf Blogs und in sozialen Medien hieß es dennoch, Franziskus habe in diesem Zusammenhang nicht die Wahrheit gesagt. Ähnliche Gerüchte gab es schon im Vorjahr, als über ein noch restriktiveres Dokument spekuliert wurde, das jedoch nie veröffentlicht wurde – oder gar nicht erst existiert. Viele hoffen nun auf Papst Leo XIV. und einen Kurswechsel – für den sich bereits kurz nach der Papstwahl ganz prominent auch Kardinal Raymond Burke bei Leo eingesetzt hatte.
Ob es dazu kommt, ist offen. Sicher ist nur, dass die Konflikte um Kurs und Kontrolle längst auch andere katholische Plattformen aus den traditionalistischen Kreisen erschüttern. So kam es unter anderem auch bei der einstigen kanadischen Anti-Abtreibungs-Plattform "Lifesitenews" zum Bruch: Mitgründer und Chefredakteur John Henry Westen wollte das Portal Medienberichten zufolge noch viel stärker als ohnehin schon auf Evangelisierung und Mission ausrichten und das Unternehmen in eine traditionelle katholische Evangelisierungsorganisation mit Fokus auf die lateinische Messe verwandeln. Die Vorstandsmitglieder der Plattform widersetzten sich jedoch dieser Idee, da die Mehrheit der Leserinnen und Leser weder Anhänger der "Alten Messe" noch traditionelle Katholiken sind. Kurz darauf wurde Westen entlassen.
Viele hoffen nun auf Papst Leo XIV. und einen Kurswechsel – für den sich bereits kurz nach der Papstwahl ganz prominent auch Kardinal Raymond Burke bei Leo eingesetzt hatte.
Scheinbar steckt mehr hinter der Entlassung, wie etwa ein Beitrag auf "X" von Mitbegründer Steve Jalsevac zeigt. Darin warf Jalsevac Westen vor, er würde sich als Alleininhaber inszenieren und habe mit seiner Neuausrichtung den drastischen Rückgang von Leserschaft und Spenden von "Lifesitenews" zu verschuldet. Laut Jalsevac sei Westen mit der Veränderung der Mission für den negativen Trend verantwortlich. Die Organisation wolle deshalb wieder zum Gründungsauftrag zurückkehren. Wenig später verschwanden sowohl der Beitrag als auch Jalsevacs Profil von X. Der Text liegt katholisch.de vor. Westen gibt sich jedoch unbeeindruckt, kündigte trotz massiver Kritik an YouTube einen neuen YouTube-Kanal an und warb weiterhin für den Aufbau unabhängiger Strukturen, um nicht länger von Google, Facebook & Co. abhängig zu sein – eine Investition, die "Lifesitenews" offenbar scheute.
Eskalation nach Absetzung
Nach Westens Entlassung eskalierte der Machtkampf bei Lifesitenews weiter: Der Vorstandsvorsitzende erklärte laut einem Beitrag eines Mitarbeiters die Absetzung für "illegal" und setzte eine außerordentliche Sitzung für den 22. Juli an. Der neue Co-CEO Robert Hoover löschte Westens interne Mitteilung umgehend aus den Postfächern und verteidigte die Entlassung. Hoover, der ohne Erfahrung im katholischen Medienbereich von Microsoft kam, verhängte außerdem einen strikten Kontrollkurs mit Vorzensur von Artikeln und eingeschränktem Zugriff für Mitarbeiter – ein "tyrannischer Lockdown", wie es intern heißt. Selbst die Webseite war zeitweise für manche Mitarbeiter gesperrt.
Was bleibt, sind nicht nur Sperrungen und Umstrukturierungen, sondern scharf geführte Kämpfe um Deutungshoheit, Einfluss und die Zukunft der Kirche – ausgetragen nicht nur in Rom, sondern vor allem in den digitalen Schützengräben von Blogs und Plattformen. Scheinbar nicht mehr nur gegen- sondern auch untereinander, wie das Beispiel von "Lifesitenews" zeigt. Und längst geht es dabei um weitaus mehr als nur um Liturgie.
