Zur Andacht gestimmt: Franz Schuberts "Heilig" und "Ehre sei Gott"
Geistliche Chorlieder aus Meisterhand, die bald zu gemeindlichen Kirchenliedern geworden sind – das wäre wohl eine treffliche Kurzformel für die Gesänge "Zum Gloria" und "Zum Sanctus" aus Franz Schuberts "Deutscher Messe". Die Worte sind der religiösen Aufklärung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verpflichtet, sprechen aber in ihrer spirituellen "Tonart" bis heute viele Menschen unmittelbar an. Und Schuberts ohnehin überragende Liedkunst steht im Einklang mit seiner persönlichen Frömmigkeit.
In einem Brief an Vater und Stiefmutter vom 25. Juli 1825 beschreibt Franz Schubert (1797–1828) anschaulich seine "nie forcierte" persönliche Andacht: "Auch wunderte man sich sehr über meine Frömmigkeit, die ich in einer Hymne an die heilige Jungfrau ausgedrückt habe, und wie es scheint, die Gemüter ergreift und zur Andacht stimmt. Ich glaube, das kommt daher, weil ich mich zur Andacht nie forciere, und, außer wenn ich von ihr unwillkürlich übermannt werde, nie der gleichen Hymnen und Gebet komponierte, dann aber ist sie auch gewöhnlich die rechte und wahre Andacht."
Diese deutschsprachige "Schubert-Messe", im letzten Lebensjahr des Komponisten etwa zeitgleich mit dem berühmten "Zyklus schauerlicher Lieder", der "Winterreise" für Gesang und Klavier, komponiert, gehört einerseits zum kulturellen Erbe aus der klassisch-romantischen Epoche. Zum anderen sind insbesondere die im Gotteslob von 2013 enthaltenen Gesänge "Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe" und "Heilig, heilig, heilig", auf die das "alte" Gotteslob bekanntlich noch verzichtet hatte, aus der Kirchenmusik schlichtweg nicht wegzudenken. Im Gotteslob-Eigenteil für Österreich ist sogar die komplette Schubert-Messe von "Wohin soll ich mich wenden?" (Zum Eingang) bis "Herr, du hast mein Flehn vernommen" (Schlussgesang) enthalten. Der Komponist Ernst Tittel (1910–1969) bringt das Lob für diese Messgesänge so auf den Punkt, dass wohl auch manche kirchlich Distanzierten zustimmen können: "Das Wiener Gemüt und die Seele Österreichs haben hier eine ihrer schönsten Offenbarungen gefunden."
Wie es zu dieser "Deutschen Messe" kam
Auftraggeber der Komposition war deren Textdichter Johann Philipp Neumann (1774–1849). Er hat in Wien nicht nur Philosophie und Recht, sondern auch klassische Philologie und Naturwissenschaften studiert. Nach Tätigkeiten als Lehrer für alte Sprachen und für Physik, unter anderem in Graz, wurde er 1815 auf eine Professur für Physik an das Polytechnische Institut Wien berufen, das heute Technische Universität heißt. Nebenbei veröffentlichte er Gedichte unter dem Titel "Ernst, Frohsinn und Scherz" (1830).
Berühmt jedoch wurde er durch die von Schubert vertonten "Gesänge zur Feier des heiligen Opfers der Messe, nebst einem Anhange enthaltend das Gebet des Herrn", so der Titel. Vor dem selbstverständlichen Hintergrund ausschließlich lateinisch gefeierter Messen blickt Neumann poetisch und sozusagen durch die Brille der frommen Aufklärung auf den zentralen christlichen Gottesdienst. Gewiss will er zum andächtigen Teilnehmen inspirieren, das mit heutiger "actuosa participatio" nicht gleichzusetzen ist, aber auch keineswegs deren Gegenteil darstellt. Typisch für Neumanns Dichtung ist das helle Licht, in dem Gottvater als "Gott in der Höhe" (Gloria) steht, der "ewig ist und waltet" (Sanctus). Sein Mensch gewordener Sohn Jesus Christus rückt hingegen leider in den Schatten.
Was Neumann zur Dichtung und zum Kompositionsauftrag an Schubert bewogen hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Überliefert sind die Zeilen, mit denen Schubert am 16. Oktober brieflich den Empfang seines Honorars quittiert hat: "Geehrtester Herr Professor! Ich habe die 100 Gulden, welche Sie mir für die Composition der Meßgesänge schickten, richtig empfangen, und wünsche nur, daß selbe Composition den gemachten Erwartungen entsprechen möge."
Neumann hat seine Dichtung der Zensurbehörde zur Genehmigung vorgelegt, die am 24. Oktober ihr "admittuntur" – im Sinne von: darf verwendet werden – jedoch mit dem Hinweis "nicht zum öffentlichen Kirchengebrauche" deutlich eingeschränkt hat. Dieses später aufgehobene "Verbot" ändert jedoch nichts daran, dass in jenen Jahren die volkssprachlichen Messgesänge – als Gesänge zur Messfeier, um es zu wiederholen – auf Erfolgskurs waren. Mit kirchenpolitischem "Rückenwind" versuchte man im sogenannten "Josephinismus" den deutschsprachigen Gesang breit zu etablieren.
Ein berühmter Hirtenbrief des Salzburger Erzbischofs Hieronymus Graf Colloredo vom 20. Juli 1782 begründet das so: "Nächst der Bibel sind gute Kirchenlieder in der Muttersprache eines der fürtrefflichsten Mittel, den öffentlichen Gottesdienst erbaulich und zur Erweckung religiöser Gefühle beförderlich zu machen."
Aufführungen und Bearbeitungen
Wer aber sollte diese Messgesänge damals eigentlich singen und spielen? Neumann und Schubert dachten wohl zunächst an kleinere und größere kirchliche Chöre. Vermutlich deshalb schrieb Schubert zwei Fassungen: eine schlichte erste Version für gemischten Chor und Orgel; die alternative zweite mit recht groß besetztem Orchester aus Holz- und Blechbläsern – 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen – sowie Pauken und Kontrabass, wobei wiederum die Orgel mitwirken kann, aber nicht muss. Diese zweite Besetzung lässt vielleicht an eine Messfeier "open air" denken, bei der der Kontrabass die tiefen Töne des nicht vorhandenen Orgelpedals zu übernehmen hat. Leider hat Schubert seine am häufigsten aufgeführte Messe wohl nie in einem Gottesdienst gehört! Ob das ein oder andere Stück daraus vielleicht gelegentlich bei einer abendlichen "Schubertiade" intoniert wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.
Erst etwa 15 Jahre nach dem Tod des Komponisten sind Aufführungen nachweisbar. Am 8. Dezember 1846, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, dirigierte Schuberts Bruder Ferdinand die "Deutsche Messe" in der Wiener Kirche St. Anna. In der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung erschien ein Bericht, der die Komposition als "einfach, erhaben und fasslich selbst für den ungebildetsten Laien" lobt, zugleich aber Michael Haydns älteres Schwesterwerk, nämlich die deutsche Messe "Hier liegt vor deiner Majestät", für wichtiger und gelungener hält.
Schubert verbindet Erdentöne mit Himmelsklängen
Schuberts Musik verknüpft eingängige Melodik mit farbiger Harmonik und andächtig-feierlichen Rhythmen. Beim "Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe!" will das menschliche "Stammeln" all derer, "die die Erde gebar" in den "Hymnus angelicus" (Lukas 2,14) der Engel einstimmen. Und das bleibt nicht eine "Absichtserklärung", sondern wird musikalisch Gegenwart. Ganz am Ende erhebt sich das kurze Nachspiel wie ein Echo wieder gen Himmel. Einen guten Eindruck von diesen imposanten Klängen gibt die Video-Aufzeichnung aus der Osternacht 2019 im Wiener Stephansdom.
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Auch beim "Heilig, heilig, heilig" gelingt Schubert mit schlichter Melodik und geradezu raffinierter Harmonik ein Kunstwerk ersten Ranges. Die Tonwiederholungen bei den Worten "Er, der nie begonnen" erzeugen ein ganz natürliches Crescendo. Der letzte Abschnitt gleicht dem ersten bis auf zwei Töne, die verändert sind. Dadurch werden die wichtigsten Worte "waltet" (Sprung) und "sein" (höchster Ton) betont. Die Harmonik ist ein Spiel des Sich-Öffnens und wieder Schließens, ebenso natürlich wie kunstvoll.
Der Mainzer Germanist und Liederforscher Hermann Kurzke beschreibt das gottesdienstliche Singen dieses "Heilig, heilig, heilig" so: "'Sehr langsam', lautet die Tempobezeichnung im Autograph (siehe Titelbild), und das Pianissimo dominiert drei der vier Zeilen. Entsprechend getragen und innig pflegt das Lied gesungen zu werden. Es bietet eine der seltenen Gelegenheiten, die Seele ungestört ausschwingen zu lassen. Die Singenden werden nicht gehetzt, wenn der Organist sein Handwerk versteht. Muss er sonst meistens eine träge Gemeinde hinter sich herschleppen, so darf hier die Gemeinde bei ihrem Tempo verweilen, ja sich exzessiv der Langsamkeit hingeben. Die Zeit wird nichtig, in ihrem Gefolge der Raum."
Singen wir "zum" Sanctus oder "das" Sanctus?
Aber Schuberts Messgesänge polarisieren! Hier die "Fans", die auf diese "Deutsche Messe" nicht verzichten wollen. Dort die Wissenschaftler, die zum wiederholten Male erklären, dass Schubert eine Messe im heutigen Sinn, also im Verständnis von Liturgie, wie das Zweite Vatikanische Konzil sie reformiert hat, weder komponiert hat noch komponieren wollte und konnte. Was aber dann? Dieses Werk besteht aus Gesängen zur Messe, die es heute nach Ansicht mancher gar nicht mehr braucht, weil wir ja nicht mehr "zum Sanctus" (des Priesters, der die Worte leise spricht) singen, sondern das Sanctus. Und für "das" Sanctus taugen eben nur die "originalen" biblischen Worte aus dem Prophetenbuch Jesaja, Kapitel 6. Im Benedictus kommt noch die "Resonanz" auf Jesu Einzug in Jerusalem aus dem Neuen Testament mitsamt dem "Hosanna"-Ruf hinzu, wovon Schuberts Gesang leider gar nichts weiß.
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Die "Macher" des neuen Gotteslobs haben ein weises Urteil gesprochen, indem sie die beiden Lieder "Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe" und "Heilig, heilig, heilig" zwar in den Stammteil aufgenommen, sie aber nicht unter die Messgesänge, sondern in den Abschnitt "Lob, Dank und Anbetung" eingeordnet haben. Damit erübrigten sich womöglich kritische Fragen im kirchlichen Genehmigungsverfahren. In der Praxis spielt diese veränderte Rubrizierung freilich kaum eine Rolle. Wer nämlich singt das "Schubert-Heilig" bereits als Loblied zur Gabenbereitung oder das "Ehre sei Gott" am Schluss einer Messfeier? Auch heute erklingen die Lieder wohl meist an den Stellen, für die sie schon bei ihrer Entstehung vorgesehen waren.
Den nachkonziliaren Erwartungen nicht mehr entsprechend?
Ein zwischen den "Fronten" vermittelnder Gedanke: Sollte es nicht auch in der Liturgie Regeln und Ausnahmen geben? Wenn die Gemeinde regelmäßig das vollständige Sanctus singt, darf es die klug dosierten Ausnahmen mit dem "Schubert-Heilig" (ohne den vorgeschriebenen Wortlaut) oder die chorische Ausführung des Sanctus (ohne aktiv singende Gemeinde) durchaus geben. Wenn das "Thema" des Singens und Feierns klar ist, ermöglicht dies auch gleichsam "kontrapunktische" Nebenstimmen.
In der Liturgie sind wir bisweilen "zu Gast in fremden Zelten" (Fulbert Steffensky). Worauf es immer ankommt, ist die gelingende Aneignung. Sie scheint wichtiger als die keineswegs unbegründete Kritik, die man aber – anklingend an Schuberts Worte von seiner Frömmigkeit – als "forcierte Ablehnung" bezeichnen könnte. Ein Patentrezept für liturgisch-musikalische Entscheidungen – im Spannungsfeld von "actuosa participatio" und Weitergabe des "Schatzes der Tradition", wozu die "Schubert-Messe" zählt – gibt es nicht. Eher geht es um ein behutsam-aufmerksames Abwägen.
Wer die strikte Ablehnung jeder Abweichung vom eigentlichen Wortlaut für ähnlich problematisch hält wie die unbedachte Ersetzung des Gloria- oder Sanctus-Gesangs durch irgendein Loblied, kann mit Franz Schubert gut leben und glauben. Und so singen, dass – vielleicht – auch "expressis verbis" Ungesagtes nicht verschwiegen bleibt, sondern mitklingt im Dienst an jener "rechten und wahren Andacht", von der Franz Schubert im eingangs zitierten Brief schreibt.
Der Autor
Der Musikwissenschaftler und Theologe Meinrad Walter (*1959) ist Referent im Amt für Kirchenmusik der Erzdiözese Freiburg und stellvertretender Leiter des Instituts für Kirchenmusik an der Musikhochschule Freiburg. Neben seiner Tätigkeit im Rundfunk hat er zahlreiche Bücher publiziert, unter anderem zu den Werken von Johann Sebastian Bach sowie zu Liedern des Gotteslob.
GL 388: Heilig, heilig, heilig
Heilig, heilig, heilig, / heilig ist der Herr!
Heilig, heilig, heilig, / heilig ist nur er!
Er der nie begonnen, / er, der immer war,
ewig ist und waltet / sein wird immerdar.
[Heilig, heilig, heilig, / heilig ist der Herr!
Heilig, heilig, heilig, / heilig ist nur er!
Allmacht, Wunder, Liebe, / alles rings umher!
Heilig, heilig, heilig, / heilig ist der Herr.]
GL 413: Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe
1. "Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe!",
singet der Himmlischen selige Schar.
"Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe!",
stammeln auch wir, die die Erde gebar.
Staunen nur kann ich, und staunend mich freun,
Vater der Welten, doch stimm ich mit ein:
"Ehre sei Gott in der Höhe!"
2. "Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe!",
kündet der Sterne strahlendes Heer.
"Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe!",
säuseln die Lüfte, brauset das Meer.
Feiernder Wesen unendlicher Chor
jubelt im ewigen Danklied empor:
"Ehre sei Gott in der Höhe!"
Text: Johann Philipp Neumann (1827)
Musik: Franz Schubert (1827)
Die [eingeklammerte Strophe] ist im Gotteslob nicht abgedruckt.