Journalist: Konservative Papst-Kritiker wollen ein Schisma auf Raten
Die Segenserklärung "Fiducia supplicans" des vatikanischen Glaubensdikasteriums erhitzt seit ihrer Veröffentlichung im Dezember immer noch die Gemüter. Eine der Folgen des Papiers war massive Kritik von konservativen Kirchenmännern und Gläubigen an Papst Franziskus und seinem Kardinal Víctor Manuel Fernández, dem verantwortlichen Präfekten. Um diesem Shitstorm etwas entgegenzusetzen, hat die spanischen Nachrichtenseite "Religión Digital" eine Kampagne zur Unterstützung des Papstes initiiert. José Manuel Vidal, Leiter des Mediums, verrät im Interview, wie viele Menschen bereits mitgemacht haben, was progressive und konservative Kirchenkritik unterscheidet – und wie Franziskus selbst auf die Aktion reagiert hat.
Frage: Warum haben Sie die Kampagne zur Unterstützung von Papst Franziskus ins Leben gerufen, Herr Vidal?
Vidal: Es ist nicht das erste Mal, das wir dem Papst unsere Unterstützung aussprechen – das haben wir bereits vor einigen Jahren getan. Es gehört zu unserer redaktionellen Ausrichtung, für die Reformen von Franziskus einzutreten. Wir haben unsere aktuelle Kampagne im Januar ins Leben gerufen, um auf die harsche Kritik an "Fiducia supplicans" zu reagieren. Unserer Auffassung nach sind die rigoristischen Kritiker des Papstes nur wenige, doch sie machen sehr viel Lärm. Dem wollen wir etwas entgegensetzen. Wir wollen mit unserer Kampagne allen Gläubigen – den Laien, aber auch Priestern und Bischöfen – die Möglichkeit geben, Franziskus zu zeigen, dass sie ihn wertschätzen und seine Reformen unterstützen.
Frage: Sie haben die heftige Kritik an Franziskus und seinem kirchenpolitischen Kurs angesprochen. Was unterscheidet die Kritik am aktuellen Kirchenoberhaupt von der an seinen Vorgängern?
Vidal: Derzeit wird Kritik am Papst sehr offen und polemisch geäußert, das hat sich im Vergleich zur Vergangenheit stark verändert. Ein Grund dafür ist die generelle Ausrichtung von Papst Franziskus, die einen anderen Fokus setzt als die seiner Amtsvorgänger. In der Kirche gibt es immer unterschiedliche Meinungen und Vorlieben, die aber in der Regel nicht dazu führen, dass mit der kirchlichen Gemeinschaft gebrochen wird. Damit sich alle in dieser Einheit wiederfinden, wechselt das kirchenpolitische Pendel manchmal seine Ausrichtung – das ist jedenfalls meine Beobachtung. Auch in den Pontifikaten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gab es Kritik an diesen beiden Päpsten. Ich denke etwa an die Kölner Erklärung von 1989, in der mehrere Hundert Theologen aus Deutschland und der ganzen Welt Papst Johannes Paul II. kritisiert haben. Wenn die progressiven kirchlichen Kräfte gegen die Amtskirche protestieren, geht das meist nur bis zu einem bestimmten Punkt, sodass die Gemeinschaft nicht zerstört wird. Die Ausrichtung des jetzigen Pontifikats ist jedoch nicht mehr konservativ und nun protestieren die Anhänger einer rigoristischen Ideologie, wie sie Franziskus nennt – und wenn diese Gruppe Kritik übt, ist sie auch zu einem Bruch der kirchlichen Einheit bereit. Denn Ideologie versteht nichts von Gemeinschaft. Das Schisma ist dann jedoch meist nur eine leere Drohung. Die Ultrakonservativen wollen Angst machen und heischen Aufmerksamkeit.
Frage: Wenn man allerdings auf extreme Kritiker von Franziskus, wie den US-Bischof Strickland oder den ehemaligen Nuntius Erzbischof Viganò schaut, scheint ein Schisma im Bereich des Möglichen. Jedenfalls scharen sie Anhänger um sich und polemisieren auch nach Maßregelungen weiterhin gegen den Papst.
Vidal: Diese Kirchenmänner streben keinen totalen Abbruch der Gemeinschaft an, sondern nur ein Schisma auf Raten. Auch wenn es nicht offiziell zum Bruch mit Papst Franziskus kommt, ist dieses Vorgehen das Ende des Verbundenheitsgefühls mit der römischen Kirche und dadurch so wirkungsvoll wie ein Schisma. Das betrifft nicht nur die beiden genannten Bischöfe, sondern auch weitere Oberhirten und Kardinäle dieses Kritiker-Zirkels, wie Burke, Müller oder Sarah. Mich erschüttert dabei, dass es Purpurträger sind, die derart gegen den Papst polemisieren, denn die Farbe ihrer Soutanen soll die Bereitschaft symbolisieren, Papst und Kirche zur Not mit dem eigenen Blut zu verteidigen. In der Vergangenheit gab es keine derartige Kritik von solch hohen Kirchenmännern am Papst, wie es heute der Fall ist. Gleichzeitig wird ihr heftiges Verhalten von politischen Bewegungen der extremen Rechten in aller Welt unterstützt, etwa in den USA, aber auch in Spanien und anderen Ländern. Auf diese Weise mit Geld und Einfluss ausgestattet, fahren sie politische Kampagnen, um die Gläubigen zu verunsichern, damit jede Reform, die Papst Franziskus anstößt, in einen Sturm von Kritik gerät.
Frage: Welche Rolle spielen das Internet und die sozialen Medien in diesem Gemenge?
Vidal: Die Debatten um Kirche und Religion spielen sich größtenteils im Internet und in den sozialen Medien ab – schon allein, weil viele säkulare Zeitungen und Sender kirchliche Themen nicht aufgreifen. Die Kirche ist in vielen Ländern nun einmal kein wichtiger gesellschaftlicher Akteur mehr. Und wenn sie in den Nachrichten erscheint, dann meistens wegen des Missbrauchsskandals. In den Blasen der sozialen Medien, wo über die Kirche diskutiert wird, sind progressive Katholiken gegenüber den ultrakonservativen in der Minderheit. Die Rigoristen sind auch in der Debatte im Internet unerbittlicher geworden. Ein Beispiel: Wir mussten bei "Religión Digital" unsere Kommentarfunktion abstellen, weil wir der vielen Kommentare der Hater einfach nicht mehr Herr werden konnten. Mit unserer Kampagne für Papst Franziskus wollen wir dazu beitragen, dass moderate und progressive Stimmen in den Diskussionen im Netz wieder sichtbarer werden – und das mit gutem Journalismus. Denn die ultrakonservativen katholischen Medien arbeiten nicht sauber, sie vermischen etwa immer Nachricht und Meinung. In Spanien nennen wir das "Theken-Journalismus".
Frage: Wie genau sieht Ihre Unterstützungskampagne für Franziskus aus?
Vidal: Wir wollen dem "heiligen Volk Gottes", wie Franziskus sagt, die Möglichkeit geben, dem Papst seine Nähe und Unterstützung auszudrücken. An eine eigens dafür eingerichtete Mailadresse können kurze, mutmachende Botschaften an den Papst oder einfach nur der Name für eine Unterstützerliste geschickt werden. Bislang haben wir mehr als 7.100 Teilnehmer aus aller Welt, die von Franziskus etwa als "Segen Gottes" sprechen und in ihren kleinen Nachrichten ganz klar schreiben, dass die Kirche ohne ihn nicht in diesem Reformprozess wäre, in dem sie sich jetzt befindet. Es sind wirklich schöne Botschaften, die uns erreichen. Aus Lateinamerika haben bereits mehrere Bischöfe mitgemacht, die spanischen Oberhirten sind zurückhaltender. Der Plan ist, dass wir dem Papst nach dem 13. März, dem Jahrestag seiner Wahl, die Unterstützerliste mit den Botschaften übergeben, damit er den Zuspruch für seinen Kurs sieht. Wir haben aus dem Vatikan schon grünes Licht für ein persönliches Treffen mit Franziskus bekommen, der genaue Termin steht aber noch nicht fest.
Frage: Wer hat sich an Ihrer Kampagne beteiligt?
Vidal: Viele Orden und ihre Mitglieder sind dabei, besonders Kongregationen von Ordensschwestern. Auch einige katholische Hochschulen machen mit, wie etwa die Päpstliche Universität in Salamanca. Zudem haben NGOs und andere Organisationen unterschrieben, die sozial ausgerichtet sind. Und viele Theologen, die auch sonst mit unserer Seite zusammenarbeiten, sind dabei – darunter so namhafte, wie der berühmte Befreiungstheologe Leonardo Boff. Sie haben uns Texte geschickt, die wir nach und nach veröffentlichen.
Frage: Warum wollen die Menschen dem Papst ihre Unterstützung aussprechen?
Vidal: Der Papst macht den Gläubigen große Hoffnung, weil er das kirchenpolitische Pendel auf die andere Seite geschwungen hat – um in meinem oben bemühten Bild zu bleiben. Das sehe ich auch so: Der Fokus ist nicht mehr auf den unveränderlichen Glaubenswahrheiten, sondern auf der Barmherzigkeit Gottes, auf den Armen, auf der Kritik am Kapitalismus. Vielleicht ist es etwas zu weit gegriffen, aber mir scheint, dass die Gläubigen das erste Mal stolz auf den Papst sind und sich seiner in der modernen Gesellschaft geradezu rühmen.
„Der Papst macht den Gläubigen große Hoffnung, weil er das kirchenpolitische Pendel auf die andere Seite geschwungen hat.“
Frage: Blicken Sie nicht etwas zu positiv auf Franziskus? Große Reformen während seines Pontifikats sind doch bisher ausgeblieben.
Vidal: Sie haben Recht, bislang gibt es wenige echte Reformen und vielen Menschen in der Kirche ist die bloße Änderung des päpstlichen Stils durch Franziskus zu wenig ist. Sie fordern weitreichende Reformen in der nächsten Zeit. Aber die Veränderungen in der Kirche brauchen nun einmal ihre Zeit –auch damit nach Franziskus nicht ein Papst kommt, der die Reformen wieder zurücknehmen wird, weil sie zu schnell gekommen sind und zu wenig Rückhalt haben. Das ist nach den Päpsten des Zweiten Vatikanischen Konzils schließlich schon einmal passiert – unter Papst Johannes Paul II. Außerdem brauchen Reformen eine breite Akzeptanz im Volk Gottes. So verstehe ich auch die Synode, die Franziskus einberufen hat. Er will allen sagen: Teilt mir mit, was wir ändern müssen, und wir machen das alle gemeinsam. Es sind vor allem drei Punkte, an denen sich etwas in der Kirche tun muss: der Umgang mit Frauen, die Sexualmoral und der Klerikalismus. Vor allem den Klerikalismus hat sich der Papst vorgenommen. Die anderen beiden Aufgaben sind wesentlich schwieriger zu bewältigen, das sieht man etwa an der heftigen Kritik an einer eigentlich nicht besonders weitreichenden Erklärung wie "Fiducia supplicans". Stellen Sie sich vor, wie es bei anderen Themen zugehen würde! Aber die Reformen werden kommen. Franziskus geht alle drei Punkte in kleinen Schritten bereits an, was man etwa daran sieht, dass bei der jüngsten Sitzung des Kardinalsrats drei Frauen dabei waren, um mit dem Papst über die Frauenweihe zu beraten – eine von ihnen eine anglikanische Bischöfin. Das wäre vor diesem Papst nicht denkbar gewesen. Schon diese Geste sagt viel. Mit dem Ende der Weltsynode zur Synodalität und dem Heiligen Jahr 2025 werden sicherlich konkrete Reformen in diesen Fragen kommen.
Frage: Neben Ihrer Kampagne für den Papst gibt es auch Aktionen, die sich gegen Franziskus und "Fiducia supplicans" richten.
Vidal: Es ist klar, von wo diese Art von Initiativen ausgeht. Die ultrakonservative Internetseite "LifeSiteNews" aus Kanada steckt etwa dahinter. Das ist eigentlich nichts Neues. In Spanien gibt es eine Kampagne gegen die Vatikan-Erklärung, die von mehreren Priestern angestoßen wurde. Die meisten von ihnen kommen aus der Erzdiözese Toledo, das ist ein altehrwürdiges Erzbistum und traditionell sehr konservativ. Aus dem Priesterseminar in Toledo sind viele Priester und Bischöfe hervorgegangen, die bekannt für ihre traditionelle Haltung sind. Man nennt sie in der spanischen Kirche auch den "Klan von Toledo". Und es war genau dieser "Klan von Toledo", der die Unterschriftenaktion gegen "Fiducia supplicans" im Internet initiiert hat – die im Übrigen immer noch läuft. Damit möchten diese konservativen Priester dem Papst und seinem Glaubenspräfekten einen symbolischen Schlag ins Gesicht verpassen. Sie wollen Lärm machen und Franziskus Handlungsspielraum nehmen, damit er bei seinen Reformen nicht noch weiter geht.
Frage: Wissen Sie, ob Papst Franziskus von Ihrer Unterstützungskampagne bei "Religión Digital" gehört hat?
Vidal: Wir wissen aus erster Hand, etwa von Kardinal Fernández, dass der Papst sich über die Unterstützung freut und möchte, dass wir weitermachen. Öffentlich hat er sich nicht zu unserer Aktion geäußert, was verständlich ist. Bei unserem Treffen mit Franziskus nach dem 13. März, dem Stichtag der Kampagne, werden wir dann erfahren, was genau er über unsere Initiative denkt.
Hinweis
Weitere Informationen zur Kampagne finden Sie auf der Nachrichtenseite "Religión Digital".