Dossier

Pilgern: Auf dem Weg zu Gott

Ob nach Lourdes, Fatima, Santiago oder Kevelaer: Jährlich pilgern etwa 40 Millionen Christen. Katholisch.de stellt die Tradition der Wallfahrt, wichtige Bräuche und bekannte Pilgerziele vor.

Was ist Pilgern?

Pilgern heißt sich auf den Weg machen zu einem heiligen Ort, der eine größere Nähe zu Gott verspricht. Die Tradition des Pilgerns zu wichtigen religiösen Zentren gibt es in allen Religionen. Die Erfahrung gläubiger Menschen, auf bestimmten Wegen oder an  besonderen Orten die Nähe Gottes in besonderer Weise zu erleben hat den Jahrtausende alten Brauch des Pilgerns begründet.  Das Wort „pilgern“ kommt vom Lateinischen „pergere“ bzw. „per agere“ und bedeutet ursprünglich „jenseits des Ackers“ oder  „in der Fremde“.  Pilgern heißt also „unterwegs sein“, „wandern“, „in der Fremde sein“. Diese Bedeutungen erschließen den tieferen Sinn des Pilgerns: Pilgern beschreibt eine Grundhaltung des Menschen, denn als Menschen sind wir immer unterwegs, immer auf der Suche. In diesem Sinne ist Pilgern eine religiös motivierte Reise, die in mancher Hinsicht mit einer Wallfahrt vergleichbar ist. Trotz vieler Berührungspunkte unterscheiden sich Pilgerreise und Wallfahrt: Während bei einer Wallfahrt Anliegen, Ziel und Dauer im vornhinein festliegen, sind es beim Pilgern die Erfahrungen und Erlebnisse unterwegs, die die Pilgerreise attraktiv machen.

Das Phänomen des Pilgerns wird schon im Alten Testament beschrieben. Abraham hat sich als einer der ersten Pilger auf den Weg gemacht: Dem Ruf Gottes folgend verließ Abraham mit seiner Frau Sarah und in Begleitung seiner Familie seine Heimat und machte sich auf den Weg, um das verheißene Land Kanaan zu suchen (Genesis, 12,1). Für den Pilger Abraham standen die Erlebnisse unterwegs im Vordergrund, anders die den Jahreslauf prägenden Wallfahrten, die schon früh zum religiösen Leben Israels gehörten und an den Tempel von Jerusalem als heiligen Ort gebunden waren. Dass der Tempel von Jerusalem bevorzugtes Wallfahrtsziel und Höhepunkt im Leben jedes gläubigen Juden war, berichtet im Alten Testament Psalm 122,1: „Ich freute mich, als man mir sagte: ,Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.‘“ Zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem war auch Jesus als Pilger unterwegs, wie im Neuen Testament erzählt wird. Die bekannteste biblisch berichtete Wallfahrt Jesu nach Jerusalem ist die zu jenem Pessachfest, an dem er mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl feierte. Jesu Tod und Auferstehung bewegte die ersten Christen, an die Orte seines Lebens und Wirkens zu reisen, um ihren Glauben zu stärken. Im Laufe der Geschichte wurden die Orte, wo Jesus geboren, gekreuzigt und begraben wurde und wo er auferstanden ist, zu beliebten Pilgerzielen. Der Bau von Wallfahrtskirchen an diesen heiligen Orten machte diese Pilgerstätten auch für die nachfolgenden Generationen von Christen attraktiv.

Mit Beginn der Heiligenverehrung wurden auch die Gräber der Märtyrer und Heiligen zu Anziehungspunkten der Pilgernden. Seit dem 4. Jahrhundert setzte die Verehrung der sterblichen Überreste der Heiligen (Reliquien) ein, denen übernatürliche Kräfte zugesprochen wurden. Im Mittelalter war die Hoffnung auf Heilung einer der wichtigsten Beweggründe für das Pilgern. Ein regelrechter „Pilgerboom“ setzte ein: Freiwillige Bitt- oder Dankpilgerreisen prägten die mittelalterliche Frömmigkeit ebenso wie die im Spätmittelalter auferlegten Buß- oder Strafpilgerfahrten. Auftragspilger machten sich im Auftrag anderer Menschen auf den Weg – gegen Entlohnung natürlich ¬– um für sie diese verordneten Pilgerfahrten zu erledigen, was im Zuge der Reformation ins Visier der Kritik geriet. Nach der Reformation wurde auch die auf diese Weise kommerzialisierte Pilgerbewegung erneuert: Zwang und feste Regeln für Pilgernde gehörten von da an der Vergangenheit an und das Prinzip der freiwilligen und privat motivierten Pilgerreise setzte sich durch. Nach wie vor galt, dass zu den drei bedeutenden christlichen Fernpilgerzielen Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela gehörten.

Es gibt unzählige Pilgerwege, doch eines verbindet sie alle: Ob Menschen auf dem Weg sind zur Grabeskirche in Jerusalem, zum Grab des Heiligen Jakobus im spanischen Compostela oder zur Statue der Mutter Gottes Maria im französischen Lourdes: Pilger sind immer auch auf der Reise zu sich selbst.

Das Ziel des Pilgerns ist das Gehen des Weges selbst. Dabei offenbart sich nicht selten eine Erfahrung von Freiheit. Ein Pilgerweg ist immer auch ein Weg zu sich selbst. Die persönlichen religiösen Überzeugungen können dabei sehr individuell sein. In einem weiteren Sinn kann man diese Pilgerhaltungen auch in den Alltag mit¬nehmen und dann so manches als Pilger-Erfahrung deuten.

Eine Wallfahrt ist eine konkrete Unternehmung, die Menschen (oft mit einem bestimmten Anliegen) an einen besonderen religiösen (Wallfahrts-)Ort führt. Eine Wallfahrt ist eine religiöse Unterbrehung des Alltags, ja ein kleines Fest des Glaubens. Die persönliche Religiosität ist dabei eingebunden in den Glauben der Kirche. Natürlich sind auch die beschriebenen Pilgerhaltungen für eine Wallfahrt wertvoll, bleiben möglicherweise aber mehr im Hintergrund. Viel mehr beachtet man den erreichten Ort, seine Geschichte, die Spuren der Gläubigen (Heiligen), die hier waren, die Schönheit der Kirche usw.

Pilgerweg und Wallfahrt sind kein Widerspruch. Es gibt auch beides in einem, wenn die jeweiligen Charakteristika bei den verschiedenen Etappen entsprechend hervortreten. Beide weiten den Horizont, vertiefen den Glauben und stärken das Vertrauen in Gott, der alles zum Guten führt bei den Menschen, die lieben.

Pilgern und Wallfahrten haben ein gemeinsames Ziel: den Besuch eines heiligen Ortes, um sich spirituell aufzuladen. Die in der Regel wegorientierte Pilgerreise ist Ausdruck des persönlichen Glaubens und wird oft von Einzelnen unternommen. Im Unterschied dazu erfolgt die zielorientierte Wallfahrt in einer Gruppe, dabei spielen Volksglaube, kirchliche Autorität und  Frömmigkeit eine größere Rolle.

Grundsätzlich sucht(e) ein Pilger „heilige Orte“ auf, wenn auch eine Pilgerreise nicht nur zu einem ganz besonderen Ort sondern vor allem zu sich selbst führt(e).

Pilgerboom im Mittelalter

Der moderne Pilger

Erst seit einigen Jahrzehnten ist das Pilgern in Europa von einer breiten Öffentlichkeit wiederentdeckt worden. 1987 wird der Jakobsweg vom Europarat zur europäischen Kulturroute erhoben und ausdrücklich empfohlen. Wiederentdeckte Wegenetze, steigendes kulturelles Interesse und der Wunsch nach Entschleunigung locken viele Menschen auf den "Camino".

Auch deutsche Pilger frequentierten in den vergangenen Jahren wieder vermehrt die Strecken. Zu verdanken ist dieser Aufschwung auch Moderator und Comedian Hape Kerkeling. Mit der Veröffentlichung seines Bestsellers "Ich bin dann mal weg" im Jahr 2006 hat er nicht nur eine neue Redewendung geprägt, sondern ebenso die deutschen Pilgerzahlen in die Höhe schnellen lassen.

Pilgern ist heute wieder genau das, was Hippocrates, der berühmte Arzt der Antike, mit dem Zitat "Gehen ist des Menschen beste Medizin" verdeutlicht: eine ganzheitliche Bewegungskur für Leib und Seele.

Hatten die meisten Menschen damals keine andere Fortbewegungsmittelwahl als die eigenen Füße, ist diese Sehnsucht nach Einfachheit in der Gegenwart wieder ein Luxusgut, das das eigene Leben ordnen oder durcheinander bringen soll. Dabei entdecken viele Menschen die Form des Pilgerns für sich. Nicht unbedingt ausschließlich religiös motiviert, aber doch auf der Suche – nach sich selbst, nach anderen oder nach Gott.

Das Besondere an der modernen Pilgerbewegung: Die Reise zu sich selbst, die alle Pilger verbindet, ist gleichzeitig sehr individuell. Das "Auf dem Weg sein" ist auch abseits der Pilgerbewegung zum Lebensmotto geworden und so spiegelt sich die lateinische Wortbedeutung von "Pilger", nämlich Gast/Fremder ("pergere"), im Lebensstil einer ganzen Gesellschaft wider: Der Weg ist das Ziel.