Das sind die zehn Gebote des Pilgerns
Ein Wanderer braucht gutes Schuhwerk, wetterfeste Kleidung, einen Rucksack, Proviant und eine Wanderkarte. Und was braucht ein Pilger? Was unterscheidet überhaupt das Pilgern vom Wandern? Glaubt man den Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, dann ist es die Veränderung. Wer wandert, tut sich etwas Gutes, genießt die Natur und geht dann wieder zum Alltag über. Wer pilgert, kommt verändert an seinem Ziel an. Wie aber pilgere ich richtig? Auf der Seite http://pilgerforum.de gibt es dazu jede Menge Tipps. Eine der User hat sie in die zehn Gebote des Pilgerns zusammengefasst – und dazu konnten auch andere etwas beitragen.
1. Geh
"Umso weniger ich erwarte, desto mehr werde ich erhalten", schreibt Jonas Neitzel in seinem Blog www.kuestenweg-jakobsweg.de über seine Pilgererfahrung auf dem Camino. Seine Pilgerreise liegt schon Monate zurück, aber "etwas ist geblieben". Es lässt ihn nicht mehr los, wächst und arbeitet in ihm. Als er losging sei er weder religiös, noch besonders spirituell gewesen. Kein erfahrener Wanderer und schon gar kein Abenteurer. Er wollte einfach raus und schreibt heute: "Es ist wahr, was gesagt wird: Der Weg beginnt erst, wenn er gegangen wurde - und Santiago ist nur der Anfang."
2. Geh lange
Es waren einige Gründe, die Jonas auf den Weg brachten. "Ich wollte die Chance auf Einsamkeit. Auf Zeit für mich. Auf Klarheit der Gedanken. Fokussierung. Entschleunigung. Minimalisierung. Reduzierung auf das Wesentliche. Antworten auf verdrängte Fragen. Neues. Abenteuer. Grenzerfahrungen. Veränderte Perspektiven. Menschen. Naturerlebnisse. Vergebung. Vielleicht sogar eine offene Rechnung mit ‚Gott‘ begleichen..." Bedürfnisse, die sich nicht in einer Drei-Tages-Tour abhandeln lassen.
Pilgern: Auf dem Weg zu Gott
Die Nähe Gottes spüren - das ist das Ziel vieler Gläubiger, die sich zu religiösen Stätten in aller Welt aufmachen. Jährlich begeben sich etwa 40 Millionen Christen auf eine Pilgerreise. Katholisch.de stellt die Tradition der Wallfahrt, wichtige Bräuche und bekannte Pilgerziele vor.3. Geh langsam
Wer sein Rückfahrticket schon fest gebucht hat, hat nicht nur ein Ziel vor Augen, sondern auch die Zeit im Nacken. Schwierig, wenn man zu sich und zu seinem eigenen Tempo finden will, wenn man eigentlich aus dem alltäglichen Hamsterrad ausbrechen möchte und sich nach Entschleunigung sehnt. Geh langsam, verweile dann, wenn du es brauchst. Gehe (Um-)Wege, die dich rufen, besinne dich dann, wenn es sich wichtig und richtig anfühlt und nicht, wenn die Zeit es erlaubt. Wenn möglich, also lieber ohne Rückreiseticket loslaufen oder einen zeitlichen Puffer einbauen.
4. Geh alleine
Jeder Wanderer hat seine eigene Geschwindigkeit, seine Schrittlänge, sein individuelles Bedürfnis weiterzukommen oder zu verweilen. Ein noch so gut eingespieltes Team kann auf dem Pilgerweg feststellen, dass der Rhythmus nicht passt. Zu langsam ist auf Dauer genauso unangenehm, wie zu schnell. Pilger Klaus Tallowitz, schon jenseits der 60, beschreibt in seinem Tagebuch sein ideales Tempo so: "Es ist wichtig, die Schritte und die Gedanken in Einklang zu bringen! Der Körper macht dann ohne großen Widerspruch mit. Diesen Einklang erreiche ich nur, wenn ich alleine gehe!"
5. und 6. Geh leicht und geh einfach
Auf die Frage, was ein Pilger auf seine Reise mitnehmen sollte, gibt es so viele Antworten, wie es Pilger und Pilgerwege gibt. Wer wandert? Wo wird gewandert? Wann wird gewandert? Wie lange wird gewandert? Das Internet ist voller Tipps, Anregungen und Packlisten, aber auch die Pilgerbüros der Diözesen stehen mit Rat und Tat zur Seite. Bei allen individuellen Unterschieden gibt es eine Regel, die einen Pilger auf dem Weg immer entlastet: "Geh leicht".
Was ein zu schwerer Rucksack bedeutet, erlebt Klaus bei seinem ersten Versuch auf dem Jakobsweg. "Am 7. Mai 2005 startete ich, völlig unbefangen, mit viel zu viel Gepäck an der Haustüre. Der Rucksack war nicht nur zu voll, sondern auch zu hoch bepackt, Zelt und Kleidung gegen Kälte waren viel zu schwer." Schon der erste Tag ist eine Strapaze und es wird nicht besser. Nach drei Tagen muss Klaus abbrechen.
Ein gutes Jahr später packt er erneut. Sein Rucksack ist diesmal wesentlich leichter. Mit Kleidung und Ausstattung kommt Klaus auf 14 Kilo, die er am Leib und auf dem Rücken tragen wird. Seine Ausrüstung umfasst Pflegeartikel und Reiseapotheke, Technik und Funktionelles wie Taschenmesser und Kochgeschirr, Dokumente und Wechselsachen. Bevor er aufbricht, macht er eine Probewanderung.
Eine gute Vorbereitung ist wichtig und doch kann auf dem Weg viel Unvorhergesehenes passieren. So zerbricht Klaus am fünften Tag auf dem Camino das Gebiss. Eine Apothekerin in Los Arcos in der Region Navarra kann schließlich helfen. Letztlich führen die Pilgerwege in Europa ja nur zeitweise durch Niemandsland, so dass sich die Menschen links und rechts des Weges mit dem meisten versorgen können, wenn es nötig wird.
7. Geh achtsam
Achtsamkeit ist ein wichtiges Thema auf dem Pilgerweg. Wie begegne ich anderen, wie gehe ich mit der Natur und ihren Ressourcen um, wie verhalte ich mich in den Herbergen. Der Camino kennt viele ungeschriebene Gesetze. Nicht immer werden sie eingehalten. Aber dort, wo Menschen eine Wahlgemeinschaft auf Zeit bilden, sich gegenseitig unterstützen, sich Mut machen, ihr Essen teilen oder ihre Blasenpflaster, wird der Geist des Pilgerns lebendig.
So schaffen es auch Pilger in Sandalen, Turnschuhen oder noch schlechterem Schuhwerk bis ans Ziel, wie Klaus selbst beobachten konnte. In Cacabelos – noch sieben Tagesetappen von Santiago die Compostela entfernt - trifft er auf eine Brasilianerin. Sie hat keine Wanderfigur, ist eher klein mit etlichen Kilos zu viel auf den Rippen. "Ich sollte sie noch oft treffen, wie sie mühsam mit ihrem riesigen Rucksack und Badeschlappen dahin tippelte. Auch sie kam nach Santiago! Olé!", schreibt Klaus beeindruckt.
8. Gehe weiter
Wie schwer ein Rucksack tatsächlich ist, hängt also nicht nur von der Zahl auf der Kofferwaage ab. Wie sehr die Füße schmerzen, nicht nur vom richtigen Schuhwerk, sondern von der Tagesform, der Stimmung und der Motivation. "Das tägliche Motivieren zum Ziel, ist es, was eine Pilgerreise ausmacht", sagt Klaus. Ihm fehlte bei seinem ersten Pilgerversuch ein spiritueller Hintergrund, den er jedoch auf den zweiten Pilgerweg mitnahm.
Natürlich erlebt Klaus Tage, an denen der Rucksack schwer wird. "Ich will wieder einmal jammern", schreibt er nach zwei Wochen Fußmarsch. "Ich fühle mich ausgelaugt! Ich spüre Müdigkeit in den Knochen! Die Füße gehorchen nicht, sie tun was sie wollen! Die Rucksackgurte schneiden ein!" Oft scheint es, dass der Rucksack zu schwer sei, doch es sind die Gedanken die belasten. Und gleich am nächsten Tag notiert er: "Ein Tag wie Samt und Seide. Das Laufen ist ein Vergnügen. Keine schmerzenden Füße, Kopf und Nase frei, die Gurte drücken auch nicht. Einfach drauf los." So ergeht es ihm immer wieder. "Ein Tag besser, ein Tag schlechter." Und weiter geht’s.
Linktipp: Theologe: Pilgern hat meist positive Langzeitwirkung
Der Trierer Pastoraltheologe Martin Lörsch spricht über eine Langzeitstudie bei Jakobspilgern und fünf verschiedene Pilger-Typen. Zu welcher Kategorie gehören Sie?9. Gehe dankbar
Höhen und Tiefen – sie gehören zum Pilgern dazu. Klaus grübelt und genießt, ärgert und freut sich, teilt Gedanken mit Fremden und verliert sie wieder aus den Augen. Er begeht seinen 65. Geburtstag und lässt sein Leben Revue passieren. Und am Ende, nach 29 Wandertagen und 780 Kilometern kommt er am Kap Finisterre an. An der Küste gelegen ist es das inoffizielle Ende des Camino. Weiter geht es nicht. Santiago und den heiligen Jakobus hat Klaus schon Tage zuvor hinter sich gelassen. Aber erst als er das Meer erreicht, erlebt er seinen persönlichen Aha-Effekt. Und dann ist da nur noch Dankbarkeit. Eine Dankbarkeit, die auch Jonas empfindet, wenn er im Blog über seine Pilgerreise schreibt. Dankbarkeit und Glück und Sehnsucht und Demut.
Geh mit Gott
Ob gläubig oder zweifelnd, auf der Suche nach Spiritualität oder körperlicher Herausforderung – jeder Pilger findet etwas auf seinem Weg. Rosenkranz-Gebete, Pilgermessen, Kirchen am Wegesrand sind Angebote, die nicht alle wahrnehmen. Und doch ist da etwas, das bleibt. Klaus, der vor vielen Jahren schon aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, beschreibt seine Gefühle am Ende der Reise so: "Mein Gott! Solch´ ein reiches Geschenk habe ich nicht erwartet! Mir fehlen die Gedanken und die dazugehörigen Worte! Herr, ich danke Dir!"