Jakobsweg war gestern
Der spanische Jakobsweg hat wieder einmal einen neuen Rekord verzeichnet: Im vergangenen Jahr wurden 278.041 Pilger gezählt. Bei überfüllten Herbergen, Wandern im Entenmarsch oder stundenlangem Anstehen vor dem Apostelgrab fallen spirituelle Erfahrungen allerdings schwerer.
Doch es gibt eine Alternative für Pilger, die sich nach Ruhe sehnen: Caravaca de la Cruz . Die mittelalterliche Kleinstadt in der südspanischen Mittelmeerregion Murcia gehört neben Jerusalem, Santo Toribio de Liébana, Rom und Santiago de Compostela zu den einzigen fünf Pilgerorten der Welt, die ein Heiliges Jahr feiern dürfen. Erst 1998 erhielt die Ortschaft von Papst Johannes Paul II. das Privileg, ab 2003 alle sieben Jahre ein solches Jahr auszurufen - 2017 ist es wieder so weit.
Newcomer unter den Wallfahrtsorten
Und das kam so: "Obwohl Caravaca unter den heiligen Stätten des Christentums noch eine Art Newcomer ist, gehen die Ursprünge als Wallfahrtsort auf das 13. Jahrhundert zurück, als ein Holzstück des Jesus-Kreuzes in die Stadt gelangte", erklärt Priester Emilio Andrés Sánchez Espin. Er ist Rektor der Real Basílica de la Vera Cruz, in der heute die Reliquie aufbewahrt wird.
Eigentlich müsste man Reliquien sagen. Der Holzsplitter, der in einem aus dem Orient stammenden doppelarmigen Brustkreuz eingearbeitet war, wurde 1934 gestohlen und tauchte nie wieder auf. "Da die Verehrung des Lignum Crucis, des wahren Christus-Kreuzes, jedoch so tief in der Bevölkerung verankert war, schickte uns Papst Pius XII. 1942 zwei kleine Splitter vom Jesus-Kreuz des Vatikans", erzählt Sánchez Espin.
Wie der erste Holzsplitter im 13. Jahrhundert nach Caravaca kam, ist nicht ganz klar. Eine irdische Version besagt, der damalige Bischof von Jerusalem habe das Kreuz 1231 nach Caravaca gebracht. Der religiösen Legende nach gelangte das Kreuz jedoch in jenem Jahr durch ein Wunder auf die maurische Festung, wo heute hoch über der Stadt die barocke Basilika thront.
Damals herrschte noch der muslimische König Abu-Zeid im Süden Spaniens. Er forderte den gefangenen Priester Chirinos auf, ihm eine christliche Messe zu zeigen. Ohne das Symbol des Heiligen Kreuzes könne er dies nicht machen, entgegnete Chirinos dem maurischen Herrscher. In diesem Moment sollen zwei Engel vom Himmel herabgestiegen sein, um ihm das Lignum Crucis zu geben. Von der wunderbaren Erscheinung überwältigt, ließ sich Abu-Zeid taufen und konvertierte zum Christentum. Tatsache ist: Die Nachricht über die Heilige Reliquie verbreitete sich in Windeseile. Schon wenige Jahre später besetzten die Tempelritter Caravaca, um das Kreuz vor den muslimischen Feinden zu schützen.
Zahlreiche Klostergründungen in Caravaca
Die Erzählungen, wie mit dem Kreuz Kranke geheilt sowie Dürren und Heuschreckenplagen bekämpft wurden, zogen nicht nur Pilgermassen an. Zahlreiche christliche Orden gründeten im 16. und 17. Jahrhundert Klöster in Caravaca. So beeindruckt die mittelalterliche Altstadt heute noch mit einem prachtvollen Kirchenensemble. Besonders die Renaissancekirche El Salvador sticht heraus. Darin wird eine weitere Reliquie aufbewahrt: ein Blutstropfen des heiliggesprochenen Papst Johannes Paul II.
"Das Kreuz von Caravaca ist auf der ganzen Welt bekannt, vor allem in Südamerika", sagt Gloria Gómez Sánchez, Stadträtin für Tourismus. "Doch kaum jemand weiß, wo Caravaca liegt." Das werde sich mit den Heiligen Jahren nun hoffentlich ändern. Zum Heiligen Jahr 2017 will man die Besucher mit Konzerten, Ausstellungen, Theater und gastronomischen Volksfesten anlocken.
Die meisten Touristen kommen im Mai, um das über 600 Jahre alte Weinpferde-Fest und das Mauren-und-Christen-Fest zu sehen, bei dem die alten Religionsschlachten nachgespielt werden. Doch nur wenige tausend echte Pilger verirren sich jährlich nach Caravaca. Massenaufläufe wie in Santiago de Compostela sind hier selbst im Heiligen Jahr nicht zu erwarten. Priester Sánchez Espin holt zu den Pilgermessen sogar die Reliquie aus dem Schrein, damit jeder Gläubige sie küssen kann, so gering ist der Andrang noch.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Das Kreuz von Caravaca ist 17 Zentimeter hoch und weist zwei Querbalken auf.
Es spricht sich aber immer mehr herum, dass Papst Johannes Paul II. Caravaca sogar ein Heiliges Jahr "in perpetuum" bewilligt hat. Das heißt: Man erhält auch außerhalb des Heiligen Jahres einen vollständigen Sündenerlass, wenn man mit mindestens zwei weiteren Personen zur Reliquie pilgert. "Dieses Privileg genießt sonst nur noch Jerusalem und ist vor allem ein Anreiz für viele ältere oder kranke Menschen, die nicht sieben Jahre warten wollen, um einen Sündenerlass zu erhalten", erklärt Pilar Valdés Arroyo, die Verantwortliche für religiösen Tourismus in der Region Murcia.
Um Caravaca als Pilgerort attraktiver zu machen, sollen in den kommenden Jahren bis zu neun verschiedene Pilgerrouten in der Region Murcia wieder gekennzeichnet werden. Sie gerieten in den vergangenen Jahrhunderten in Vergessenheit - auch der 900 Kilometer lange Camino de la Vera Cruz, der Weg zum Wahren Kreuz, der in Nordspanien bei Roncesvalles vom Jakobsweg abzweigt und bis tief in den Süden nach Caravaca führt.
Mula als obligatorischer Stopp für Reliquien-Fans
Es handelt sich um Pilgerwege wie den bereits eingerichteten Camino del Levante, der über 120 Kilometer von Orihuela nach Caravaca verläuft. Der Weg führt durch wunderschöne mediterrane Landschaften mit Pinienwäldern, Weinfeldern und vorbei an sehenswerten Ortschaften wie Cehegín, dem zweifellos schönsten Dorf der gesamten Region. Die malerische Altstadt ist gespickt mit kleinen Palästen, Kirchen, maurischen Stadttoren und alten Adelshäusern.
Ein obligatorischer Stopp für alle Pilger und Reliquien-Touristen ist Mula. Im Kloster de la Encarnación hüten die Ordensschwestern neben einem Splitter des Jesus-Kreuzes, einer Kordel, mit der Christus ans Kreuz gebunden wurde, und einem Stein vom Kreuzigungsort sogar einen Dorn von Jesus Dornenkrone. Bis vor kurzem zeigten die Schwestern ihren Schatz nur ein einziges Mal im Jahr. Doch mit dem Heiligen Jahr konnte man die Nonnen überzeugen, die Reliquien permanent für die Caravaca-Pilger auszustellen. Vielleicht darf sich ja auch Mula schon bald in die Liste der Heiligen Stätten einreihen.