Der Jakobsweg vor der Haustür
Es sind auch einsame Küstenstreifen der Ostsee, tiefe Wälder der Eifel, Weinbergslandschaften der Mosel. Zunehmend mehr Menschen wollen sich nicht erst in Pamplona, Burgos oder Astorga, sondern auch in Rostock, Köln oder Trier einen Stempel für ihren Pass abholen. Pilgern vor der Haustür: Deutschlandweit erfreuen sich historische, fast vergessene Pilgerstrecken, meist Jakobswege, neuer Beliebtheit. Hinzu kommen neue Initiativen wie der Martinusweg durch Südwestdeutschland.
Informationen und ein freundliches Wort
Fast täglich suchen Pilger die schattigen Räume der Trierer Dom-Information auf. Die Anlaufstelle für Besucher der ältesten deutschen Kathedrale betreibt mit der Sankt-Jakobusbruderschaft in Trier ein Pilgerbüro. Dort gibt es Informationen über Quartiere, Karten, Literatur sowie Souvenirs - und auch ein freundliches Wort sei wichtig, berichtet Leiterin Andrea Riesbeck: "Pilger bleiben länger bei uns als normale Touristen."
Zu ihrem Start 2004 stellte die Dominformation 235 Pilgerausweise aus. 2014 waren es 886. Am stärksten gefragt ist der "credenziale", das offizielle Stempelheft des spanischen Camino. Und die meisten Pilger starten auch ganz klassisch in den Pyrenäen an der französisch-spanischen Grenze. Doch zunehmend werden auch Ausweise für Rom- oder Jerusalempilgerschaften angefragt, die die Trierer Jakobusbrüder selbst gestaltet haben.
Buch von Hape Kerkeling gab einen Schub
Die Zahl der ausgegebenen Stempel ist ein Beleg dafür, dass die heimischen Jakobswege kontinuierlich beliebter werden. 2004 wurden 154 Stempel ausgegeben, 2014 waren es bereits 986, sechsmal so viele. "Nach dem Buch von Hape Kerkeling 2006 gab es auch bei uns einen klaren Schub", erinnert sich Riesbeck.
Doch Trier war schon Jahrhunderte vor Kerkeling ein Ziel für Pilger. So machen sich jedes Jahr traditionell 160 Matthiasbruderschaften auf den Weg an die Mosel. "Das ist sehr vereinsmäßig organisiert, sie schaffen 40, 50 Kilometer am Tag", sagt Markus Nicolay. Er ist Sekretär der Trierer Jakobusbrüder, die sich von den klassischen Gruppenwallfahrern unterscheiden: "Jakobspilgern ist individuell, das hat nichts mit Wallfahren zu tun", sagt Nicolay.
„"Nach dem Buch von Hape Kerkeling 2006 gab es auch bei uns einen klaren Schub"“
Die Motivlage sei unterschiedlich, es gebe religiös und kulturell motivierte Wanderer ebenso wie Spaß- oder Sportpilger. Oder eben eine Mischung aus allem: "Es kann auch passieren, dass Sie mit religiösen Motiven losziehen, dann aber mehr mit den Blasen an Ihren Füßen beschäftigt sind", sagt der erfahrene Santiago-, Rom- und Jerusalempilger.
Infrastruktur nicht so gut wie in Spanien
Weil die Infrastruktur auf den deutschen Pilgerwegen längst nicht so gut wie in Spanien ist, wo es fast in jedem Dorf Herbergen gibt, vermittelt die Jakobusbruderschaft Übernachtungsmöglichkeiten, meist bei Privatleuten. "Man findet aber auch in Deutschland fast immer eine Unterkunft, nur selten muss ich im Hotel schlafen", berichtet Pilger Karl Alber. An einem heißen Augusttag steuert der 81-Jährige, der mit dem Zug aus seiner Heimat Achim bei Bremen angereist ist, vom Trierer Hauptbahnhof direkt die Dominformation an.
Vor zehn Jahren, nach dem Tod seiner Frau, entdeckte er das Pilgern auf dem spanischen Jakobsweg für sich - seitdem ist er Wiederholungstäter. 2014 lief er von Köln nach Trier, jetzt will er den Weg bis zum französischen Vezelay fortsetzen, "vielleicht auch weiter, bis Limoges".
"Es ist schon was anderes als eine normale Wanderung", erzählt Alber. Manchmal habe er das Gefühl, keine 100 Meter mehr laufen zu können. Doch dann komme es zu besonderen Momenten; etwa, als ihn der Küster in Bad Kissingen auf einen Obstler einlud. "Einfach wunderbar", erinnert sich Alber, packt seinen Stab und zieht auf die Straße.
Erstes Jakobshospital im Jahr 1239
Trier war schon im Mittelalter ein klassisches Pilgerziel. Die Wallfahrten zum Heiligen Rock zogen seit 1512 Millionen Menschen an. Seit dem zwölften Jahrhundert wird in Trier mit den Reliquien des Matthias das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen verehrt. Die Tradition der Pilgerschaft zur Ruhestätte des Heiligen Jakobus in Santiago de Compostela ist drei Jahrhunderte älter.
Entlang des Weges kamen die Pilger in Hospitälern unter. In Trier wurden 1239 erstmals ein Jakobshospital und drei Bruderschaften erwähnt. Die heutige, 2003 gegründete Bruderschaft beruft sich auf diese Tradition.