So blickt die Weltkirche auf die Synode – Teil 4: Naher Osten

Palästinenserin Raheb: Die Jugend will ernstgenommen werden

Veröffentlicht am 17.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Viola Raheb – Lesedauer: 
Weltsynode zur Synodalität

Bonn ‐ Die Palästinenserin Viola Raheb hat zur Vorbereitung der Weltsynode mit jungen Menschen aus Ägypten, Irak, Israel, Jordanien, Libanon und Palästina Workshops zum Thema Synodalität und Ökumene veranstaltet. Dabei entstand ein Papier, das konkrete Forderungen an die Kirchen im Nahen Osten enthält.

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Der synodale Prozess ist inzwischen in den katholischen Kirchen weltweit im Gange. Es geht um ein globales Unterwegssein als Christ:innen, in dem es um Zuhören, Dialog und Öffnung geht für eine Kirche im 21. Jahrhundert. Auch in den Ländern des Nahen Ostens, der Region, in der das Christentum entstand und von der aus die erste Missionierung startete, können wir von einer "Erweiterung des Zeltes", wie der Prozess ja auch genannt wird, sprechen.

Politische, soziale und ökonomische Herausforderungen für junge Christ:innen im Nahen Osten entscheidend

Um mit Geschwistern im Glauben aus den Ländern des Nahen Ostens gemeinsam unterwegs sein zu können, ist es unerlässlich, sie in unseren Blick zu nehmen, ihnen zuzuhören und sie kennenzulernen. Hier sollen einige Anliegen der jungen Christ:innen in diesen Ländern im Zentrum stehen, insbesondere ihre Erfahrungen mit dem synodalen Prozess und ihre Erwartungen daran. Im vergangenen Jahr durfte ich mit vielen jungen Menschen in den Ländern des Nahen Ostens zum Thema Synodalität arbeiten. Daher möchte ich in diesem Beitrag kurz das Gehörte und Erlebte zusammenfassen, um zu mehr Sichtbarkeit, Zuhören und Solidarität mit diesen Geschwistern beizutragen.

„Man muss sich zudem bewusst sein, dass die Bevölkerungspyramide im Nahen Osten nahezu umgekehrt wie in Europa aussieht. Knapp 30 Prozent der Menschen sind jünger als 25 Jahre.“

—  Zitat: Viola Raheb

Dabei sind die Christ:innen zahlenmäßig in der Minderheit. Dies bedingt, dass im Nahen Osten ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit einen anderen Stellenwert haben. Der synodale Prozess, das gemeinsame Unterwegssein, kann in dieser Region gar nicht anders gedacht werden als ein Unterwegssein in der Ökumene mit anderen Religionen. Diese Dimensionen des synodalen Prozesses betont Papst Franziskus immer wieder als zentral für den Auftrag der Kirche in einer globalen Welt.

Man muss sich zudem bewusst sein, dass die Bevölkerungspyramide im Nahen Osten nahezu umgekehrt wie in Europa aussieht. Knapp 30 Prozent der Menschen sind jünger als 25 Jahre. Dies trifft auch auf die christlichen Gemeinschaften zu. Die politischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen des Lebens in der Nahost-Region sind in diesen Ländern also insbesondere für junge Menschen entscheidend. Fragen des Glaubens, der Theologie und des kirchlichen Lebens sind nur ein Teil ihrer Probleme.

Junge Christ:innen haben sich von ihren Kirchen entfremdet

Die Mehrheit der jungen Menschen leiden an Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die oft in die Entscheidung zur Auswanderung münden. Viele verlassen ihre Länder und suchen nach einer Zukunft anderswo. Andere haben sich von ihren Kirchen entfremdet oder wenden sich ganz von den Kirchen und dem kirchlichen Leben ab.

Palästinenserin Viola Raheb ist Theologin, Dozentin, Friedensaktivistin und Projektreferentin der Organisation Pro Oriente.
Bild: ©missio / Projektpartner

Palästinenserin Viola Raheb ist Theologin, Dozentin, Friedensaktivistin und Projektreferentin der Organisation Pro Oriente.

Zahlreiche der christlichen Jugendlichen fühlen sich nicht ausreichend gehört – und zwar nicht nur bei den Aktivitäten rund um den synodalen Prozess, sondern weit darüber hinaus. Viele, die im Zuge dieses Prozesses die entsprechenden Fragebögen ausgefüllt haben, vermissen eine Perspektive für die Jugend sowie für die Frauen. Zudem haben nicht wenige die Hoffnung aufgegeben, dass sich die offiziellen kirchlichen Stellen für sie interessieren oder sie ernsthaft einbeziehen wollen.

Was die jungen Christ:innen von den Kirchen im Nahen Osten einfordern

Zu den Themen, die viele junge Menschen in den Synodalen Prozess einbringen wollen und einfordern, gehören:

  • eine klare Positionierung der Kirchen im sozio-politischen Kontext, der für das Leben der Menschen in fast allen nahöstlichen Ländern Grund zur Sorge bietet;
  • eine klare Positionierung zu Themen der Gerechtigkeit, der sozialen Teilhabe, zu den Bürger:innen- und Menschenrechten, zu Migration und Flucht sowie zum Thema Gewalt im Namen der Religionen;
  • die Modernisierung der Familiengesetze beziehungsweise des Personenstandrechts: Dieses verantworten fast überall in der Region die Religionsgemeinschaften, also die einzelnen konfessionell verfassten Kirchen. In Ländern, in denen keine zivilen Eheschließungen möglich sind, werden von ihnen so lebenswichtige Bereiche wie Ehe, Scheidung, Alimente, Kindeswohlsorge, Erbe und so weiter geregelt. Hier ist den jungen Menschen vor allem mehr Geschlechtergerechtigkeit wichtig.
  • eine klare Positionierung gegenüber traditionellen, patriarchalen und Frauen diskriminierenden Normen und gesellschaftlichen Zwänge des Zusammenlebens.
  • einen Paradigmenwechsel jenseits von "wir" und "sie", was Verhältnis und Kooperation zwischen Laien und Klerus betrifft. Die Gemeinschaft der Gläubigen, die Synodalität leben und erleben, vermissen diese Erfahrung im Verhältnis mit dem Klerus.
  • eine weitere Frage ist, wie eine synodale Kirche mit jungen Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen umgeht und wie sie sie respektvoll einbezogen werden können;
  • und letztendlich fehlen Offenheit und Begegnung auf Augenhöhe, genügend Wertschätzung und das Einbeziehen junger Menschen in Entscheidungsprozesse sowie die Übertragung von mehr Führungsaufgaben;

„Viele Jugendliche nehmen derzeit wahr, dass von ihren Kirchen in die Investitionen in "Steine", zum Beispiel in neue Kirchen oder Pastoralzentren, weit mehr Energie gesteckt wird als in Investitionen in die "lebendigen Steine"“

—  Zitat: Viola Raheb

Die Kirchen im Nahen Osten sollen nicht länger in Kirchen, sondern in Ausbildung investieren

Viele Jugendliche nehmen derzeit wahr, dass von ihren Kirchen in die Investitionen in "Steine", zum Beispiel in neue Kirchen oder Pastoralzentren, weit mehr Energie gesteckt wird als in Investitionen in die "lebendigen Steine", die christlichen Gemeinschaften, die dadurch immer mehr die Hoffnung verlieren und ihre Länder verlassen. Häufig betonen die Jugendlichen, dass Investitionen insbesondere in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen dringend gebraucht werden. Außerdem werden kirchliche Angebote für Weiterbildung und die Auseinandersetzung mit Themen wie Globalisierung, Digitalisierung, Atheismus, Ökumene oder Leadership vermisst.

Ganz zentral geht es bei vielen jungen Christ:innen um die Teilhabe an Entscheidungsprozessen im kirchlichen Leben, um die Mitwirkung bei der Neugestaltung der kirchlichen Präsenz, um Entwicklung statt Stagnation. Dieser Punkt ist den jungen Menschen deshalb so wichtig, weil für sie die Fragen nach ihrer christlichen Identität und nach der Zugehörigkeit zu ihrer Glaubensgemeinschaft einen ungemein hohen Stellenwert besitzt. Sie fragen sich: Wer bin ich als Christin, als Christ, im Hier und Jetzt – und was folgt daraus für mich, für mein Leben und für mein Zusammenleben mit anderen?

Ein Blick in die Weltkirche

Das Arbeitsdokument für die Bischofssynode zeigt – wie wohl noch kein Vatikan-Papier zuvor –, wie divers und vielfältig Katholiken in aller Welt leben. Priesterkinder, Frauenweihe und polygame Beziehungen sind nur einige Stichworte, die sich in dem Bericht wiederfinden.

Diese Fragen gilt es ernst zu nehmen. Nur so, im ernsthaften Hören auf die Jugendlichen, und im kreativ-kritischen Dialog mit ihnen, lassen sich Wege in die Zukunft entdecken, die man mit ihnen gemeinsam gehen sollte. Junge Menschen hoffen auf eine synodale Kirche, die ihnen und ihren Anliegen Raum gibt und sie ernst nimmt. Sie haben eigentlich Sehnsucht nach mehr kirchlichem Engagement und auch den Willen dazu. Aber sie sind auf der Suche nach Wegbegleiter:innen, die ihnen den Rücken stärken und sich mit ihnen aktiv für einen fundamentalen Wandel einsetzen.

Die jungen Menschen sehnen sich nach einer Kirche, die für sie wie eine Mutter sorgt; eine Kirche, die an ihrem Leben teilnimmt und mit ihren Erwartungen Schritt hält; eine Kirche, die auf Offenheit und Vertrauen setzt, wenn sie junge Menschen einbeziehen; eine Kirche, die sie durch Ressourcen aller Art unterstützt, damit sie ein Leben haben können - ein Leben in Fülle.

In dem theologischen Dokument "Wir wählen ein Leben in Fülle" wird betont, dass die Jugend nicht nur die Zukunft der Kirche ist, sondern auch ihre Gegenwart. Der synodale Prozess wird nur gelingen, wenn die jungen Menschen ernsthaft und mit allen Konsequenzen einbezogen werden.

Von Viola Raheb

Unter dem Titel "Für eine synodale Kirche. Gemeinschaft. Teilhabe. Sendung" hat Papst Franziskus zur Weltbischofssynode 2021-24 eingeladen. Das Projekt ist weltweit zwischen alle Fronten kirchenpolitischer Kulturkämpfe geraten. Wer Christinnen und Christen in Afrika, Asien, Lateinamerika oder dem Nahen Osten zum Vorbereitungsprozess fragt, merkt schnell: Hier findet gerade so etwas wie ein informelles, dezentrales Drittes Vatikanisches Konzil statt. Was in den Ortskirchen an Reformbedarf und neuem Gestaltungswillen auf den Tisch gelegt wird, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Deshalb stellen katholisch.de und das Internationale Katholische Missionswerk missio Aachen in einer kleinen Serie fünf Christinnen und Christen aus Afrika, Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika vor, die berichten, wie sie die Weltbischofssynode vorbereiten und begleiten.