Von "lieb und angepasst" zur kämpferischen Frau
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Auf großen Plakaten, zwei Bussen und auf Magazinen lächelt sie selbstbewusst und tatkräftig. Man erkennt eine Frau, die gerne anpackt. "Als Kind und Jugendliche war ich aber lieb, brav und angepasst," sagt Anne Merkenich, als sie in ihrem Arbeitszimmer in einem Kölner Vorort aus einem Ordner die sorgfältig abgehefteten Belegexemplare ihrer "Model-Karriere" als Werbebotschafterin für die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) hervorkramt.
Auf den Fotos sieht sie nicht lieb oder brav aus. Auf einem Bild ballt Anne Merkenich kämpferisch die Faust zu dem Spruch "Wir machen uns für Frauen stark" – ihre damals 63 Jahre sieht man ihr nicht an. "Das Kämpferische für Frauenrechte und Politik in mir erwachte erst durch meine Arbeit bei der kfd – als Mitglied und vor allem später auch hauptberuflich", berichtet die nun 67-Jährige. Sie hat der kfd noch mehr zu verdanken: Erst über den größten Frauenverband Deutschlands fand sie zu einer Vollzeitstelle, als sie das Geld am meisten brauchte. Als Assistentin der Geschäftsführerin im Diözesanverband Köln entwickelte Merkenich gemeinsam mit kfd-Verantwortlichen Projekte, die anderen Frauen in Not halfen. Auch als Rentnerin ist sie aktiv – für den Verband und für ihre Heimatstadt Köln.
Anne Merkenich ist eine rheinische Frohnatur mit durchaus auch nachdenklichen Seiten – und tatsächlich war sie jahrelang eine beliebte Sitzungspräsidentin beim Karneval ihrer kfd-Ortsgruppe in Köln-Rondorf. Im Rahmen ihres jahrzehntelangen Engagements im Verband hat sie auch Frauen getroffen, denen es nicht gut ging. "Ich habe so schlimme Schicksale gehört, wie man sie nicht mal aus dem Fernsehen kennt", sagt Merkenich. Aber wie es ist, krank, betrogen und nicht durchgehend erwerbstätig gewesen zu sein, hat sie auch am eigenen Leib erfahren.
Wegen der Gastwirtschaft der Eltern vom Gymnasium genommen
Begonnen hat das Leben von Anne Merkenich in einer Großfamilie auf dem Dorf, als älteste von vier Schwestern. "Zur ersten Heiligen Kommunion gingen wir zu Dritt: meine Schwester, mein Vetter und ich." Zwei Schweine sind dafür geschlachtet worden; drei Tage lang hat die Familie mit Freunden und Nachbarn gefeiert. Mit zehn Jahren kam sie auf das Erzbischöfliche Irmgardis-Gymnasium in Köln, was zu dieser Zeit für ein Dorfmädchen etwas Besonderes war. Allerdings konnte sie dort nicht bis zum Abitur bleiben. Ein Jahr vor dem Abi nahmen sie die Eltern von der Schule. Sie und ihre Schwestern mussten in der Vereins-Gastwirtschaft mit großem Saal in Rondorf helfen, die die Eltern übernommen hatten.
Danach machte Merkenich eine Ausbildung zur Wirtschaftkorrespondentin und dolmetschte für eine Metallvertriebsfirma bei Betriebsbesichtigungen und Verkaufsmessen in Englisch und Französisch. "In diesem männlich geprägten Job kam mir mein Selbstbewusstsein sehr zu Gute, das ich mir durch die harte Schule der Arbeit in der Kneipe meiner Eltern erworben habe". Mit 21 Jahren heiratete sie, drei Jahre später kam ihr Sohn zur Welt.
Als junge Mutter kam sie dann zur kfd: Sie und ihre Freundinnen wurden gefragt, ob sie nicht die Mitgliederzeitschrift im Dorf austeilen wollen, wenn sie mit ihren Kinderwägen ohnehin unterwegs waren. Merkenich stieg mit ein und machte fortan eine typisch rheinische kfd-Karriere mit regelmäßigen Treffen, Frauen-Gottesdiensten und der Vorbereitung und Durchführung von Karnevalsveranstaltungen. Bald wurde sie in ihrer Ortsgruppe in den Vorstand gewählt.
In ihren Beruf in die Vertriebs-Firma kehrte sie nicht mehr zurück, da ihr Sohn als Kind schwere Atemwegsprobleme hatte. Merkenich war damals bei ihrem Mann beschäftigt, einen freien Steuerberater. Ein Job, für den sie nicht das Haus verlassen musste. Auch aufgrund dieser Erfahrung zog sie Jahre später mit Listen durch die Kneipen Kölns, um Unterschriften für die Mütterrente zu sammeln, eine Lobby-Aktion der kfd und weiterer Verbände. "Und wir haben 2014 den zusätzlichen Rentenpunkt auch bekommen und somit sind ältere Mütter jetzt etwas bessergestellt", fügt sie zufrieden hinzu und wird gleich wieder kämpferisch: "Wir müssen da weitermachen, weil die Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben, immer noch einen Entgeltpunkt hintenan liegen, was immerhin 28 Euro pro Monat sind."
Immer wieder vor dem beruflichen Aus
In den 1980er-Jahren warf eine langwierige Krankheit Anne Merkenich aus der Bahn. Nach vielen Schmerzen und auch einer Reha war die damals 38-Jährige noch längst nicht fit. Die aktive Tennisspielerin musste ihren Sport komplett aufgeben. "Ich wurde traurig und unzufrieden über all das, was ich alles nicht mehr konnte. Meine damals fast schon blinde Mutter riet mir, etwas anderes zu tun, das mir Spaß macht." Sie wollte raus und fand eine Arbeit als Sekretärin im Caritasverband, wo sie Neues wie den Umgang mit dem Computer lernte. Als der Job nach eineinhalb Jahren zu einer Vollzeitstelle ausgebaut wurde, stand Merkenich nach kurzer Zeit wieder vor dem beruflichen Aus. Mit Kind und gesundheitlichen Einschränkungen war es ihr nicht möglich, ganztags zu arbeiten.
Zu Hilfe kam ihr damals gleich zweimal die Katholische Frauengemeinschaft. Die Frau ihres noch-Chefs bei der Caritas war ebenfalls kfd-Mitglied und wusste, dass in der kfd-Geschäftsstelle des Diözesanverbands eine Powerfrau wie Anne Merkenich gesucht wurde. Allerdings konnte diese weiterhin nur Teilzeit arbeiten und die freie Stelle nicht ausfüllen. Als Merkenich in ihrer kfd-Ortsgruppe ihr Leid schilderte, fand sich noch am selben Abend eine Frau aus dem Kirchenchor, die sich die Stelle mit ihr teilen wollte. Ab Anfang 1992 war Merkenich also Assistentin der Geschäftsführung in der Diözesangeschäftsstelle ihres Verbands.
Alles lief gut, dachte Anne Merkenich, ihr Kind wurde erwachsen. Dann erfuhr sie eine weitere Lebenskrise, als ihr Mann sie verließ. Nachts konnte sie nicht einschlafen, las viel. Eines Nachts fiel ein Buch aus dem Regal, das das Kloster Lluc zeigte. Am nächsten Morgen rief sie dort an, organisierte eine Vertretung auf der Arbeit und buchte im Reisebüro den nächsten Flug nach Mallorca.
Gebet im Wallfahrtsort auf Mallorca
Das "Santuari de Lluc", ein Marienwallfahrtsort im Nordwesten Mallorcas, ist heute ein fast schon überlaufenes Ziel von Pilgern und Touristen. Als Anne Merkenich dort im Jahr 1995 für zwei Wochen Zuflucht suchte, war es noch relativ ruhig. Mit den Patres konnte sie sich wegen der Sprachbarriere nicht unterhalten. Stundenlang saß sie in der Muttergotteskapelle vor der Schwarzen Madonna und betete um Hilfe. Im Rückblick sagt sie: "Ich bin fest überzeugt, dass mich der Heilige Geist auf diesen Weg gebracht hat als der Reiseführer aus dem Regal fiel – ich wusste nicht einmal, dass ich so ein Buch hatte."
Anne Merkenich kam gestärkt nach Deutschland zurück und sagt, dass sie nach einer langen schmerzhaften Zeit letztendlich ohne Rosenkrieg und ohne Verbitterung aus der Ehe rauskam. Und nach der Scheidung "hatte der Heilige Geist wieder seine gestalterische Kraft im Spiel". Eben zu dem Zeitpunkt als sie eine Vollzeitstelle brauchte, wurde die andere Hälfte der Assistentinnenstelle in der kfd-Geschäftsführung frei. Es war ein Job, der Merkenich begeisterte, auch weil ihre Chefin ihr vieles zutraute: "Ich konnte mich da so gut entwickeln und habe es mit Leidenschaft gemacht."
So habe sie dafür gesorgt, dass in sogenannten Auftankwochen für von Arbeitslosigkeit betroffene Frauen neben psychologischer Hilfe auch der Spaß nicht zu kurz kam. Sie kümmerte sich darum, dass das Programm wie gemeinsames Singen und Theater, die Kinderbetreuung und die Verpflegung für 50 Leute standen. Während dieser jeweils eine Woche dauernden Angebote lernte sie auch Frauen kennen, die oder deren Kinder missbraucht wurden. "Da wurde ich mit meinen Sorgen ganz klein." Merkenich brachte den Frauen bei, sich nichts gefallen zu lassen und einmal schaffte sie es, einen gewalttätigen Mann vom Tagungsort zu vertreiben, der seine Frau gleich zu Beginn wieder nach Hause mitnehmen wollte. "In dem Moment bin ich über mich hinausgewachsen," sagt sie.
Pilgern mit kfd-Frauen ins Kloster Lluc
Weitere Highlights ihrer Arbeit waren die Mitgestaltung vieler Wallfahrten und der "meditativen Inseltage", die der Diözesanverband seinen kfd-Mitgliedern anbot, etwa mit 400 Frauen nach Lisieux oder in kleinerer Besetzung nach Usedom, Frauenchiemsee – und auch mehrfach zurück zu ihrem spirituellen Ort, nach Lluc. Dort erlebten um die 30 Frauen einige Tage mit Morgenlob, Meditation auf dem Rosenkranzweg, aber auch mit Sightseeing und Besuch beim Bischof in Palma oder bei der evangelischen Balearen-Pfarrerin, wie zuletzt 2017. "Was diesen Ort betrifft, bin ich zweifach dankbar: dafür, dass mich der Heilige Geist damals dorthin geführt hat und dafür, dass ich danach so vielen Menschen ermöglichen konnte, auch nach Lluc zu kommen," sagt Merkenich.
Kurz vor der Rente gewann sie den Model-Wettbewerb ihres Verbands, der im Zuge einer großen Mitgliederwerbekampagne ausgeschrieben war, und wurde kfd-Werbebotschafterin in der Kategorie der 60- bis 70-Jährigen. "Nur mit vielen Mitgliedern kann man sich in Kirche und Gesellschaft bemerkbar machen und etwas erreichen," sagt sie. Anne Merkenich freut sich über die 32.000 neu geworbenen kfd-Frauen, aber das reicht ihr noch nicht. Es brauche noch mehr junge Frauen, aber die zögen sich manchmal zurück, wenn es zu Generationenkonflikten mit Frauen kommt, die an ihren Projekten klammerten und nicht abgeben wollten. Durch die Kampagne habe sie ihr Bewusstsein für das Werben geschärft und wenn sie in Gesprächen merke, dass sich jemand engagieren und etwas für Frauen tun möchten, erzählt sie von der kfd.
Heute ist Anne Merkenich als Seniorenvertreterin der Stadt Köln auch in der Politik aktiv. Sie kommt zwar aus keinem politischen Haushalt und hat sich nie für die Parteipolitik interessiert, aber durch die kfd ist sie zu den gesellschaftspolitischen Themen gekommen, bei denen sie mitmischen will. Inzwischen ist das einzig offizielle kfd-Amt der 67-Jährigen nur noch ihr Minijob in der kfd-Stiftung St. Hedwig. In ihrer Ortsgruppe ist sie – nach zwölf Jahren im Vorstand – längst wieder ein normales Mitglied. Was in all der Zeit gleich geblieben ist: Seit über 40 Jahren geht Anne Merkenich einmal im Monat durch Rondorf und bringt die Mitgliederzeitschrift "Frau und Mutter" zu den Mitgliedern.