"Es braucht Autorität und Handlungsvollmacht"
Frage: Frau Engelhard, Sie waren vor 15 Jahren die erste Seelsorgeamtsleiterin einer deutschen Diözese. Fühlen Sie sich als Pionierin mit Blick auf eine solche Leitungsaufgabe?
Engelhard: Pioniere waren erst einmal die Verantwortlichen im Bistum Osnabrück. Es gab zwar bereits vor mir Frauen, die in verschiedenen Diözesen Leitungsaufgaben wahrgenommen haben – etwa in den Rechts-, Personal- oder Finanzressorts. Eine Kollegin leitete ein Seelsorgereferat. Theologinnen waren aber auf der oberen Leitungsebene noch deutlich unterrepräsentiert. Deshalb war dann die Gestaltung der neuen Rolle auch für mich Pionierarbeit.
Frage: Wie war das damals? Hatten Sie das Gefühl, man blickt auf Ihre Arbeit anders als auf die der männlichen Kollegen?
Engelhard: In der Bistumsspitze und von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern habe ich von Anfang an viel Vertrauen erfahren. Ebenso von den Kollegen, die die Seelsorgeämter in den anderen Diözesen geleitet haben. Mehrere Rückmeldungen von damals zeigten, dass Frauen wie Männer die Berufung einer Frau in diese Position begrüßten. Gleichzeitig habe ich erlebt, dass sich eine Frau in einer solchen Aufgabe die Akzeptanz doppelt erarbeiten muss. Leitung hat in unserer Kirche überwiegend ein männliches Gesicht und vor mir gab es nur Priester in diesem Amt. Wenn Kirchengemeinden aber spüren, dass man mit ihnen zusammen die Pastoral weiterentwickelt und gute Wege in die Zukunft sucht, dann ist es wohl egal, ob das Seelsorgeamt von einem Mann oder einer Frau geleitet wird.
Frage: Sie sind seit 2002 im Amt. Hat sich seitdem etwas im Umgang mit den Frauen in der Kirche verändert?
Engelhard: Ja, ich meine das schon. So sind etwa in die Kommissionen der Bischofskonferenz deutlich mehr Frauen berufen worden als früher. In der Kommission "Ehe und Familie", in der ich als Beraterin mitarbeite, behandeln Bischöfe, Geweihte und Nicht-Geweihte, Frauen und Männer gemeinsam aktuelle Familienthemen. Einen vertrauensvollen Dialog auf Augenhöhe zwischen Männern und Frauen, Priestern und Laien, Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen in der Kirche zu fördern, bleibt aber eine zentrale Aufgabe.
Zur Person
Daniela Engelhard wurde 1964 in Paderborn geboren. Sie studierte Philosophie und Theologie in Mainz und Tübingen. Nach einer Ausbildung zur Pastoralreferentin im Bistum Mainz und anschließender Arbeit in der Seelsorge war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Dogmatik der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Seit 2002 leitet sie das Seelsorgeamt im Bistum Osnabrück.Frage: Mittlerweile gibt es zehn Seelsorgeamtsleiterinnen und weitere Frauen in anderen kirchlichen Führungspositionen. Braucht es in Deutschland vielleicht noch einmal eine überdiözesane Instanz? Im Vatikan gibt es seit dem vergangenen Jahr einen Frauenrat…
Engelhard: Wichtiger ist, dass die schon vorhandenen Gremien und Formate genutzt werden. Als gewinnbringend habe ich die Dialogforen im Rahmen des überdiözesanen Gesprächsprozesses und die Arbeit in der Frauenkommission der Deutschen Bischofskonferenz erlebt. 2013 hat die Kommission etwa einen Studientag für die Vollversammlung der Bischöfe vorbereitet, in dem es um das Wirken von Frauen in der Kirche ging. Der Tag hat unter anderem dazu geführt, dass mehr Frauen in kirchliche Leitungspositionen berufen wurden. Weiterbildungskurse wie "Führen und leiten" oder ein Mentoring-Programm sind als konkrete Maßnahmen eingeleitet worden. Sie bieten Frauen wichtige berufliche Entwicklungschancen.
Frage: Warum nur ein Mentoring-Programm für Frauen? Brauchen Männer so etwas nicht?
Engelhard: Wer eine Führungsaufgabe übernimmt, braucht eine gute Vorbereitung und Qualifikation – egal ob Mann oder Frau. Die Aufgaben sind so komplex, dass man nicht einfach loslegen kann. Daher finde ich die verschiedensten Maßnahmen, die das heute fördern, sehr sinnvoll und notwendig. Ein Mentoring hätte ich vor meinem Start vor 15 Jahren auch gut gebrauchen können. Allerdings betrug der Frauenanteil auf der oberen Diözesanebene bis vor kurzem nur 13 Prozent, der Anteil der nichtgeweihten Männer dagegen 38 Prozent. Frauenspezifische Angebote sind also durchaus angezeigt. Ein nachhaltiger Kulturwandel in der Kirche ist dann zu erwarten, wenn Frauen mit mindestens 30 Prozent vertreten sind.
Frage: Es sind nur 13 Prozent Frauen auf höchster Ebene, aber fast 40 Prozent in den Seelsorgeämtern. Zugespitzt gefragt: Sind Frauen so gut in der Pastoral oder wollen die Männer sie nur nicht an die Spitze der Finanzabteilung und damit ans Geld lassen?
Engelhard: (lacht) Es haben ja schon Frauen Verantwortung für Finanzen gehabt, bevor ich mein Amt als Seelsorgeamtsleiterin angetreten habe. Man kann also nicht sagen, dass man es den Frauen nicht zutraut. Bis vor einigen Jahren war eher das Gegenteil der Fall: Der theologisch-seelsorgliche Bereich blieb den Priestern vorbehalten. Hier ist aber offensichtlich die Erkenntnis gereift, dass wir es in der Seelsorge mit existenziellen Fragen von Männern und Frauen und vielfältigen Lebenssituationen zu tun haben. Daher braucht es dort im besonderen Maße eine Mischung der Lebenserfahrungen, Berufungen und Kompetenzen – und zwar vor Ort in den Pastoralteams wie auch auf der Leitungsebene.
Frage: Welche Formen der Leitung durch Frauen können Sie sich mit Blick auf die Pfarreien noch vorstellen?
Engelhard: In unserem Bistum arbeiten wir stetig daran, die Leitungsmodelle für die Kirchengemeinden weiterzuentwickeln. Seit Jahren haben wir bereits Frauen und Männer als Pastorale Koordinatoren im Einsatz, die in großen Pfarreiengemeinschaften mit dem Pfarrer ein Tandem bilden. Soweit möglich werden die Leitungsaufgaben in geteilter Verantwortung wahrgenommen. Zudem gibt es Ehrenamtliche Gemeindeteams. Darin übernehmen engagierte Gemeindemitglieder Verantwortung für ihre Gemeinde vor Ort und erhalten dafür eine bischöfliche Beauftragung. Beide Modelle werden wir ausbauen. Eine stärkere Mischung von Männern und Frauen ist auch für die Verkündigung und die Liturgie bereichernd. Das bestätigen unsere Erfahrungen mit der Leitung von Wort-Gottes-Feiern, Segensgottesdiensten und im kirchlichen Bestattungsdienst. Es wird sehr geschätzt, dass Männer und Frauen hier tätig sind.
Frage: Geht es bei der Forderung nach mehr Frauen in Führungsposition auch um Macht?
Engelhard: Macht ist ja erst einmal neutral und eine Gabe, die den Menschen vom Schöpfer gegeben ist. Es kommt darauf an, wie diese Macht genutzt wird. Sie hat immer eine Dienstfunktion und ist auf Ziele ausgerichtet. Sie bietet Gestaltungsmöglichkeiten. Insofern lautet die Antwort "Ja". Männer und Frauen sollen beide die Chance haben, Kirche mitzugestalten. Dazu braucht es Autorität im Sinne der Glaubwürdigkeit, aber auch "potestas" im Sinne von Handlungsvollmacht.
Frage: Ist die zunehmende Zahl an Frauen in Leitungspositionen auch eine Art "Machtausgleich" für die fehlende Frauenweihe?
Engelhard: Für Frauen wie für die Kirche ist es ein wichtiger Schritt nach vorne. Kirchliches Handeln profitiert meiner Überzeugung nach von mehr Vielfalt unter den Verantwortungsträgern. Klar ist aber auch, dass mit Blick auf das Weiheamt eine strukturelle Asymmetrie bestehen bleibt.
Linktipp: Ein Jahr auf dem Weg in die Führungspositionen
In der Kirche gibt es viele kompetente Frauen, sagt Andrea Gersch. Damit diese noch sichtbarer werden, ist sie selbst aktiv geworden und hat Eva-Maria Düring als Mentorin begleitet. Ein Doppelinterview.Frage: Wenn schon keine Weihe: Auf weltkirchlicher Ebene wird gerne der Kardinalstitel für Frauen ins Gespräch gebracht, um ihre Autorität zu stärken. Was halten Sie davon?
Engelhard: Einen Kardinalstitel für Frauen halte ich für sehr weit entfernte Zukunftsmusik. Ich konzentriere meine Kräfte gerne auf realistische Ziele. Da finde ich den Anstoß von Papst Franziskus wichtig, der auf allen Ebenen in Gesellschaft, Politik und Kirche eine stärkere Beteiligung von Frauen fordert. Hier können sicher kirchlicherseits Spielräume noch weiter ausgenutzt werden. Auch unabhängig von einer Leitungsposition könnten mehr Frauen in wichtige Gremien und Kommissionen berufen werden, damit ihre Fachexpertise in Entscheidungen eingeht. Dieser Weg scheint mir effektiv und nachhaltig zu sein.
Frage: Wenn Sie in die Zukunft der Kirche blicken: Was wünschen Sie sich als Gläubige, was als Mitarbeiterin und was als Frau?
Engelhard: Als Gläubige wünsche ich mir, dass es in Zukunft noch lebendige christliche Glaubensgemeinschaften gibt, die auch für Suchende und Zweifelnde interessant sind. Als Mitarbeiterin wünsche ich mir, dass die vielfältigen beruflichen Felder im Raum von Kirche für junge Menschen attraktiv sind.
Frage: Und als Frau?
Engelhard: Dass die öffentliche Sichtbarkeit kirchlich engagierter Frauen gefördert wird. Ich denke etwa an die hervorragende Arbeit vieler Seelsorgerinnen oder den hohen Einsatz von Frauen in ehrenamtlichen Leitungspositionen.