Wie Glaube und Geschlecht zusammenhängen

Weiblich, fromm und religiös?

Veröffentlicht am 09.05.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Eine Jugendliche kniet betend in einer vollen Kirche.
Bild: © KNA
Glaube

Bonn ‐ Frauen beten häufiger und schätzen sich religiöser ein als Männer. Zwei Theologinnen äußern sich zu Unterschieden zwischen Mann und Frau im Glauben – und der Frage, ob es "weiblichen" Glauben gibt.

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Frauen sind frommer – zumindest, wenn man nach den Ergebnissen verschiedener Untersuchungen geht. Die befragten Frauen schätzen sich darin insgesamt religiöser ein als Männer. Zudem gaben sie häufiger als Männer an, zu beten und das Gebet wichtig zu finden. Auch unter weiblichen Jugendlichen ist der Glaube eher von Bedeutung: Bei der Shell-Jugendstudie 2017 waren 81 Prozent der männlichen Teilnehmer überzeugt, auch ohne den Glauben an Gott glücklich werden zu können. Bei den weiblichen Teilnehmern waren es nur 77 Prozent. Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt es offenbar auch darin, woran sie glauben. Eine Untersuchung im Auftrag des evangelischen Magazins Chrismon fand heraus, dass Frauen sich mehr für Themen wie Geister, Engel und Astrologie interessieren.

Dass Frauen religiöser seien als Männer, glaubt Hildegund Keul, Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, jedoch nicht. "Sie leben ihre Religiosität anders." Wie Frauen und Männer glaubten, sei dabei unterschiedlich: "Wenn glauben als Tätigkeit eine Antwort auf den Ruf Gottes ist, so hat jedes Glauben etwas Individuelles. Daher haben auch Gottesbilder viel mit der eigenen Biographie zu tun", meint Keul. "Wenn Frauen anders leben als Männer, dann glauben sie auch anders", meint auch Angela Kaupp, Professorin für Praktische Theologie, Religionspädagogik sowie Fach- und Bibeldidaktik an der Universität Koblenz-Landau. Für ihre Dissertation hat sie junge Frauen befragt. "Da konnte man sehen, dass Themen, die in ihrem Leben eine Rolle spielten, auch auf die Art und Weise, wie sie glaubten, Einfluss haben." Ein Mädchen habe etwa erzählt, dass sie sich vorstelle, Gott habe einen Anrufbeantworter, um alle Gebete hören zu können. "Ein solches Bild kann ja erst in einer Zeit entstehen, in der Anrufbeantworter verbreitet sind." Bei Studien mit Kindern und Jugendlichen sei zudem auffallend gewesen, dass Jungen sich Gott eher als mächtigen Superman vorstellen. Mädchen hingegen tendierten bei ihrem Gottesbild dazu, die beschützenden Eigenschaften herauszukehren. Bei Erwachsenen gebe es demgegenüber zum Glaubensinhalt, wie etwa zu den Gottesbildern, kaum wissenschaftliche Untersuchungen.

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"Nun, sag, wie hast du's mit der Religion?" Die Gretchenfrage wurde wieder einmal gestellt – diesmal tausenden Menschen in 13 Ländern weltweit. Am Dienstag präsentierte die Bertelsmann Stiftung in Gütersloh diesen neuen Religionsmonitor.

Besser erforscht ist der Glauben in der Lebenspraxis. "Die sieht bei Frauen und Männern unterschiedlich aus, weil Frauen und Männer in unserer Gesellschaft unterschiedliche Lebenserfahrungen machen", so Hildegund Keul, die Professorin für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist. Beide seien mit verschiedenen Rollenerwartungen konfrontiert, von denen sie geprägt würden, die sie aber umgekehrt auch selbst prägten. Das lasse sich auch bei Religionslehrkräften beobachten, meint Angela Kaupp: Frauen würden dem Aspekt der Glaubenserfahrung in ihrem Unterricht meist mehr Bedeutung zumessen als ihre männlichen Kollegen. Letztere legten dagegen mehr Wert auf eine kognitive Auseinandersetzung mit den Inhalten. Auf diese Unterschiede müsse bei Ritualen wie Gottesdiensten und Sakramenten entsprechend geschlechtersensibel eingegangen werden, fordert Keul. "Es kommt darauf an, die unterschiedlichen Erfahrungen, Erwartungen und Bedürfnisse von Frauen und Männern wahrzunehmen und entsprechend zu handeln."

Der Einfluss der männlich geprägten Kultur

Eine Rolle dabei spielt sicherlich die Entstehungsgeschichte des christlichen Glaubens in einer männlich geprägten Kultur. Zu Beginn des Christentums hätten Frauen auch Leitungsämter in den ersten Gemeinden innegehabt, wie etwa Priska oder Junia (Röm 16) meint Angela Kaupp. Das habe sich geändert, da die Christen die Gesellschaftsstrukturen der griechischen und römischen Umwelt übernahmen, in denen die Frauen öffentlich wenig zu sagen hatten. "Obwohl es seit Jahrhunderten Universitäten gibt, waren Frauen aus der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Glauben in der Öffentlichkeit ausgeschlossen." Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie zum Studium zugelassen. Die Formen, in denen Frauen sich stattdessen mit ihrem Glauben auseinandersetzten, seien bis heute nur selten untersucht worden: "Die Handarbeiten etwa, die in Frauenklöstern entstanden und mit denen die Frauen auch ihren Glauben ausdrückten, sind lange weder als eigenständige Kunstform noch als theologische Zeugnisse aufgegriffen worden." Auch die Mystik, zu der viele Frauen gehörten, habe in der Schultheologie lange überhaupt keine Rolle gespielt. Die Theologie der bekanntesten Vertreterin in Deutschland, Hildegard von Bingen, wurde erst Ende des 20. Jahrhunderts umfassend rezipiert.

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Da rollen viele die Augen: "Feministisch" ist kein positiv besetztes Wort. Und doch hat die feministische Theologie viel erreicht, meint Aurica Nutt. Was es dabei mit "die Gott" auf sich hat, erklärt die Theologin im Interview.

So werde das christliche Gottesbild oft als männlich geprägt angesehen. Das sei nicht unbedingt einfach für Frauen, glaubt Angela Kaupp: "Wenn Gott als Mann und Herrscher dargestellt wird, können sich viele Frauen mit diesem nicht so identifizieren wie Männer." Doch der Mangel an Identifikationsmöglichkeiten für Frauen wiederum habe ihr Einfühlungsvermögen beeinflusst. Dies zeige sich darin, dass es Frauen leicht falle, sich mit anderen Frauen wie auch mit Männern zu identifizieren – nicht nur im Bereich der Religion. Bei einer Untersuchung zu einer Bibelstelle (Ester 1) beispielsweise hätten sich die Mädchen nicht nur mit den weiblichen Personen, sondern auch mit den männlichen identifizieren können. Die Jungen hätten sich dagegen nur mit männlichen Personen identifiziert und es abgelehnt, sich in die weibliche Perspektive hineinzuversetzen.

In Zukunft wird sich der Bezug von Frauen zur Religion grundlegend ändern – davon sind beide Theologinnen überzeugt. "Aktuell sieht man, dass auch die Frauen aus den Kirchenbänken verschwinden", meint Angela Kaupp. Ein Grund dafür sei, dass Frauen heutzutage nach Aktivitäten suchen, mit denen sie sich identifizieren könnten – im Gegensatz zu vorherigen Generationen, die sich oft sehr nach den Konventionen gerichtet hätten. "Männer wie Frauen fragen heute stärker: Passt dieser Glaube zu dem, wie ich lebe? Sie lassen sich nicht mehr durch gesellschaftliche Vorgaben dabei halten." Hildegund Keul sieht ebenso diesen Traditionsabbruch bei jungen Frauen. "Das ehrenamtliche Engagement von Frauen in der Kirche ist kein Selbstläufer. Sie haben religiöse Interessen, schauen sich aber auch anderswo um und leben ihren Glauben anders: individueller, situativer, vielleicht in gewissem Sinn auch kreativer." Gerade beim ehrenamtlichen Engagement, meint auch Kaupp, würde stärker nachgefragt, ob es einem etwas bringe. "Die Jugend ist da sehr pragmatisch drauf, wie die Sinus Jugendstudie U 27 'Wie ticken Jugendliche?' belegt."

Von Johanna Heckeley

Dossier: Frauen und Kirche

Apostelin, Theologin, Seelsorgerin, Ehrenamtlerin - und Glaubende: Frauen spielen eine wichtige Rolle in der Kirche. Mit diesem Dossier will katholisch.de dem gerecht werden und hat Artikel zu unterschiedlichen Bereichen zusammengestellt.