Wenn im Beichtstuhl geistlicher Missbrauch stattfindet
Bei einer bundesweiten Aktion sind Frauen aufgerufen im Dunkeln Taschenlampen auf Kirchentüren zu richten. Damit soll auf die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche aufmerksam gemacht werden. "MachtLichtAn!" fordern die Mitglieder der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und wollen sich am 12. Dezember um 18 Uhr zu Tausenden treffen. Was bei dieser bundesweiten Aktion erreicht werden soll, erklärt die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes, Agnes Wuckelt, im Interview.
Frage: Frau Wuckelt, was soll bei der Aktion "#MachtLichtAn!" passieren?
Wuckelt: Wir setzen uns für die Rechte von Menschen ein, die von sexuellem Missbrauch und von Gewalt betroffen sind. Und es sind viele. Die meisten Betroffenen fühlen sich ohnmächtig und hilflos, manche sind auch in ihrem Leiden stumm geworden. Deshalb gehen wir auf die Straße und zeigen uns solidarisch mit ihnen. Durch diese Aktion sollen sie spüren, dass sie nicht alleine sind. Es reicht uns aber nicht, einfach nur Kerzen anzuzünden. Wir wollen das grelle Licht der Taschenlampe auf ein dunkles Kapitel in der Kirche richten. Wir klagen mit den Opfern an und wollen Licht in die Sache bringen, damit nichts mehr verschwiegen wird.
Frage: Sie fordern vor allem von Bischöfen eine Erneuerung der Kirche. Ist das nicht zu einseitig?
Wuckelt: Nein, unsere Aktion wendet sich konkret an die, die Verantwortung für die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche übernehmen sollten. Und das sind in erster Linie die Bischöfe. Wir fordern sie daher auf: "Schafft Machtstrukturen ab, setzt unabhängige Missbrauchsbeauftragte ein, verändert die kirchliche Sexualmoral und erneuert die Kirche!" Das alles sind Forderungen, die auch auf der diesjährigen Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe formuliert wurden, um künftig solche Fälle zu verhindern. Es geht uns als Frauengemeinschaft nicht darum, einzelne Bischöfe an den Pranger zu stellen. Wir möchten denjenigen Bischöfen den Rücken stärken, die sich schon um eine gute Aufarbeitung mühen, die Archive öffnen und Missbrauchskommissionen einrichten. Wir wollen mit der Aktion aber auch die Opfer ermutigen, offen zu reden und Anzeige zu erstatten. Überall dort, wo sich einseitig Macht aufstaut, kann ein Vakuum für Missbrauch entstehen. Davon sind Ordensgemeinschaften und Pfarreien nicht ausgenommen.
Frage: Haben Sie in der kfd eine Anlaufstelle für Missbrauchsopfer eingerichtet?
Wuckelt: Offiziell haben wir keine Anlaufstelle. Aber es entwickeln sich Kontakte mit Betroffenen. So führe ich als Seelsorgerin viele Gespräche mit älteren Frauen, die sich schmerzvoll an einen sexuellen Missbrauch erinnern. Sie sind oft so stark traumatisiert, dass sie nur schwer darüber sprechen können. Man merkt schnell, wie lange sie ihre Erfahrungen verdrängt haben. Oft liegen die Taten Jahrzehnte zurück. Erst vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einer Frau, die mir erzählt hat, dass ihr damals niemand geglaubt hat. Selbst ihre Mutter wollte nicht zuhören, weil sie dachte, es wäre die blühende Fantasie ihrer Tochter. Doch es war sexueller Missbrauch, was die damals Achtjährige im Erstkommunionunterricht durch einen Kleriker erleiden musste. Sie hatte danach versucht, jemanden zu finden, der ihr zuhört und weiterhilft. Doch da war niemand. Irgendwann gab sie auf. In den 1950er und 60er Jahren gab es keine Sexualaufklärung. Über das Thema wurde einfach nicht gesprochen. Man erkennt auch, wieviel Scham dahinter stecken muss, dass sie sich jetzt erst meldet. Wie viele Fälle liegen da wohl noch im Dunkeln? Auf der anderen Seite wird oft vergessen, dass auch Frauen zu Täterinnen werden können. Mindestens ebenso schlimm finde ich es, wenn geistlicher Missbrauch stattgefunden hat.
Frage: Was meinen Sie damit?
Wuckelt: Wenn beispielsweise Kleriker die Menschen im Beichtstuhl ausfragen, wie genau sie gegen das sechste Gebot verstoßen haben, dann ist das geistlicher Missbrauch. Unter dem Deckmantel der Vergebung Gottes wird gefragt, wie es im Ehebett zugeht oder wie sich jemand selbst sexuell befriedigt hat. Ich kenne einige Leute, die das bestätigen und wirklich so ihre Beichte erlebt haben und bis in die kleinsten Details abgefragt wurden. Was soll das? Ich frage mich, ob sich dadurch manche Geistliche aufgegeilt haben. Schlimm, dass so etwas im Rahmen einer Beichte passiert. Dieses Phänomen hängt strukturell mit dem Verständnis von Sünde und den Sakramenten zusammen. Als Kirche Jesu Christi müssen sich Kleriker ernsthaft fragen, ob sie im Sinne des Evangeliums handeln, wenn sie Kinder und Frauen klein machen und auf diese Weise sexuell ausbeuten.
Frage: Was empfehlen Sie, damit Missbrauch nicht mehr passiert?
Wuckelt: Man kann nur eines machen: Kinder stark machen. Bereits im Kleinkindalter muss eingeübt werden, Nein zu sagen und Grenzen zu setzen, vor allem im körperlichen Umgang miteinander. Als Frauenverband fordern wir offensiv, sexualethische Fragen viel stärker in die Kindergartenpädagogik und in den Schulunterricht einzubringen. Dabei müssen auch die Erziehungsverantwortlichen die entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten nutzen, damit alle sprachfähig über Sexualität werden. Das betrifft Eltern genauso wie Vorgesetzte. Auch in der Ausbildung der Priester muss sich einiges verändern. Es soll genau überprüft werden, welche Rolle der Zölibat, die Haltung der Kirche zur Sexualität und das immer noch gestörte Verhältnis zu Frauen spielen.
Frage: Manche Kleriker sagen aber, in den Familien passiere mehr Missbrauch als in der Kirche …
Wuckelt: Auch in den Familien gibt es Machtstrukturen, die gefährlich werden können und die es aufzubrechen gilt. Wir müssen Türen öffnen, koste es, was es wolle. Doch wenn ein Kleriker sagt, dass in den Familien mehr Missbrauch als in der Kirche stattfindet, dann ist das eine Form des Vertuschens und Kleinredens von oben herab. Auch dagegen lehnen wir uns mit dieser Aktion auf.
Frage: Sind Sie optimistisch, dass die Aktion gut angenommen wird?
Wuckelt: Ja, wir bekommen viele positive Rückmeldungen und Zusagen aus vielen Mitgliedsverbänden und von Interessierten. Es wäre schon beeindruckend, wenn wir möglichst viele Frauengruppen damit mobil machen könnten. Es sind aber auch Männer, Jugendliche und Kinder eingeladen, sich daran zu beteiligen. Priester der einzelnen Kirchengemeinden können sich an die Portale zu uns Frauen dazustellen. Das wäre ein starkes Zeichen! Als Türöffner haben wir ein eigenes Gebet formuliert. Es heißt darin: "Wir glauben an eine Kirche, die als Gemeinschaft die Kraft zu Erneuerung und Reform hat. Schenke den Verantwortlichen dazu Gottes Geistkraft, damit nach vielen Worten nun endlich Taten folgen." Wir fangen schon mal damit an!