Warum Frauen in Leitungspositionen die Kirche stören
Zu einer Zeit, als Kardinal Reinhard Marx sich das nach eigenen Angaben noch nicht einmal vorstellen konnte, wagte Bischof Franz-Josef Bode in Osnabrück eine kleine Revolution: 2002 machte er die Pastoralreferentin Daniela Engelhard zu Chefin des diözesanen Seelsorgeamts. Sie war damit die erste Frau in Deutschland in einer solchen Führungsposition. Gut 15 Jahre später ist Engelhard immer noch im Amt, ihren Exotenstatus hat sie aber verloren: Inzwischen bekleiden Frauen in zehn Diözesen die gleiche Position. Im Erzbistum München-Freising, dem Dienstsitz des DBK-Vorsitzenden Marx, leitet die Abteilung "Seelsorge und kirchliches Leben" zwar ein Mann. Insgesamt werden dort aber vier der sieben inhaltlichen Ordinariats-"Ressorts" von Frauen verantwortet – mehr als die Hälfte also.
"Seit 2010 haben die kirchlichen Bemühungen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, richtig an Fahrt aufgenommen", hat die Theologin Andrea Qualbrink beobachtet. Für ihre Dissertation über die Möglichkeiten und Bedingungen für Frauen in kirchlichen Leitungspositionen ist die Referentin für Personalentwicklung und Gesundheit im Generalvikariat des Bistums Essen Anfang 2018 mit dem Elisabeth-Gössmann-Preis der Universität Graz ausgezeichnet worden. Die Namensgeberin passt zum Thema: Der feministischen Theologin Gössmann war es 1963 von der Deutschen Bischofskonferenz noch untersagt worden, sich zu habilitieren, bevor es ihr 1978 doch gelang - im Fach Philosophie.
Kirche braucht Vergleiche mit der Wirtschaft nicht zu scheuen
In ihrer preisgekrönten Arbeit hat Qualbrink verschiedene aktuelle Zahlen und Statistiken zusammengetragen: Danach fanden sich 2013 in den deutschen Ordinariaten auf der mittleren Leitungsebene gerade einmal 19 Prozent Frauen. Andere kirchliche Arbeitgeber sind da fortschrittlicher: Im Deutschen Caritas Verband herrschte 2015 auf der mittleren Führungsebene nahezu Geschlechterparität. Und die Leitung von Diözesanräten und verwandten Gremien – die allerdings häufig ehrenamtlich sind — waren laut Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) 2014 zu 39 Prozent mit Frauen besetzt. Verglichen mit der Privatwirtschaft und der staatlichen Verwaltung schlägt sich die Kirche damit wacker. Dort waren 2013 zusammengenommen 36 Prozent aller Führungskräfte Frauen.
Generell gilt jedoch: Geht es weiter nach oben, wird die Luft für Frauen besonders schnell besonders dünn. Auf der obersten Leitungsebene der deutschen Ordinariate waren nach den Recherchen Qualbrinks bis Januar 2013 ganze 28 Frauen angekommen – ein Anteil von 13 Prozent. Im Februar 2016 waren es dann schon 13 Frauen mehr.
Auch wenn man die mit einer Weihe verbundenen Ämter einmal außen vorlässt, haben es Frauen beim Aufstieg in Leitungspositionen kirchlicher Arbeitgeber deutlich schwerer als Männer. Dafür hat Andrea Qualbrink in ihrer Arbeit ein ganzes Bündel von Ursachen gefunden. Besonders schwer wiegt die Organisationskultur der Kirche. Wie in weltlichen Bereichen auch, stießen Frauen beim Aufstieg mitunter an "gläserne Decken", sagt die Theologin. Sie machten die Erfahrung, von informellen Netzwerken ausgeschlossen zu werden und ihre Kompetenzen stärker beweisen zu müssen als männliche Kollegen. Dabei fehle es den Kandidatinnen für kirchliche Führungspositionen nicht an Engagement. Sie seien oft "hochmotiviert, hochkompetent, hochloyal, spirituell und kirchlich verbunden", hat Qualbrink festgestellt.
Wie in staatlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen, würden auch in der Kirche zudem künftige Führungskräfte häufig aus den unteren Ebenen rekrutiert. Diese Praxis der Ansprache sei jedoch besonders diskriminierungsanfällig, weil diejenigen (Männer), die über die neuen Führungskräfte entschieden, oft unbewusste Muster zum Nachteil des weiblichen Geschlechts im Kopf hätten. So setzten sie im Interesse von Stabilität, Vertrauen und Handlungssicherheit eher auf ihnen ähnliche und im Auftreten vertraute Bewerber – also Männer, meint Qualbrink. Bei diesen unbewussten Vorstellungen komme in der Kirche im Vergleich zu säkularen Organisationen dann noch der Stand als relevanter Faktor hinzu: Ist jemand Laie oder geweiht? Und auch eine rein statistische Komponente gibt es: Wenn die neuen Führungskräfte aus den unteren Ebenen rekrutiert werden, Frauen aber auch dort unterrepräsentiert sind, dann können sie auch nicht in größerer Zahl weitere Sprossen der Karriereleiter erklimmen.
Frauen stehen ihrer Karriere bisweilen selbst im Weg
Nach den Ergebnissen Qualbrinks stehen sich Frauen bisweilen aber auch selbst im Weg. Fehlendes Selbstbewusstsein oder eine zu wenig zielgerichteten Karriereplanung sind da die Stichworte. "Hier ist es auch an den Frauen, sich zu qualifizieren, aktiv Netzwerke und Mentoringbeziehungen aufzubauen und sich für Leitungspositionen zu bewerben", appelliert die Theologin. Schließlich spiele für Frauen die Frage, wie sich Karriere und Kinder vereinbaren ließen, eine größere Rolle als für Männer. Unter den Frauen in kirchlichen Führungspositionen, die Qualbrink für ihre Studie befragte, formulierten einige explizit die Meinung, dass "eine Leitungsposition in der Kirche mit einer Familie schwer vereinbar ist". Ein paradoxer Befund gerade für eine Institution, die sich derart für Familien einsetzt, meint die Wissenschaftlerin.
Linktipp: "Es braucht Autorität und Handlungsvollmacht"
Daniela Engelhard war eine der ersten Frauen in einer kirchlichen Führungsposition. Mit katholisch.de hat die Leiterin des Osnabrücker Seelsorgeamts über Pionierarbeit und Macht gesprochen. (Interview von August 2017)Was kann nun getan werden, damit sich die Kirche weiter für Frauen öffnet? Qualbrink empfiehlt den einzelnen Bistümern eine ehrliche Bestandsaufnahme durchzuführen, sich messbare Zielvorgaben zu setzen und eine geschlechterbewusste Personal- und Organisationsentwicklung zu etablieren.
Einige solcher Maßnahmen gibt es schon, sowohl auf diözesaner als auch auf überdiözesaner Ebene: So hat etwa ein halbes Dutzend Bistümer eine Gleichstellungsbeauftragte berufen. In einigen Bistümern gibt es Gleichstellungsordnungen. Mehrere Mentoring-Programme wie das 2015 gestartete "Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf" des Hildegardis-Vereins und der deutschen Bischofskonferenz werden gut angenommen. Und etwa die Bistümer Essen, Osnabrück und München-Freising beteiligen Gemeinde- und Pastoralreferentinnen an der Gemeindeleitung. "Theologie und Kirche müssen sich intensiv mit dem Thema Leitung beschäftigen und Dienste, Ämter und Aufgaben, Strukturen und Kulturen weiterentwickeln", fordert Qualbrink.
"Stören" als "produktive Irritation"
Die sichtbaren Fortschritte benennt sie mit einem Begriff aus der interdisziplinären Systemtheorie: Frauen in Leitung "störten" die Organisation Kirche. "Das heißt, sie sind eine produktive Irritation für ein sich über Jahrhunderte selbst erhaltenes System, das durch die Irritation lernt und sich weiter entwickelt." Frauen haben bereits das Gesicht der Kirche verändert und werden es weiter tun – da ist sich Qualbrink sicher.
Schließlich sprächen dafür nicht allein pragmatische, sondern vor allem theologische Gründe. Qualbrink zitiert die Theologieprofessorin Sabine Demel. Die Kirche brauche Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen, hat die einmal geschrieben – und zwar "nicht, weil sie sonst zu wenig Personal für die tägliche Arbeit und Umsetzung ihrer Sendung hätte, sondern weil dies die Ebenbildlichkeit des Menschen als Mann und Frau verlangt".