"Die Frauenfrage hat Sprengpotential"
Frage: Frau Rahner, Sie sind verwandt mit dem Theologen Karl Rahner?
Rahner: Ja, über sieben Ecken, so weit, dass es schon nicht mehr so richtig wahr ist…
Frage: Ist es für Sie ein Auftrag, das theologische Erbe Karl Rahners weiterzugeben?
Rahner: Ja. Und ich denke, das ist der Auftrag meiner ganzen Generation. Wir stehen auf den Schultern so großer und bedeutender Theologen und sollten ihre Ansätze weiterdenken und weiterentwickeln. Auch bei Karl Rahner haben wir noch lange nicht alles ausgeschöpft.
Frage: Was meinen Sie zum Beispiel?
Rahner: Er schrieb schon in den 1970er Jahren – unmittelbar auf die erste Wortmeldung des Lehramts zum Thema –, dass die Lösung der Frauenfrage in der katholischen Kirche keine 100 Jahre mehr Zeit hätte und die Verweigerung der Weihe von Frauen theologisch letztlich nicht zu begründen sei. Und heute, fast 40 Jahre später, ist die Frage nach wie vor ungeklärt. Wenn Kirche glaubwürdig sein will, muss sie dieses Thema angehen. Ich sage: Kirche kann es sich auf Dauer weder theologisch noch soziologisch leisten, Frauen nicht zu weihen.
Frage: Johannes Paul II. hat die Frage der Frauenweihe mit seinem Schreiben "Ordinatio sacerdotalis" (1994) doch eigentlich geklärt, oder?
Rahner: Da Johannes Paul II. kein zusätzliches inhaltliches Argument zu dem brachte, das schon Paul VI. anführte, bin ich mir da nicht so sicher. Karl Rahner sagte damals jedenfalls, theologisch spreche nichts gegen die Weihe von Frauen. Im Gegenteil. Es bleibt das Votum Rahners: Es gibt kein stimmiges ekklesiologisches oder historisches Argument, das Frauen vom Weiheamt ausschließen würde. Und darüber müssen wir nicht mehr diskutieren! Die eigentliche theologische Fragwürdigkeit ist doch, dass Frauen die Weihe verweigert wird.
Frage: Ist das eine Machtfrage?
Rahner: Zumindest werden Scheinargumente bedient. Oft wird mit den männlichen Aposteln argumentiert, die in der Nachfolge Jesu stehen. Neben der Tatsache, dass es noch einiger Zwischenschritte bedarf, um von den Aposteln zu unseren heutigen Amtsträgern zu kommen, ist das ein schwaches Argument, wenn ich an die Apostelin und Auferstehungszeugin Maria Magdalena denke. Papst Franziskus geht da, wie ich finde, interessante Wege. Er setzt auf die Wirkung von Wort und Bild, um Frauen in kirchlichen Leitungsfunktionen sichtbarer zu machen. Ich erkenne diese Methode auch in einigen deutschen Bistümern: Immer mehr Frauen werden in hohe kirchlichen Verwaltungs- und Entscheidungspositionen berufen. Irgendwann wird es selbstverständlich und normal sein, dass Frauen dort präsent sind. So ähnlich stelle ich es mir auch für die liturgischen Dienste vor. Aber das braucht noch Einübung.
Frage: Aber es geht doch um mehr, es geht um die sakramentale Weihe...
Rahner: Ja. Interessant ist das gute theologische Argument, dass alles amtliche Handeln der Kirche auch ihrer sakramentalen Gestalt entsprechen muss. Und wenn wir ein entsprechendes Handeln der Frauen in der Kirche haben, dann müsste die sakramentale Weihe eigentlich notwendige Konsequenz daraus sein. Frauen übernehmen in den Gemeinden vielfältige pastorale Aufgaben. Übrigens gilt das auch für Pastoralreferenten und Gemeindereferenten. Auch diese Berufungen wären eigentlich ein Weiheamt, wenn man es ernst nimmt.
Frage: Woran machen Sie das Weiheamt fest?
Rahner: Eine Weihe bedeutet, sakramental ein Handeln zu legitimieren, das im Auftrag der Kirche und in persona Christi, also im Namen Christi stattfindet. Was soll denn sonst eine Weihe sein? Wozu werden Priester zu Priestern geweiht? Doch nicht weil sie ein zusätzliches Gnadenpäckchen bekommen! Durch die Weihe werden Menschen weder zu besseren Christen, noch haben sie mehr Gnaden, sondern sie werden in Dienst genommen und ihnen werden die Verheißungen des Heiligen Geistes zugesagt für eine bestimmte Funktion, die dem Aufbau und Wirken der Kirche dient. Und diese pastoralen Funktionen bilden das Kerngeschäft von Kirche.
Frage: Frauen übernehmen das Kerngeschäft der Kirche historisch schon seit langem, nur ohne Weihe.
Rahner: Das ist die verrückte Situation im Augenblick: Die Kirche hält ihre eigenen Prinzipien nicht ein. Die katholische Kirche besteht – theologisch zu Recht – immer darauf, dass alles pastorale Handeln notwendig auch sakramental sei. Da stellt sich schon die Frage: Was ist das bei Frauen? Was kann das auf Dauer sein? Auf Dauer kann es nicht nicht sakramental sein, denn dann würden die katholische Kirche ihre gesamten ekklesiologischen und amtstheologischen Prinzipien auf den Kopf stellen. Daher müssen wir die Konsequenz daraus ziehen: Entweder Frauen gar nichts tun zu lassen oder das, was sie tun, endlich als das zu akzeptieren was es ist, nämlich sakramentales theologisches Kerngeschäft der katholischen Kirche. Und das heißt schlicht und ergreifend: Weihe! Erst dadurch wird deutlich, dass Frauen im Auftrag und als Abbild der Kirche handeln.
Frage: Es gibt doch geweihte Jungfrauen und geweihte Äbtissinnen...
Rahner: Ja, aber für manche konservative Kreise ist das eine "Weihe mit Anführungszeichen", also keine echte Weihe. Aber das ist Blödsinn! Eine Weihe wirkt durch das Gebet und durch die Anrufung des Heiligen Geistes. Wer geweiht ist, ist von Gott gesandt. Eine Äbtissin trägt zum Beispiel auch einen Ring und hält bei besonderen Anlässen den Hirtenstab in der Hand. Denn sie leitet eine Gemeinschaft und verkündet das Wort Gottes in der Predigt.
Frage: Ist sie damit in ihrer Funktion ähnlich wie ein Bischof?
Rahner: Ja, allerdings nur jurisdiktionell, nicht sakramental. Das ist der Unterschied. Aber es ist bedeutsam, was Karl Rahner schon in den 1970er Jahren über das Amt der Frau gesagt hat: Wenn wir die Funktionen für Frauen, die wir jetzt schon haben, präsent machen in den Köpfen der Menschen, dann können wir, wenn sich die Mentalität der Zeit ändert, schrittweise und ohne die Einheit der Kirche zu riskieren, den Rest machen.
Frage: Und warum können wir es nicht schon jetzt machen?
Rahner: Das war auch Rahners Frage: Was passiert, wenn wir es jetzt schon machen würden? Und so verstehe ich übrigens auch die Mahnung von Johannes Paul II. Die Frauenfrage hat Sprengpotential, und das muss man auch ernst nehmen. Man kann sie aber dadurch entschärfen, dass man sukzessive vorgeht, Frauen präsenter macht. Man muss außerdem den historischen Nachweis führen, dass auch die amtliche Struktur von Kirche nicht in Stein gemeißelt ist, sondern sich entwickelt und verändert hat und sich dabei stets auch von der Lebenswelt hat beeinflussen lassen. Dem liegt das gute Prinzip der Pastoralbriefe (der Erste und Zweite Timotheusbrief sowie der Titusbrief, Anm. d. Red) zugrunde: Damit das Wort Gottes nicht in Verruf gerate. So kann sakramentales Handeln im Namen der Kirche durch Frauen theologisch legitimiert und dadurch viel selbstverständlicher gemacht werden.
Frage: Was meinen Sie damit konkret?
Rahner: Man kann doch im ersten Schritt die Lösung des Zweiten Vatikanums anstreben und ein Modell angehen, dass dem Ständigen Diakonat für verheiratete Männer ähnelt. Die theologische Legitimität einer Veränderung der sakramentalen Struktur wird festgestellt und begründet. Dann können die Teilkirchen auf der Welt, die mitgehen wollen und dort, wo es kulturell geht, beispielsweise im ersten Schritt das Amt der Diakonin einführen. Es muss nicht überall sofort eingeführt werden; in den Kirchen Afrikas zum Beispiel ist bis heute nicht einmal der männliche Diakon verbreitet. Wichtig ist nur, dass wir endlich konkrete Schritte setzen und mutig voran gehen, damit die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht verloren geht. Und damit Frauen endlich zu ihrem Recht kommen.