Die helfenden Hände der Kirche
Dieses Bild kennt wohl jeder: Ob in der Gemeindebücherei an der Ausleihe, als Katechet in der Erstkommunionsvorbereitung oder von Klinke zu Klinke im Besuchsdienst: Die Ehrenamtlichen dort sind fast immer weiblich. "Ohne das Ehrenamt von Frauen würde ein Großteil der Kirchenarbeit gar nicht stattfinden", hat die Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), Maria Theresa Opladen, schon vor einigen Jahren gesagt. Brigitte Vielhaus, Leiterin der Abteilung Theologie und Kirche der kfd, kann das nur unterstreichen: "Nach wie vor ist es so, dass Frauen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement fundamental unverzichtbar sind."
Diesem Eindruck widerspricht scheinbar ein Blick auf das Ehrenamt in ganz Deutschland. "Statistisch gesehen sind Frauen weniger engagiert als Männer", meint Dorit Sing. Sie ist Professorin für Soziologie in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München (KSFH) in Benediktbeuern. Nach dem Freiwilligensurvey 2014 engagieren sich 43,6 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung ehrenamtlich, das sind 30,9 Millionen Menschen. Der Anteil der freiwillig Engagierten unter den Frauen liegt bei 41,5 Prozent, der Anteil der Engagierten unter den Männern bei 45,7 Prozent. Mitglieder der katholischen Kirche engagieren sich mit durchschnittlich 48,6 Prozent deutlich häufiger ehrenamtlich als die Gesamtbevölkerung, wie das Freiwilligensurvey 2014 zeigt.
"In den Bereichen Sport und Bewegung, Politik und beispielsweise Freiwillige Feuerwehr gibt es deutlich mehr männliche Ehrenamtler, im sozialen Bereich, wie etwa bei der Betreuung oder Pflege von Menschen außerhalb des eigenen Haushalts, dafür mehr weibliche", so Sing. Beim Engagement im kirchlichen Bereich lässt sich feststellen, dass der Anteil der engagierten Frauen mit insgesamt 9,4 Prozent deutlich über dem Anteil der in diesem Bereich engagierten Männer (5,8 Prozent) liegt.
Linktipp: Wo Ehrenamt die Kirchenschließung verhindert
Vor zehn Jahren stand St. Jakobus auf der Streichliste des Bistums. Die Gemeindemitglieder wollten das nicht akzeptieren und betreiben Kirche und Gemeinde seitdem ehrenamtlich - mit einem besonderen Schwerpunkt. (Artikel von Oktober 2016)Doch die Frauen holen auch deutschlandweit auf. "Menschen, die eine höhere Bildung haben und materiell besser gestellt sind, engagieren sich häufiger", so Sing. "Weil Frauen zunehmend höhere Bildungsabschlüsse haben, gibt es auch immer mehr Ehrenamtliche." In der Gruppe der 30- bis 49-Jährigen etwa hat laut dem Freiwilligensurvey das Engagement der Frauen so aufgeholt, dass es über dem der gleichaltrigen Männer liegt. Einen weiteren Zuwachs gebe es dadurch, dass immer mehr Frauen berufstätig sind, da sich Menschen mit Beruf häufiger engagieren als solche ohne. "Durch den Beruf bekommen sie neue Gelegenheiten, sich zu engagieren, wie zum Beispiel in Beiräten", erklärt Sing.
Warum setzen sich Frauen in ihrem Ehrenamt bevorzugt für andere ein? Zu den genauen Ursachen für diese Präferenz gebe es keine abschließende Forschung, meint Sing. "Aus meiner Sicht kann man das aber ganz gut mit der unterschiedlichen Sozialisation erklären." Mädchen würden – häufig unbewusst – zum Kümmern und Bemuttern erzogen, während man Jungen eher zu einer gewissen Distanziertheit und einer Leistungsorientierung anleite. In der Geschichte des Ehrenamts jedenfalls war diese Präferenz schon immer da.
Das klassische Ehrenamt ist ziemlich jung
Sich um Bedürftige zu kümmern – dieser Auftrag, abgeleitet aus dem Gebot der Nächstenliebe, ist wohl so alt wie die Bibel selbst. Der Begriff des Ehrenamts wurde jedoch erst Ende des 18. Jahrhunderts geprägt und hatte zunächst eine politische Dimension: Es bezeichnete die Beteiligung im Sinne von bürgerlichen Pflichten wie dem Amt eines kommunalen Bürgermeisters. Im 19. Jahrhundert entstanden im Zuge der Industrialisierung viele Sport-, Kultur- und Bildungsvereine. Zum Ende des 19. Jahrhunderts engagierten sich auch immer mehr Frauen – in dem Tätigkeitsfeld, in dem sie durch die gesellschaftliche Rollenverteilung sowieso schon zuhause waren: dem sozialen Bereich. "Frauen, die es sich leisten konnten, waren damals nicht berufstätig und engagierten sich auf diese Weise", erklärt Sing. "Das ist das klassische Ehrenamt mit altruistischer Prägung, das es auch heute noch gibt." Das Engagement der Frauen führte in vielen Fällen zu einer Professionalisierung: So entstanden etwa Ausbildungsstätten für Erziehungsberufe.
Heute engagierten sich im Bereich der Kirche besonders Menschen, die eher konservativ oder traditionell sind und auf Zugehörigkeit und Solidarität Wert legen, sowie die aus der bürgerlichen Mitte. "Die sind nämlich kirchennah", erklärt Sing. Sie kämen meist durch ihre Familie, die bereits in der Kirche aktiv ist, zum Ehrenamt. Ein weiterer Faktor seien biografische Brüche wie der Verlust eines geliebten Menschen. "Dann wollen sich die Betroffenen neu orientieren und suchen eine sinnvolle Möglichkeit, sich zu betätigen", so die Wissenschaftlerin. Das Ehrenamt verändert sich jedoch stetig, weil viele Menschen wegen ihrer Arbeitsstelle deutschlandweit umzögen. Ebenso nehme die Kirchenbindung generell ab. "Daher werden sich die Menschen zunehmend projektbezogen und kurzfristiger engagieren wollen."
In der Kirche engagieren sich Frauen jedoch nicht nur in der Katechese oder an der Kuchenausgabe beim Pfarrfest. "Diese geschlechtsspezifischen Tätigkeiten und somit oft auch Zuschreibungen gibt es noch, aber sie vermischen sich zunehmend mit anderen Aufgaben", meint kfd-Frau Vielhaus. Gerade bei den Pfarrgemeinderatswahlen in den letzten Jahren wird das deutlich: 2015 lag der durchschnittliche Anteil von gewählten Frauen beispielsweise im Bistum Limburg bei rund 61 Prozent. Im Bistum Fulda waren es bei der Wahl 2015 sogar rund 66 Prozent und im Erzbistum Berlin rund 62 Prozent.
Bei so vielen weiblichen Ehrenamtlichen wird vielerorts der Pfarrer zum Quotenmann. Aber nicht alle Frauen empfinden eine Diskrepanz zwischen der Bedeutung der eigenen Arbeit und der mehrheitlich durch Männer besetzten leitenden Stellen, meint Vielhaus: "Für manche Frauen hat das keine Relevanz, sie engagieren sich unbemerkt und still – und sie werden darin nicht gesehen." Die Frauen, die diesen Widerspruch sehr wohl sehen, ärgerten sich auch darüber. "Es ist einfach nicht gerecht. Es kann nicht sein, dass Frauen die Kirche tragen, aber wenn es um Mitbestimmung geht, deutlich zu wenig zu sagen haben", so die kfd-Abteilungsleiterin. Diesbezüglich sei zwar in der Deutschen Bischofskonferenz und in vielen Bistümern viel in Bewegung gekommen. "Es geht aber nicht nur um Anerkennung und Wertschätzung", meint sie. "Das würde auch gar nicht reichen. Sondern es geht darum, dass sich die wertschätzende Haltung auch deutlich in den kirchlichen Strukturen spiegelt."
30.03.2017, 11:37 Uhr: Artikel aktualisiert. In einer früheren Version waren zum Engagement in der Kirche falsche Zahlen genannt worden.