Bistum Görlitz: Wenige Gläubige, aber ganz viel Glauben
Wer sich in der aktuellen Jahresstatistik der Deutschen Bischofskonferenz das Kapitel "Eckdaten des kirchlichen Lebens in den Bistümern Deutschlands" durchliest, merkt schnell, dass das Bistum Görlitz gleich in mehrfacher Hinsicht eine besondere Diözese ist. Etwa bei der Zahl der Katholiken: Während das Erzbistum Köln und neun weitere Bistümer jeweils mehr als eine Million Gläubige umfassen, leben in Görlitz lediglich 29.671 Katholiken. Damit ist das an Oder und Neiße gelegene Bistum zahlenmäßig mit Abstand die kleinste Diözese der Bundesrepublik. Gleichzeitig jedoch sind die Görlitzer Gläubigen beim Gottesdienstbesuch mit einer Quote von 16,8 Prozent bundesweiter Spitzenreiter.
Wollte man es mit den Görlitzer Besonderheiten auf die Spitze treiben, könnte man zudem erwähnen, dass das Bistum eine der jüngsten Diözesen in der Bundesrepublik ist. Als Produkt der deutschen Wiedervereinigung wurde es – gemeinsam mit Erfurt und Magdeburg – erst im Juli 1994 errichtet. Während das Bistum Trier als älteste deutsche Diözese bereits auf eine rund 1.800-jährige Geschichte zurückblicken kann, umfasst die Görlitzer Bistumsgeschichte also gerade einmal 25 Jahre.
Nach der Reformation ging das katholische Leben fast vollständig unter
Trotzdem gab es natürlich auch schon vor 1994 katholisches Leben in Görlitz und der zum Bistum gehörenden Lausitz – lange Zeit jedoch nur in einem bescheidenen Rahmen. Das lag vor allem an der Reformation, in deren Folge das ohnehin überschaubare katholische Kirchenwesen in der Region beinahe vollständig unterging. Lediglich das Domstift Bautzen, die drei Klöster Marienstern, Marienthal und Neuzelle sowie einige Pfarreien in ihrer Umgebung blieben nach der Reformation katholisch.
Erst durch den Wiener Kongress kehrte die Region 1815 sichtbar auf die katholische Landkarte zurück. Weil Teile der Lausitz im Zuge des Kongresses an das Königreich Preußen fielen, wurde das Gebiet des heutigen Bistums dem östlich gelegenen Bistum Breslau angegliedert. Dadurch erlebte das katholische Leben in der Oder-Neiße-Region einen deutlichen Aufschwung. Vor allem die Bergbaugebiete in der Lausitz wurden durch zuwandernde Grubenarbeiter aus Oberschlesien geradezu katholisiert.
Rund 130 Jahre später kam es durch das Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch auch für das katholische Leben in der Region zu einem tiefen Einschnitt. Weil Oder und Neiße ab 1945 die neue deutsche Ostgrenze bildeten, wurde das westlich der beiden Flüsse gelegene Diözesangebiet mit Görlitz als Zentrum vom restlichen – nun in Polen gelegenen – Erzbistum Breslau abgetrennt. Da eine Wiedervereinigung des Erzbistums angesichts der politischen Entwicklungen unmöglich erschien, begann eine Gruppe um den ehemaligen Breslauer Kapitularvikar Ferdinand Piontek bereits kurz nach Kriegsende damit, eigene kirchliche Strukturen in Görlitz aufzubauen.
Aufbau eines lebensfähigen kirchlichen Jurisdiktionsbezirks
Zunächst wurde im September 1945 für die Region eine Zweigstelle des Breslauer Generalvikariats eingerichtet. Wichtigste Aufgabe dieser Einrichtung war es, Kontakt zu den Breslauer Priestern und Theologiestudenten zu halten, die durch Krieg, Flucht und Vertreibung in zahlreiche Diözesen im Westen zerstreut worden waren. Als nächster Schritt wurde im Mai 1946 die Verwaltung für das Görlitzer Diözesangebiet in Erzbischöfliches Amt Görlitz umbenannt. Dies geschah, um Konflikte mit den kirchlichen und staatlichen Behörden in Polen wegen der weiteren Verwendung der alten Siegel des Erzbistums Breslau unter deutschem Namen zu vermeiden.
In der Folgezeit arbeiteten Piontek und die neu aufgebaute Verwaltung in Görlitz daran, den deutschen Rest des Breslauer Erzbistums zu einem lebensfähigen kirchlichen Jurisdiktionsbezirk zu entwickeln. Sie ordneten die Seelsorgestrukturen neu und errichteten neue Pfarreien, um die infolge der Vertreibungen stark angewachsene katholische Bevölkerung zu betreuen. Darüber hinaus wurde 1948 das Priesterseminar Bernardinum in Neuzelle gegründet, um weiter eigene Seelsorger ausbilden zu können. Katechetenseminare in Görlitz und Cottbus sowie eine neue Verwaltung für die diözesane Caritas gehörten ebenfalls zu den Aufbauarbeiten der ersten Jahre.
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Sein schönster Erfolg als Görlitzer Bischof war bislang wohl die Neugründung des Zisterzienserklosters in Neuzelle. An diesem Sonntag hat Wolfgang Ipolt aber auch ganz persönlich Grund zum Feiern: Der Oberhirte wird 65 Jahre alt. Katholisch.de zeichnet seinen bisherigen Lebensweg nach. (Artikel von März 2019)Kirchenrechtliches Ergebnis dieser Entwicklung war 1972 die durch den Vatikan vollzogene Aufwertung der Görlitzer Region zu einem Bischöflichen Amt mit einem Apostolischen Administrator als oberstem Repräsentanten. Görlitz war damit zwar noch kein selbstständiges Bistum, erlangte jedoch deutlich mehr Eigenständigkeit. Erster Apostolischer Administrator in der Neißestadt wurde Bischof Bernhard Huhn – und er sollte auch der einzige Görlitzer Administrator sein. Denn Huhn blieb 22 Jahre an der Spitze des Bischöflichen Amts und führte die Region nach dem Fall der Berliner Mauer 1990 zur Wiedervereinigung und vier Jahre später zur Bistumsgründung.
Mit der Apostolischen Konstitution "Solet usque" erhob Papst Johannes Paul II. (1978-2005) das Bischöfliche Amt am 7. Juli 1994 zum eigenständigen Bistum. Zuvor war zwischen dem Heiligen Stuhl und den Bundesländern Brandenburg und Sachsen, auf deren Gebiet das Bistum Görlitz liegt, der durch das Reichskonkordat vorgesehene Vertrag zur Errichtung einer neuen Diözese geschlossen worden. In dem Vertrag ist unter anderem verzeichnet, dass Bischof und Kathedralkapitel ihren Sitz bei der Görlitzer Kathedrale St. Jakobus haben. Außerdem werden die zum Bistum zählenden Städte und Landkreise, die zuständige Kirchenprovinz Berlin und das Prozedere zur Besetzung des Bischofsstuhls aufgelistet.
Wachstum gegen den bundesweiten Trend
Erster Bischof von Görlitz war von 1994 bis 2006 Rudolf Müller. Ihm folgte 2007 Konrad Zdarsa, der jedoch nur drei Jahre später als Oberhirte nach Augsburg wechselte. Zdarsas Nachfolger wiederum wurde am 28. August 2011 Wolfgang Ipolt, der inzwischen im neunten Jahr an der Spitze der kleinen Diözese steht.
Das Bistum selbst – und das ist eine weitere Besonderheit – konnte zuletzt gegen den bundesweiten Trend einen Zuwachs bei der Zahl der Katholiken verzeichnen. Während manche Bistümer im vergangenen Jahr mehr als 2 Prozent ihrer Mitglieder verloren, wuchs Görlitz um 0,7 Prozent. Sind die Görlitzer also frommer als der Rest der Republik? Ja und nein. Vor allem, das zeigen die entsprechenden Statistiken, profitiert das Bistum von einem anhaltend starken Zuzug aus Polen. Bereits seit einigen Jahren lässt sich in der Grenzregion beobachten, dass immer mehr Polen ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegen – teilweise, weil sie hier eine besser bezahlte Arbeit finden. Teilweise aber auch, weil die Grundstücks- und Wohnungspreise auf der deutschen Seite von Oder und Neiße mancherorts günstiger sind als auf der polnischen Seite der beiden Grenzflüsse.
Diese Entwicklung macht sich natürlich auch in der religiösen Prägung der Region bemerkbar. Lebten im deutschen Grenzgebiet noch vor wenigen Jahren nur wenige Christen, wächst insbesondere die Zahl der Katholiken dank der neuen polnischen Mitbürger hier inzwischen rasant an. Beispielhaft dafür steht im Bistum Görlitz die Grenzstadt Guben. In der dortigen Pfarrgemeinde haben mittlerweile rund 50 Prozent der Katholiken polnische Wurzeln – Tendenz steigend.
Ein neues Kloster im "gottlosen" Brandenburg
Für das kleine Bistum Görlitz ist diese Entwicklung Chance und Herausforderung zugleich. Da unter den polnischen Zuwanderern viele junge Familien sind, wird das kirchliche Leben in der Region spürbar belebt und verjüngt. Gleichzeitig prallen in den Gemeinden aber auch Welten aufeinander. Denn obwohl deutsche und polnische Katholiken denselben Glauben teilen, gibt es im Alltag einige Hürden – etwa die Sprachbarriere und die unterschiedliche kirchliche Sozialisation –, die einer engeren Gemeinschaft im Weg stehen.
Bundesweite Aufmerksamkeit erregte die Diözese zuletzt zudem mit der Neugründung des Klosters in Neuzelle, dem wichtigsten Wallfahrtsort der Diözese. Nach rund 200 Jahre ließen sich in dem kleinen Ort an der deutsch-polnischen Grenze wieder Zisterziensermönche nieder. Während andernorts in Deutschland reihenweise Klöster geschlossen werden, startete damit – maßgeblich initiiert von Bischof Ipolt – ausgerechnet im "gottlosen" Brandenburg eines der wohl spannendsten Experimente in der jüngeren Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland. Auch dieses Projekt zeigt, dass das Bistum Görlitz tatsächlich eine besondere Diözese ist.