Bistum Speyer: "Bayerische" Diözese mit salischem Erbe
Was wäre eine Diözese ohne ihren Dom? Diese Frage hat im Bistum Speyer eine geradezu existenzielle Komponente. Denn ohne das Gotteshaus hätte es nach 1800 wohl kein Bistum Speyer mehr gegeben. "Das wesentliche Element der Kontinuität ist der Dom", urteilt deshalb auch Diözesanarchivar Thomas Fandel. Nach der Besetzung des alten Fürstbistums durch französische Revolutionstruppen war es aufgelöst und Mainz zugeschlagen worden. 1817 wurde es dann doch wiedererrichtet – allerdings erinnerte abgesehen von den mächtigen Mauern der Kathedrale kaum mehr etwas an vergangene Größe.
Jahrhundertelang hatte man sich in Speyer rühmen können, in direkter Verbindung zu den großen deutschen Herrschern des Mittelalters zu stehen – schließlich lagen sie im Dom begraben. Während es wohl schon in der römischen Siedlung "Nemetum" oder "Noviomagus" Christen gegeben hat und ein erster halb-legendärer Bischof Jesse bereits für das Jahr 346 überliefert ist, blieb das Bistum lange Zeit eher unbedeutend. Das ändert sich 1024, als Konrad II. den ostfränkischen Thron besteigt. Denn die Dynastie der Salier, die er begründete und die für die nächsten 100 Jahre die römisch-deutschen Könige und Kaiser stellten, stammte aus der Region um Speyer, dem Speyergau.
Konrad fasste den Plan, in Speyer das größte Gotteshaus des Abendlandes zu errichten. Schon kurz nach seinem Amtsantritt begannen die Bauarbeiten an einem Dom, der alles Bekannte in den Schatten stellen sollte. Heute ist er – nach der Zerstörung der Abteikirche von Cluny im Zuge der Französischen Revolution – das größte romanische Bauwerk der Welt. Das Gotteshaus diente nicht zuerst als Gemeindekirche, es war steingewordene Machtdemonstration der Salier, die sich in der Krypta bestatten ließen.
Während das genaue Datum des Baubeginns nicht bekannt ist, ist die Weihe überliefert: Sie erfolgte im Jahr 1061 im Beisein von Konrads Enkel Heinrich IV. Knapp 20 Jahre nach der Weihe ließ dieser die Kathedrale noch einmal höher bauen und erweitern, sodass sie erst 1106 wirklich fertig wurde. Denn Heinrich befand sich mitten im Investiturstreit mit dem Papst. Mit dem Dombau habe er beweisen wollen, dass er ein gottesfürchtiger Mann und keineswegs mit dem Teufel im Bunde sei, wie seine Gegner behaupteten, sagt Fandel. Der Speyerer Bischof, der in dieser Zeit gleichzeitig wichtiger Reichsfürst ist, hielt im Konflikt mit Rom zu Heinrich – und wurde dafür vom Kaiser reich belohnt, vom Papst jedoch mit lebenslangem Kirchenbann bestraft.
Ein Bistum für die Pfalz
1817 nun hatte man das einst so stolze Speyer auf ein Viertel seiner ehemaligen Ausdehnung zusammengeschrumpft: "Das alte Fürstbistum reichte bis vor die Tore Stuttgarts, der größere Teil lag rechtsrheinisch. Heute sind wir nur noch linksrheinisch und die Hälfte des Bistumsgebiet war vorher Teil anderer Bistümer. Das war schon ein großer Bruch", sagt Fandel. Aus Sicht derjenigen, die die Landkarte Europas nach den Befreiungskriegen neugestalteten, machte die Neuumschreibung Speyers jedoch Sinn: das Bistum sollte deckungsgleich mit den pfälzischen Gebieten sein, die als Ausgleich für das an Österreich abgegebene Salzburg an Bayern gefallen waren. Diese politische Vergangenheit ist dafür verantwortlich, warum Speyer bis heute der Metropolie Bambergs zugeordnet und Teil der Freisinger Bischofskonferenz ist, ohne Teil des Bundeslandes Bayern zu sein.
Anfangs beäugte man die neu hinzugekommene Region in München durchaus kritisch, durch die Nähe zu Frankreich unterstellte man den Speyerern von "fortschrittlichen französischen Ideen infiltriert" zu sein. In Bayern gab es in dieser Zeit ein Staatskirchentum und die Wittelsbacher regierten ganz entscheidend in die kirchlichen Verhältnisse hinein. "Jede bischöfliche Verlautbarung aus Speyer musste zuerst in München abgesegnet werden", sagt Fandel.
Solche Verhältnisse wirkten natürlich wenig attraktiv auf einen neuen Oberhirten. Doch die ersten Bischöfe, die aus Bayern nach Speyer versetzt wurden, wollten aus einem anderen Grund am liebsten gleich wieder fort: Die Stadt wies noch Jahre nach den Belagerungen durch Franzosen und Koalitionstruppen große Zerstörungen auf – der durch Revolutionäre geplünderte und profanierte Dom war mit großer Mühe vor dem Abriss bewahrt worden – und das Bistumsgebiet war wirtschaftlich am Ende. Erst ab 1837 kamen mit Johannes von Geissel und Nikolaus von Weis zwei Pfälzer hintereinander auf den Speyerer Bischofsstuhl, die sich während ihrer Amtszeiten sowohl für die Gläubigen als auch für ihre Kathedrale einsetzten.
Die Zugehörigkeit zu Bayern hatte dann aber doch einen positiven Effekt: Die Wittelsbacher setzten sich für die Sanierung des Domes ein. Die Motivation für die bayerische Begeisterung am Speyerer Dom vermutet Fandel darin, dass "Ludwig I. wollte, dass ein wenig salische Größe vom Kaiserdom auf sein Königreich abfärbt." Wer den Dom heute betritt wird von seinen schieren Ausmaßen überwältigt, die durch die Schlichtheit des Gotteshauses noch betont wird. Von der reichen mittelalterlichen Ausstattung der Kathedrale ist allerdings kaum etwas übriggeblieben. Dafür sind die zahlreichen Auseinandersetzungen mit Frankreich, nicht nur im Kontext der Französischen Revolution, verantwortlich. 100 Jahre bevor über Speyer die blau-weiß-rote Trikolore wehte, nahmen die Truppen König Ludwig XIV. die Stadt im Pfälzischen Erbfolgekrieg ein und steckten sie in Brand. Der Dom sollte verschont werden, fing aber ebenfalls Feuer und brannte vollständig aus. Die Katastrophe von 1689 setzte sich als Trauma tief im kollektiven Gedächtnis der Speyerer fest und wurde beispielsweise im Ersten Weltkrieg gegen Frankreich instrumentalisiert.
Wenn Frieden gelingt
Man mag es kaum für möglich halten, doch in Speyer gelang Aussöhnung nach so viel Krieg. Als Symbol dafür steht die Friedenskirche St. Bernhard in Speyer. "Sie wurde in den 1950er Jahren gemeinsam von deutschen und französischen Katholiken finanziert", sagt Fandel. "Die Bedeutung dieses Projekts zeigt sich daran, dass sowohl Bundeskanzler Konrad Adenauer als auch der ehemalige französische Ministerpräsident und Außenminister Robert Schumann an der Grundsteinlegung teilgenommen haben." Die Kirche sei Symbol der deutsch-französischen Freundschaft. Und diese Freundschaft hat in Speyer noch eine weitere Komponente: Der jeweilige Bischof ist auch Ehrendomherr an der Kathedrale von Chartres und sein bischöflicher Bruder aus Chartres ist Ehrendomherr am Dom von Speyer.
Neben den Beziehungen zu Frankreich, ist die Ökumene ein wichtiges Thema in Speyer. Das hat mit einer folgenreichen Protestnote zu tun, die vor Ort verfasst wurde: Beim Reichstag zu Speyer 1529 sollten die Beschlüsse des Reichstages von Worms drei Jahre zuvor, die den Landesherren relativ große religiöse Selbstbestimmung zugesichert hatten, revidiert werden. Die katholische Mehrheit der Reichsfürsten – unter ihnen auch der Bischof von Speyer – stimmte für die Aufhebung – die evangelische Minderheit protestierte. Die "Speyerer Protestation" brachte daraufhin allen Menschen, die dem Bekenntnis Luthers anhängen, den Namen Protestanten ein. Noch heute nennt sich die Evangelische Kirche der Pfalz "Protestantische Landeskirche".
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Archivar Fandel geht davon aus, dass die Stadt Speyer "spätestens ab 1540 lutherisch gewesen sein wird". Nur die Mitglieder des Reichskammergerichts – der höchsten juristischen Instanz des alten Reiches – und die des Domkapitels, sowie ihre Bediensteten waren noch katholisch. Nachdem die Bischöfe dem Protestantismus zunächst unentschlossen gegenüberstanden, begann unter Eberhard von Dienheim und seinen Nachfolgern die Gegenreformation. Die Jesuiten wurden ins Bistum geholt, sie kümmerten sich um die Bildung und Ausbildung neuer Gemeindepfarrer. Eine Initiative der Jesuiten war es, ein Gesangbuch herauszugeben – aber nicht auf Latein. Nach dem Vorbild des Konstanzer Gesangbuchs werden deutsche Kirchenlieder gesammelt oder lateinische Texte übersetzt, damit die einfachen Gläubigen stärker am Gottesdienst teilhaben konnten. In dieser Liedersammlung findet sich beispielsweise erstmals die Liedmelodie von "Es ist ein Ros' entsprungen".
Ökumene - ein Grund zum Feiern
Nachdem die Konfessionen sich lange feindselig gegenüberstanden, ist Speyer heute Vorreiter der Ökumene. "nach Jahrhunderten konfessioneller Auseinandersetzungen kennzeichnet ein besonderes Miteinander die Beziehungen der christlichen Kirchen in der Pfalz", sagt Fandel. In kaum einem Bistum gebe es so viele ökumenische Initiativen oder würde so viel in enger Absprache mit den anderen christlichen Gemeinschaften – nicht nur den Protestanten, sondern auch orthodoxen Christen oder Altkatholiken – getan. Sichtbar wurde das beim "Christfest 2000": Zwölf christliche Kirchen feierten gemeinsam das Heilige Jahr 2000. Rund 15.000 Christen hätten laut Fandel an den Feierlichkeiten rund um Pfingsten teilgenommen.
Wenn es im Bistum Speyer sonst große Ereignisse zu feiern gibt, wird der "Domnapf" mit Wein gefüllt und alle Speyerer dürfen daraus trinken. Bei dem "Napf" handelt es sich um ein großes Sandsteinbecken auf dem Platz vor dem Dom mit 1500 Litern Fassungsvermögen. Er steht genau auf der alten Grenze von weltlicher und bischöflicher Hoheit, hier suchten Angeklagte in der Vergangenheit kirchliches Asyl. "Seit Jahrhunderten ist der Domnapf aber vor allem Ort der Weinspende eines neu in die Stadt einziehenden Bischofs an die Bürger", sagt Fandel. 2006 bei der Seligsprechung des ersten Pfälzer Seligen, dem Gründer der Mallersdorfer Schwestern Paul Josef Nardini, wurde er gefüllt, ebenso 2008 bei der Einführung von Karl-Heinz Wiesemann als 96. Bischof von Speyer. Die jüngsten Anlässe waren die 950-Jahr-Feier der Domweihe 2011 und das 200-jährige Jubiläum der Neugründung des Bistums im Jahr 2017.
Wann der Domnapf das nächste Mal gefüllt wird, steht noch nicht fest. Doch das Bistum Speyer geht die Zukunft produktiv an. "Veränderung ist ein starkes Moment in der Kirchengeschichte", sagt Fandel. Wie in den anderen Diözesen sinken auch in Speyer die Kirchenmitgliedszahlen. Doch während andere die daraus folgenden Strukturdebatten noch vor sich haben, ist der "Gemeindepastoral 2015" genannte Prozess in Speyer mittlerweile abgeschlossen. "Wir hatten vorher 346 Pfarreien in 123 Pfarreiengemeinschaften. Aus diesen wurden 70 Pfarreien, das ist am 1. Januar 2016 in Kraft gesetzt worden. Man hat hier ganz bewusst mit der Strukturreform begonnen", sagt Fandel. So könne man sich in den neu-geschaffenen Einheiten nun auf die Ausarbeitung pastoraler Konzepte konzentrieren.