Serie: Unsere Bistümer

Bistum Erfurt: Diasporadiözese mit katholischer Herzkammer

Veröffentlicht am 31.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Erfurt ‐ Nach seiner Gründung im 8. Jahrhundert existierte das Bistum Erfurt zunächst nur 13 Jahre. Doch nach der Wiedervereinigung wurde die Diözese neu gegründet. Auch wenn Erfurt heute ein Diasporabistum ist, existiert vor allem im katholisch geprägten Eichsfeld ein vielfältiges Glaubensleben.

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Gäbe es unter den 27 deutschen Diözesen einen Wettbewerb um die schönste Kathedrale, das Bistum Erfurt hätte gute Chancen, den Spitzenplatz zu erreichen. Zwar können auch andere Bistümer mit beeindruckenden Bischofskirchen aufwarten, der majestätisch über der Erfurter Altstadt thronende Dom – vom Domplatz führen 70 Stufen zu dem Gotteshaus hinauf – bildet gemeinsam mit der direkt benachbarten Severikirche jedoch ein wohl einzigartiges architektonisches Ensemble.

Die Kathedrale mit ihrer berühmten Gloriosa-Glocke ist eng mit den Anfängen des Bistums im 8. Jahrhundert verbunden. Im Jahr 742 gründete der heilige Bonifatius "an dem Erphesfurt genannten Ort" erstmals ein Bistum, das die mitteldeutschen Siedlungsgebiete der Thüringer mit dem Thüringer Wald im Süden und dem Eichsfeld im Westen umfasste. Kurz danach wurde mit dem Bau einer ersten Kirche auf dem Domberg begonnen – und dieses Vorhaben wurde auch nicht aufgegeben, als die Diözese bereits nach 13 Jahren wieder aufgelöst und ihr Gebiet dem Bistum Mainz zugeschlagen wurde. Hauptgrund dafür war wohl der Tod des ersten Erfurter Bischofs Adalar, der kurz zuvor gemeinsam mit Bonifatius und weiteren Gefährten in Dokkum von heidnischen Friesen erschlagen worden war.

Martin Luther erlebte in Erfurt prägende Jahre

Auch wenn die Existenz des Bistums Erfurt also schon nach wenigen Jahren wieder beendet war – von der religiösen Landkarte verschwand Thüringen trotzdem nicht. Dafür sorgten unter anderem bedeutende kirchliche Persönlichkeiten wie der spätmittelalterliche Theologe Meister Eckhart, der 1294 Prior des Erfurter Dominikanerklosters wurde, sowie Anfang des 16. Jahrhunderts ein gewisser Martin Luther. Der 18-Jährige kam 1501 als Student nach Erfurt und erlebte hier ab 1505 prägende Jahre als Mönch im Augustinerkloster, bevor er nach Wittenberg übersiedelte und von dort aus die heute als Reformation bekannten Ereignisse auslöste.

Bonifatius war einer der bekanntesten Missionare. Seit der Reformation wird er von der katholischen Kirche als Apostel der Deutschen bezeichnet.
Bild: ©KNA

Bonifatius war einer der bekanntesten Missionare, der unter anderem das Bistum Erfurt gründete.

Aus diözesaner Perspektive verharrte das im Zuge der Reformation mehrheitlich protestantisch gewordene Thüringen aber auch danach noch in einem Dornröschenschlaf. Eine Wiedergründung des Bistums Erfurt war über mehrere Jahrhunderte hinweg kein Thema, stattdessen war die Region Teil anderer Diözesen. Nach dem Wiener Kongress wurden 1821 weite Teile Thüringens zunächst dem Bistum Paderborn zugeordnet, ehe die Region 1929 durch das Preußenkonkordat zu den Bistümern Fulda und Würzburg kam.

Die Bindung Thüringens an diese beiden Diözesen blieb auch nach 1945 bestehen – obwohl ab dieser Zeit mitten durch deren Gebiete der Eiserne Vorhang verlief. Der Ost-West-Konflikt führte dazu, dass es für die in Westdeutschland residierenden Bischöfe immer schwieriger wurde, ihre Gläubigen in der DDR zu erreichen. Deshalb erlangten die thüringischen Gebiete nach und nach mehr kirchliche Eigenständigkeit. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete das Jahr 1973, in dem der Vatikan in Erfurt (ebenso wie in Magdeburg, Schwerin und zuvor in Görlitz) ein Bischöfliches Amt mit einem Apostolischen Administrator an der Spitze einrichtete. Zwar blieb Thüringen damit offiziell Bestandteil seiner beiden westdeutschen "Mutterbistümer", der Grad der diözesanen Selbstverwaltung war jedoch deutlich gewachsen.

Bischof Joachim Wanke führte die Region in das wiedervereinigte Deutschland

Erster Administrator des Bischöfliches Amtes Erfurt-Meiningen – so der offizielle Name – wurde Hugo Aufderbeck, der zuvor bereits als Fuldaer Weihbischof und Generalvikar mit Sitz in Erfurt gedient hatte. Aufderbeck war ein Vordenker der Seelsorge in der DDR und ein engagierter Bischof, der nah bei den Menschen war. Sein Nachfolger wurde 1981 Joachim Wanke, der das kirchliche Leben in der Region mehr als 30 Jahre prägen sollte und das Bischöfliche Amt 1990 in das wiedervereinigte Deutschland führte.

Bild: ©katholisch.de

1994 wurden als Folge der deutschen Wiedervereinigung die Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg neu errichtet.

Das Ende der jahrzehntelangen Teilung Deutschlands eröffnete die Möglichkeit zur Neuordnung der deutschen Bistumslandschaft. Im Zuge dieses Prozesses war sehr bald klar, dass erneut ein eigenständiges Bistum Erfurt errichtet werden sollte. Dies geschah schließlich am 8. Juli 1994. An diesem Tag wurden in der Apostolischen Nuntiatur in Bonn durch den Austausch der Ratifizierungsurkunden zwischen dem Vatikan und den beteiligten Landesregierungen die drei ostdeutschen Diözesen Erfurt, Görlitz und Magdeburg errichtet. Für den damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, wurde damit "zweifellos ein Stück Kirchengeschichte" geschrieben.

Für den seit 2014 amtierenden Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr war die Errichtung eigenständiger Ostbistümer rückblickend "ein starkes Zeichen an die Katholiken in der ehemaligen DDR", wie er im Frühjahr 2019 in einem katholisch.de-Interview betonte. Damit hätten Staat und Kirche auch die Aufbauarbeit der ostdeutschen Katholiken wertgeschätzt, "die sie in den Jahrzehnten zuvor unter meist schwierigen Umständen für das katholische Leben in der DDR geleistet hatten".

Diasporabistum mit reichem Glaubensleben

Heute gehört das Bistum Erfurt mit seinen rund 146.000 Katholiken zur Gruppe der kleinen Diasporabistümer. Gleichwohl existiert hier ein reiches und aktives Glaubensleben. Davon zeugt nicht nur die weit über dem Bundesdurchschnitt liegende Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher (16,4 Prozent), sondern auch eine vielfältige Wallfahrtstradition. Die wichtigsten Wallfahrten des Bistums sind die Männerwallfahrt zur Wallfahrtskirche Klüschen Hagis, die Frauenwallfahrt zum Kerbschen Berg und die Bistumswallfahrt zum Domberg in Erfurt. Daneben existieren viele kleinere Wallfahrten – vor allem im Eichsfeld, der katholischen Herzkammer des Bistums.

Bild: ©katholisch.de/Riza Kilinc

Ulrich Neymeyr ist seit 2014 Bischof von Erfurt.

Das Glaubensleben bereichern zudem die drei Bistumspatrone. Neben Bonifatius, dem "Apostel der Deutschen" und ursprünglichen Gründer der Diözese, sind das die für ihre Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe bekannte Elisabeth von Thüringen und der heilige Kilian, der im 7. Jahrhundert im Auftrag des Papstes als Missionar nach Thüringen gekommen war.

Erfurt als Zentrum des Bistums spielt darüber hinaus als derzeit noch einziger ostdeutscher Standort einer Katholisch-Theologischen Fakultät auch bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Theologie eine bedeutende Rolle. Die Fakultät, die 13 Lehrstühle umfasst und rund 200 Studierende zählt, hat eine lange Tradition. Die erste Erfurter Universität wurde 1392 gegründet und war damit nach Heidelberg und Köln die drittälteste Hochschule Deutschlands. Nach über 400 Jahren Lehrbetrieb wurde die Hochschule 1816 geschlossen, bevor sie 1994 als reine geistes- und sozialwissenschaftliche Universität neu gegründet wurde.

An der Geschichte des Bistums weiterbauen

Die Theologische Fakultät wurde bereits 1952 als Philosophisch-Theologisches Studium Erfurt neu errichtet und befand sich in kirchlicher Trägerschaft, bevor sie 2003 in die Universität eingegliedert wurde. Die Fakultät wurde zur Ausbildung katholischer Priester in der DDR gegründet und stand deshalb in engem Zusammenhang mit dem Erfurter Priesterseminar, in dem bis heute der Priesternachwuchs für Ostdeutschland gemeinsam ausgebildet wird.

Zuletzt hat das Bistum noch einmal stärker die Zukunft in den Blick genommen. Neben einer bereits seit neun Jahren laufenden Strukturreform, bei der bislang eigenständige Pfarreien zu größeren Einheiten zusammengeschlossen werden, haben in diesem Jahr zwei Pastoraltage stattgefunden. Unter dem Motto "Glaube bewegt! Du bewegst! Zeit, dass sich was dreht!" diskutierten rund 200 Teilnehmer in Erfurt und Heiligenstadt über die Frage, was das Bistum braucht, um attraktiv zu sein und zu bleiben. Erwachsen ist daraus unter der Überschrift "Achtsam weiterbauen" eine Debatte über die Kirchenentwicklung. Auf der Internetseite des Bistums heißt es dazu: "Die Geschichte im Bistum Erfurt und was hier gewachsen ist, soll nicht eingerissen, sondern daran weitergebaut werden." Dem heiligen Bonifatius hätte dieser Anspruch sicher gut gefallen.

Von Steffen Zimmermann

Hinweis

Mehr Informationen finden Sie auf der Homepage der Diözese.