Serie: Unsere Bistümer

Erzbistum Paderborn: Ewiger Liebesbund, barocke Blüte und Ökumene

Veröffentlicht am 07.12.2019 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Geschichte des (Erz-)Bistums Paderborn ist geprägt von ambitionierten Bauherren, katholischen Reformern und Ökumenevordenkern im Bischofsgewand. Doch entscheidend für sein Selbstverständnis ist bis heute die besondere Verbindung nach Frankreich, die jedes Jahr groß gefeiert wird.

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Im Jahr 1647 ist die Diözese Paderborn am Ende: das Bistumsgebiet mehrfach von Söldnerheeren verschiedener Konfession heimgesucht, allein die Bischofsstadt 16 Mal belagert oder erobert, die Landbevölkerung ihrer Ernten beraubt. Und kaum ist der vom "tollen Christian" geraubte Bistumspatron wieder in seiner Heimstatt angelangt, da fallen auch schon die Blicke der protestantischen Fürsten von Hessen-Kassel auf das kleine Bistum. Als Kriegsbeute ist es immer noch attraktiv. In ihrer Not wenden sich die Paderborner Domherren an das Kapitel der französischen Stadt Le Mans. Man möge doch die Mutter des gerade neunjährigen Ludwig XIV. ersuchen, das Hochstift unter königlichen Schutz zu stellen. Sonst drohe der katholische Glaube an Pader und Weser endgültig unterzugehen.

Doch warum wendet man sich in Ostwestfalen ausgerechnet an das nordfranzösische Bistum? Das hat mit einer "ewigen Liebesbruderschaft" zu tun, die rund 800 Jahre zuvor begründet wird. Das Bistum Paderborn, gegründet 799 durch Karl den Großen und Papst Leo III., sollte Missionsbistum für die kurz zuvor unterworfenen Sachsen werden. "Nach einer äußeren Mission, bei der beispielsweise die Sakramente erstmals gespendet werden, war es wichtig, dass der christliche Glaube in der Kultur der missionierten Völker verankert wird", sagt Arnold Otto, der Leiter des Erzbistumsarchivs Paderborn. Dabei sollte die Wirkmacht von Reliquien frühchristlicher Heiliger helfen: Ihr Glaube sollte den Glauben der kürzlich Getauften stärken und ihre heiligen Überreste den Menschen vor Ort Identifikation sein. Deshalb habe man im Rahmen der Reliquientranslationen des 9. Jahrhunderts vielfach heilige Überreste aus dem christlichen Frankenreich an Orte überführt, an denen Kirchen entstehen sollen, sagt Otto.

Deutsch-Französische Freundschaft seit 836

Liborius, "je nach Forschungsmeinung der zweite oder vierte Bischof von Le Mans", erfährt schon bald nach seinem Tod Ende des vierten Jahrhunderts Verehrung als Heiliger. Auf Bitten des Paderborner Bischofs, der mit dem Manceller Bruder befreundet ist, gelangen die Reliquien 836 an die Quellen der Pader. "Um diese Translation ranken sich viele Legenden, wie die vom Pfau, der den Reliquienträgern den ganzen Weg vorausgeflogen und dann am Ziel tot zu Boden gestürzt sein soll", sagt Otto. Was sicher ist: Damit, "dass die Kirche von Le Mans der Kirche in Paderborn einen ihrer Heiligen anvertraut", beginnt die Geschichte einer "fraternitas caritatis perpetua", einer "ewigen Liebesbruderschaft", zwischen den Bistümern.

Ein goldener Schrein wird durch den Paderborner Dom getragen.
Bild: ©picture alliance / Rainer Hackenberg

Die Erhebung der Reliquien des Heiligen Liborius im Hohen Dom zu Paderborn. Zu Ehren seines Patrons feiert das Erzbistum jedes Jahr ein Fest.

Und dieser Bund beweist sich unter anderem in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Denn Paris lässt seinen Gesandten bei den Friedensverhandlungen in Münster tatsächlich mitteilen: Paderborn muss als eigenständiges Fürstbistum erhalten bleiben. Schließlich könne man es nicht verantworten, dass ein französischer Heiliger unter protestantische Herrschaft falle. Die Paderborner versichern ihren Fürsprechern in Le Mans "ewige Dankbarkeit". Die Verbundenheit der beiden Diözesen hält über Jahrhunderte bis in die Gegenwart – traditionell ist der Manceller Bischof Ehrengast beim Paderborner Patronatsfest Libori.

Nicht nur Reliquien, auch Mönche kommen damals aus dem Frankenreich an die Pader: Karls Sohn, Ludwig der Fromme, schickt 815 oder 816 Benediktiner aus Corbie an der Somme an die Weser. Sie begründen dort das Kloster "Nova Corbeia", besser bekannt als Corvey. Es soll den Glauben in der Region stärken, gleichzeitig strahlt es aber auch weit nach Norden aus. Der Mönch Ansgar aus Corvey bricht zu Missionsreisen nach Dänemark und Schweden auf und wird erster Bischof von Hamburg-Bremen. Doch nicht nur das. "Die Gründung von Corvey war der Versuch, diejenigen, die man kurz zuvor zunächst einmal nur unterworfen hatte, für die neue Staatsform zu gewinnen – eine Art Marshall-Plan des Frühmittelalters", formuliert es Otto. Der gemeinsame Glaube soll Sachsen und Franken einen.

Hirten eines "Bistums mittlerer Größe"

Wegen der im Mittelalter häufigen Stadtbrände bedarf nicht nur der Dom des Öfteren eines Neubaus. Von den vielen bischöflichen Bauherren hat aber wohl niemand das Stadtbild so nachhaltig geprägt wie Meinwerk (reg. 1009 bis 1036). Der Sohn aus sächsischem Hochadel bringt das Vermögen seiner Familie in das arme "Bistum mittlerer Größe" ein und beginnt ein ambitioniertes Bauprogramm. Sein neuer Dom brennt einige Jahre später erneut ab, doch bis heute stehen die Abdinghofkirche und das ehemalige Busdorfstift als steinerne Zeugen für sein Engagement. Im Schatten des Domes lässt er "per operarios graecos", also von griechischen Bauleuten die Bartholomäuskapelle bauen. Das unscheinbare Gotteshaus ist die erste Hallenkirche nördlich der Alpen und begeistert – dank der byzantinischen Hängekuppeln – Musiker und Sänger mit seiner hervorragenden Akustik. Vielfach liest man davon, das Meinwerk eigentlich vier Kirchen in Kreuzform um die Kathedrale herum errichten lassen wollte, doch laut Archivar Otto könne man das nicht eindeutig belegen.

Die nächste prägende Zeit für Paderborn ist die Epoche "von Fürstenberg bis Fürstenberg". Nachdem die Reformation 1527 auch das Hochstift erreicht hat, entstehen zeitweilig Mischformen in der Liturgie, Protestanten werden Domkapitulare und Heinrich von Sachsen-Lauenburg reitet 1577 als erwählter – aber nicht vom Papst bestätigter – Bischof demonstrativ zusammen mit seiner Ehefrau in Paderborn ein. Unter ihm wäre Paderborn vermutlich ein weltliches Fürstentum geworden, doch fällt er unglücklich vom Pferd – und verstirbt.

Es übernimmt Dietrich IV. von Fürstenberg, der nicht wie seine Vorgänger aus dem Reichsadel, sondern aus einer westfälischen Familie stammt. Unter ihm beginnt die Gegenreformation an der Pader. Dafür bedient er sich eines fast schon als "klassisch" geltenden Mittels: Er holt die Jesuiten nach Paderborn. Die "Soldaten Christi" sollen die katholische Reform im Hochstift einführen und mit der ersten Universität Westfalens und einem Knabenkolleg für Bildung sorgen.

Bild: ©KNA

Bis zur Säkularisation war das Kloster Corvey eines der geistlichen Zentren des alten Bistums.

Nach dem für das Bistum verheerenden Dreißigjährigen Krieg wird Dietrich Adolf von der Recke 1651 zum Oberhirten gewählt. Er wird der Nachwelt vor allem durch die barocke Umgestaltung des Domes in Erinnerung bleiben. Auf sein Geheiß brechen Steinmetze den mittelalterlichen Lettner zugunsten eines geradezu bühnenhaften Hochaltares ab. Das Domdach über dem Ostchor wird abgetragen, um eine Kuppel nach florentinischem Vorbild zu errichten. Ganz im Geiste der Jesuiten soll der Kirchenraum der Dramaturgie der Liturgie dienen – und damit die Geheimnisse des Glaubens einem "Publikum" wirkmächtig vermitteln können. Dietrich Adolf begründet mit der Schule der Augustiner Chorfrauen aber auch die Mädchenbildung als weiteren Pfeiler der katholischen Reform.

Mit dem zweiten Fürstenberger, Ferdinand II., besteigt ein hochgebildeter Intellektueller den Paderborner Bischofsstuhl. Als Jesuitenschüler hat er das "hohe Niveau der Ausbildung, das nach der katholischen Reform erreicht wurde, reichlich ausgekostet". Während seines Pontifikats versucht er die noch immer großen Schäden des langen Krieges in seinem Sprengel zu beseitigen und das Bistum gleichzeitig aus den Konflikten seiner Zeit herauszuhalten – was ihm nicht immer gelingen sollte. Daneben schreibt er Gedichte, gibt eine Chronik der Bistumsgeschichte heraus und fördert mit der "Missio Ferdinanda" die Mission der Kapuziner und Jesuiten in protestantisch gewordenen Teilen Westfalens aber auch im europäischen Norden sowie in China und Japan.

18. Jahrhundert – Pause nach dem Feuerwerk

Was passiert nach der barocken Blüte? "Man hat tatsächlich das Gefühl, dass dieses Bistum nachdem ein großes Feuerwerk der katholischen Reform abgebrannt wurde, erst einmal verschnaufen muss", sagt Otto. Tatsächlich knallen lässt es Rokokofürstbischof Clemens August von Bayern, und zwar zum Liboriusjubiläum 1736. Doch das prächtige Feuerwerk im Rahmen der – quellentechnisch hervorragend dokumentierten – Feierlichkeiten sei doch nur Rückbezug auf vergangenen Glanz, urteilt der Archivar. "Die großen Impulse, wie sie Paderborn von Dietrich bis Ferdinand aussendet, werden weniger."

Ende des 18. Jahrhunderts werden die großen Männerklöster des Bistums aufgehoben, die alte Reichsabtei Corvey säkularisiert sich selbst und wird zunächst eigenständige Diözese. Mit der Neuumschreibung der Bistumsgrenzen 1821 fällt es trotzdem an Paderborn, das durch Eingliederung von Teilen des Apostolischen Vikariats des Nordens zu einer der flächenmäßig größten deutschen Diözesen geworden ist. 1930 wird Paderborn zum Erzbistum erhoben und steht fortan der Mitteldeutschen Kirchenprovinz zunächst mit den Suffraganen Fulda und Hildesheim vor. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands werden es dann Fulda, Erfurt und Magdeburg.

Mitten im Zweiten Weltkrieg wird Lorenz Jaeger 1941 zweiter Erzbischof Paderborns – ein Mann, dessen Beurteilung zwiespältig ausfällt. Denn der Militärpfarrer wurde einerseits wohl ausgesucht, weil man ihn "den Nationalsozialisten als einen vorstellen konnte, mit dem man reden kann", sagt Otto. Als Bischof zeigt Jaeger in seinen Predigten während des Krieges eine sprachliche Nähe zur Terminologie des NS-Regimes. Dann gibt es andererseits aber noch den "Jaeger der Ökumene": Selbst Kind mit gemischtkonfessionellen Eltern, ist er für den Dialog zwischen Katholiken und Protestanten sensibilisiert. So setzt er sich schon während des Krieges – unter anderem mit Karl Rahner und Romano Guardini – für die Ökumenische Bewegung ein und vertritt diesen Standpunkt auch während des Zweiten Vatikanischen Konzils. Auf seine Initiative geht die Gründung des renommierten Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik zurück. 1965 erhält er deshalb die Kardinalswürde.

Hans-Josef Becker ist Erzbischof des Erzbistums Paderborn.
Bild: ©KNA

Seit 2002 ist Hans-Josef Becker Erzbischof von Paderborn.

Am 21. Juni 1996 wiederholt sich für viele Paderborner Historisches: Ein Papst kommt in die Stadt. Johannes Paul II. besucht den Dom an den Quellen der Pader und feiert später mit Tausenden Gläubigen auf dem Truppenübungsplatz in der Senne einen großen Open-Air-Gottesdienst. 1999 begeht das Erzbistum sein 1200-jähriges Bestehen. Diese großen Ereignisse werden unter der Ägide von Johannes Joachim Degenhardt organisiert, der 2001 – im Jahr seines 75. Geburtstages – überraschend zum Kardinal erhoben wird.

Wie in den anderen deutschen Diözesen muss auch das Erzbistum Paderborn im neuen Millennium auf sinkende Gläubigenzahlen reagieren. Im Rahmen des "Zukunftsbildes" erfolgt ab 2014 eine Umstrukturierung in Verwaltung und Seelsorge, die die Kirche zwischen Hagen und Höxter zukunftsfähig machen soll. Seit 2002 ist der gebürtige Sauerländer Hans-Josef Becker Paderborner Oberhirte. Mit seinem Engagement für Bildung und Wertevermittlung steht der vierte Erzbischof von Paderborn als "Schulbischof" der Deutschen Bischofskonferenz heute ganz in der Tradition der Fürstbischöfe der Zeit "von Fürstenberg bis Fürstenberg".

Von Cornelius Stiegemann

Hinweis

Mehr Informationen finden Sie auf der Homepage der Erzdiözese.