Hamburger Marien-Dom: Die jüngste Kathedrale Deutschlands
Wer vor der Westfassade des Hamburger St.-Marien-Doms steht, erkennt die Ähnlichkeit zu seinem architektonischen Vorbild sofort: die hohe doppeltürmige Front mit der großen Rosette in der Mitte und seine neuromanische Bauweise erscheinen als moderne Kopie des St.-Petri-Doms im benachbarten Bremen. Kein Wunder, denn Hamburg und Bremen waren seit dem Frühmittelalter bis zur Reformation durch ein gemeinsames Doppel-Erzbistum miteinander verbunden, wobei der Sitz des jeweiligen Oberhirten in der Hansestadt an der Weser angesiedelt war.
Die heutige Bischofskirche blickt – verglichen mit anderen deutschen Kathedralen – auf eine relativ kurze Geschichte zurück. Von 1889 bis 1893 wurde das Gotteshaus nach Plänen des Paderborner Kirchenbaumeisters Arnold Güldenpfennig errichtet, der für viele Kirchengebäude im neuromanischen Stil verantwortlich zeichnete. Anlass für den Bau der Marienkirche war das rasante Wachstum der katholischen Gemeinde in der evangelisch geprägten Hansestadt. Die Industrialisierung und der florierende Handel zogen Arbeiter auch aus den traditionell katholischen Gebieten Deutschlands an. Zudem kamen viele katholische Glücksritter nach Hamburg, die von einem Leben in der Neuen Welt träumten, in die Hafenstadt kamen und dann doch nicht auswanderten.
Die Gottesdienste der wachsenden Gemeinde fanden teils in der einzigen katholischen Kirche St. Ansgar, auch "Kleiner Michael" genannt, statt, teils in der Kapelle eines katholischen Waisenhauses, das von Ordensschwestern betrieben wurde. Da die kleine Kapelle nur etwa 100 Plätze fasste, herrschte im Gebäude großes Gedränge: Die Menschen saßen und standen nicht nur im Gebetsraum, sondern auch im Treppenhaus und verfolgten die heilige Messe sogar vom Dachboden aus durch eine eigens eingebaute Luke in der Decke. Es war klar: Eine neue Kirche musste her.
Mehrfach wandten sich die Katholiken an den Hamburger Senat mit der Bitte, er möge ihnen – wie allen anderen Konfessionen auch – ein Baugrundstück kostenlos zur Verfügung stellen. Doch die Gesuche wurden stets abgelehnt, weil man ein Erstarken der katholischen Kirche in Hamburg fürchtete und womöglich die Neugründung des Erzbistums Hamburg verhindern wollte. Schließlich wurde beschlossen, dass die neue Kirche mangels Alternativen in einem Hinterhof im Hamburger Stadtteil Sankt Georg gebaut werden sollte, auf dem Gebiet des Waisenhauses. Umgeben von Häusern waren Fertigstellung des Gebäudes nur die Kirchtürme zu sehen.
Heute würde man sagen, die Finanzierung des Kirchenbaus wurde durch ein Crowdfunding-Projekt gestemmt. Besonders der katholische Reichstagsabgeordnete Ludwig Windthorst von der Zentrumspartei setzte sich für diese Idee ein. Mit folgenden Worten im pathetischen Stil der damaligen Zeit unterstützte Windthorst das Ansinnen der Hamburger Katholiken: "Hamburg ist das Tor Deutschlands zur Welt. Die Deutschen, welche in die Welt hinausgehen, hier sprechen sie das letzte Gebet auf deutschem Boden. Es muss ein Tempel gebaut werden katholischen Glaubens, der allen Nationen imponiert. Die Kirche muss Marienkirche heißen – stella maris."
Heute erinnert nur noch ein Volksfest an den "Alten Mariendom"
Die Marienkirche war gegen Ende des 19. Jahrhunderts der erste Neubau einer katholischen Kirche seit der Reformation in der evangelisch geprägten Hansestadt. Sie war damals neben der St.-Ansgar-Kirche die einzige katholische Kirche Hamburgs. Nach der Fertigstellung weihte der damalige Osnabrücker Bischof Bernhard Höting, in jener Zeit auch für die Katholiken Hamburgs zuständig, die Kirche. Bei der Weihe war das Gotteshaus aus Kostengründen noch nicht einmal von innen ausgemalt.
Die Katholiken damals verstanden den Bau der Kirche auch als ein Anknüpfen an die katholische Tradition Hamburgs in der Zeit des Mittelalters. Der Vorgängerbau, der sogenannte Alte Mariendom, stammte aus dem 13. Jahrhundert und ging auf eine Kirche aus dem Jahr 811 zurück. Als die Reformation in Hamburg Einzug hielt, verlor der Mariendom seinen Status als Konkathedrale des Erzbistums Bremen-Hamburg und wurde samt Domstift evangelisch. Die Kirche nahm jedoch eine Sonderstellung im Hamburg ein, da sie eine Enklave des lutherischen Bremer Erzbistums darstellte. Anfang des 19. Jahrhunderts fiel die Kirche an die Stadt Hamburg und wurde kurz darauf abgerissen. Nur noch der Name des Volksfests "Hamburger Dom" erinnert an den Alten Mariendom. Der Jahrmarkt fand seit dem 11. Jahrhundert in der Kirche statt und nun dreimal jährlich auf dem Heiligengeistfeld.
Zum Bischofssitz wurde der "neue" Mariendom im Dezember 1957 als der Osnabrücker Weihbischof Johannes von Rudloff, zuständig für die Diaspora-Katholiken in Norddeutschland, dort seinen ständigen Sitz nahm. Kathedrale ist die einstige Pfarrkirche erst seit 1995. In diesem Jahr errichtete Johannes Paul II. das Erzbistum Hamburg im Zuge der Neuordnung der Bistümer nach der deutschen Wiedervereinigung neu. Der Mariendom war als jüngste Kathedrale Deutschlands der offizielle Erzbischofssitz von erst drei Oberhirten: Ludwig Averkamp (1995-2002), Werner Thissen (2003-2014) und Stefan Heße (seit 2015).
Heute befindet sich der Mariendom nicht mehr in einem Hinterhof, sondern kann einen kleinen, aber repräsentativen Domplatz vorweisen – ein Zeichen für die selbstbewusste und sehr internationale Diaspora-Diözese. Die freie Fläche vor der Kathedrale ist eine Folge der Bombardierungen Hamburgs im Zweiten Weltkrieg, nach denen man beschloss, die Häuser vor der Westfassade nicht wiederaufzubauen. Der Dom selbst wurde während des Krieges zwar nicht vollständig zerstört, es wurden jedoch alle Fenster sowie Teile des Dachs und der Gewölbe beschädigt.
Besucher des Doms beeindruckt vor allem das großflächige Mosaik in der Apsis. Es stellt die Krönung Mariens dar und orientiert sich am berühmten Bildnis in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore. Eine weitere Besonderheit der Kathedrale ist in der Krypta zu finden: das einzige Kolumbarium in einer katholischen Bischofskirche in Deutschland. An dem 2012 eingerichteten Bestattungsort für Urnen können über 1.500 Verstorbene ihre letzte Ruhe finden.