Trierer Dom: Älteste Bischofskirche Deutschlands und ein Heiliger Rock
Die Entstehung des Trierer Doms hängt mit der großen Weltgeschichte zusammen. Denn dort, wo heute gebetet wird, residierte eins der römische Kaiser. In der Spätantike war Trier die größte Stadt nördlich der Alpen und einer der Kaisersitze im Römischen Reich, in der Kaiserstadt des Westens lebten damals 40.000 Menschen. Der Legende nach wurde aus der kaiserlichen Residenz nach der Konstantinischen Wende ein Gotteshaus für die Christen. Schließlich hatte Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin, kürzlich von einer Wallfahrt ins Heilige Land das Gewand Jesu, den Heiligen Rock, nach Trier gebracht.
Wie vieles aus dieser Zeit lässt sich auch diese Geschichte weder ganz be- noch widerlegen. Archäologische Funde legen aber tatsächlich nahe, dass der bis heute bestehende Kern des Trierer Doms tatsächlich auf kaiserlichem Gelände stand. Im 4. Jahrhundert entstand wegen der wohl immens wachsenden christlichen Gemeinde eine aus vier miteinander verbundenen Basiliken bestehende Kirchenanlage – damals das größte christliche Gebäude der Welt, vor den Kirchen Roms oder Jerusalems. "Es muss damals Massentaufen gegeben haben", vermutet Andrea Riesbeck, die Leiterin der Dominformation in Trier. "Sonst wären nicht so viele Kirchen nötig gewesen." Trier wurde der erste Bischofssitz auf deutschem Boden und ist es ohne Unterbrechung geblieben, die Stadt war zudem der Ausgangspunkt für die Verbreitung des Christentums in Deutschland.
Die Zeit der alten Römer wirkt im Trierer Dom bis heute nach – denn der Quadratbau aus römischer Zeit diente allen späteren Erweiterungen und Umbauten als Maß: So ist der Innenraum der Kirche bis heute nach römischen Maßeinheiten konstruiert. Zudem wurde schon bei der Erweiterung des Quadratbaus im 11. Jahrhunderts die besondere Anordnung der Säulen des römischen Ursprungs weitergeführt. Bis heute stehen die Pfeiler nicht in regelmäßigen Abständen voneinander entfernt, sondern stehen abwechselnd nah aneinander und dann wieder weiter voneinander weg.
Ein Relikt liegt heute vor dem Dom
Ein Relikt der alten Römer kann bis heute vor dem Dom besichtigt werden: Im ursprünglichen Bau standen vier Säulen. Als der Dom während der Unruhen der Völkerwanderungszeit ausbrannte, zerbrachen die Säulen und fielen um. 1614 fand man eine dieser Granitsäulen bei Bauarbeiten im Boden und legte sie vor den Dom – als "Domstein" liegt sie dort bis heute.
Ansonsten ist die Baugeschichte des Doms eher von Evolution statt Revolution geprägt. Dass der Dom zu einem Zeitpunkt mal völlig neu gestaltet wurde – wie es in vielen anderen Kirchen passierte – blieb in Trier aus. Über den Grund kann man heute nur spekulieren. Riesbeck hält es für möglich, dass sich aus Respekt für Helenas Haus und dem von ihr mitgebrachten Heiligen Rock sowie den Folterwerkzeugen Christi niemand traute, das Ursprungshaus abzureißen. Heute steht in diesem ursprünglichen Viereckbau die Altarinsel des Domes. Drumherum hat in den vergangenen 1.700 Jahren jede Generation künstlerisch ihre Spuren hinterlassen.
Mal wurden Teile des Domes in Kriegen zerstört, mal umgebaut oder neu angebaut, neue Ausstattungsstücke wurden angeschafft. Ein Blickfang ist bis heute der Westchor des Doms aus dem 11. Jahrhundert, der in seiner Gestaltung zahlreiche Formen der Porta Nigra aufnimmt, das alte römische Stadttor steht nur ein paar hundert Meter weiter. Zwischen 1664 und 1668 wurde der Westchor mit einem umfangreichen Bildprogramm aus Marmor und Stuck ausgestaltet, im Mittelpunkt steht die Krönung Marias. Darunter sind aufwendig mit Intarsien versehene Holzpaneele angebracht. Es handelt sich um die Rückwände des Chorgestühls der ehemaligen Karthause in Mainz. Als diese 1781 aufgehoben wurde, wandelte man die Rückwände zur Holzvertäfelung des Westchores um, die Sitze stehen bis heute im Altarraum des Doms. In den Nischen darüber stehen heute Figuren des 21. Jahrhunderts.
Kunst aus 1.700 Jahren
Im Kirchenraum finden sich noch Grabbögen aus der Zeit der Spätromanik im 12. Jahrhundert, außerdem stehen noch mit vielen Reliefs verzierte Reste des ehemaligen Lettners aus der gleichen Zeit im Dom. Die Kanzel aus dem Ende des 16. Jahrhunderts hat die Speisung der Hungernden zum Thema, Altäre aus der Renaissance und dem Barock ziehen die Blicke mit ihren je eigenen Bildprogrammen auf sich.
Zentrum der Aufmerksamkeit ist aber der – später als der Westchor erbaute – Ostchor, an den sich seit dem 18. Jahrhundert eine eigene, in Barockformen gehaltene, Kapelle für den Heiligen Rock anschließt. An den Treppen zu einer Wandaussparung, die den Blick auf die Reliquie frei gibt, sind als Referenz an die Geschichte der römische Kaiser Konstantin und seine Mutter Helena verewigt. Um die Aussparung wurde im Barock eine theatralisch anmutende Schaufassade aus Stuck und Marmor angebracht. Dazu passt, dass in Stein gehauene Engel um das Fenster einen marmornen Vorhang zur Seite ziehen. Hinter der Aussparung schwebt ein goldenes Kreuz, es ist direkt über der Glasvitrine angebracht, in der der Heilige Rock in einer Kiste fest verschlossen ruht.
Der Heilige Rock ist die Hauptreliquie des Doms. Nachgewiesen ist das angebliche Gewand Jesu seit 1196 in Trier, als es vom Westchor in den Ostchor verlagert wurde. Doch archäologische Funde geben Hinweise darauf, dass es bereits vorher eine Wallfahrt gegeben haben könnte: Auf Resten einer alten Chorschranke wurden eingeritzte Inschriften gefunden, eine Art frühes Graffiti: "Vivas in deo semper" (du mögest ewig in Gott leben), steht dort unter anderem. Es könnte sich um Fürbitten von Pilgern handeln, die zum Heiligen Rock pilgerten. 1512 wurde die Reliquie erstmals öffentlich gezeigt. In unregelmäßigen Abständen ist der Heilige Rock bei der nach ihm benannten Wallfahrt zu sehen, zuletzt wurde er 2012 ausgestellt. Dazwischen wird der Zustand der Reliquie hin und wieder überprüft, denn die Jahrhunderte haben an dem Textil ihre Spuren hinterlassen: Der Heilige Rock darf heute nur noch liegend aufbewahrt werden und ist gegenüber zu starker Feuchtigkeit und Trockenheit sehr sensibel.
Der Heilige Rock zeigt die Zeitgeschichte
Der Umgang mit der Reliquie zeigt auch immer ein bisschen Zeitgeschichte: Im 16. Jahrhundert schimpfte Martin Luther gegen die "Bescheißerei" in Trier. Im 19. Jahrhundert gab es dann sogar aus der katholischen Kirche Stimmen, die sich an der Verehrung der Tunika störten, weil durch die Wallfahrten die sowieso schon arme Landbevölkerung unnötig in Unkosten gestürzt würden. Das Leid der Moselwinzer in der Region veranlasste etwa zur gleichen Zeit den Trierer Karl Marx dazu, sich mit den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft auseinanderzusetzen – mit weitreichenden Folgen für die Weltgeschichte.
Bis heute ist der Dom an seinem Platz nicht allein: Neben ihm steht die Liebfrauenkirche, gemeinsam mit der Elisabethkirche in Marburg einer der ersten gotischen Bauten in Deutschland. Von den ursprünglich vier Basiliken an diesem Ort wurden zwei bereits früh zerstört, die Liebfrauenkirche dann gotisch neu gebaut. Die beiden Kirchen grenzen direkt aneinander und sind durch eine Tür verbunden, über der ein romanisches Tympanon aus dem 12. Jahrhundert thront. Zwischen ihnen hat es wohl schon immer eine Funktionsteilung gegeben. Heute ist Liebfrauen die Pfarrkirche, dort finden etwa Taufen und Beerdigungen statt. Der Dom steht dagegen ganz im Zeichen seiner Funktion als Bischofssitz und ist etwa der Ort von Priesterweihen. Umgeben werden beide Kirchen seit dem 10. Jahrhundert von einem Kreuzgang, der in seiner heutigen Form bis 1270 gebaut wurde.
Dass der "Neubau" aus dem 13. Jahrhundert stammt, zeigt die äußerst reiche historische Tradition des Trierer Doms. Umgeben von den zahlreichen römischen Relikten der Stadt lässt sich seine Baugeschichte direkt bis in die Anfänge des Christentums in Deutschland zurückverfolgen. Diese 1.700 Jahre ungebrochene Geschichte überwältigt auch Besucher des 21. Jahrhunderts noch, wiewohl sich vor allem manche römischen Spuren nur mit geübtem Auge erkennen lassen. Seit 1986 ist der Dom gemeinsam mit der Liebfrauenkirche und den römischen Bauten Weltkulturerbe der UNESCO. Er steht für eine lange Geschichte von Glauben und Menschen, der jede Zeit ihre ganz eigene Wendung gegeben hat. Ein Blick auf die neueste Kunst im Dom zeigt, dass diese Geschichte noch lange nicht zu Ende ist.