Mainzer Dom: Kaiserdom und Kathedrale für das "Zweite Rom"
"Der Dom gehört zu Mainz und Mainz gehört zum Dom" soll der beliebte Mainzer Kardinal Karl Lehmann einmal über die Kathedrale am Rhein gesagt haben. Und das zeigt sich auch im Stadtbild der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt: Beim Gang durch die Altstadt erscheint der Dom immer wieder in den Straßenschluchten. Die markanten tiefroten Sandsteintürme überragen die umliegenden Häuser, auch der Rosenmontagszug läuft am Gotteshaus vorbei. "Der Mainzer Dom ist nicht nur Mittelpunkt der Stadt, sondern auch ein Wahrzeichen von Mainz", sagt Domdekan Heinz Heckwolf.
Diese herausgehobene Position der Kathedrale kommt nicht von ungefähr: Jahrhundertelang hatte das Erzbistum Mainz eine enorme Bedeutung. Dem Mainzer Erzbischof unterstehen zeitweise 15 Diözesen, von Verden an der Aller im Norden über Würzburg und Augsburg bis Chur im Süden und von Straßburg im Westen bis Prag und Olmütz im Osten. Damit ist Mainz die größte Kirchenprovinz der lateinischen Christenheit. Der Mainzer Erzbischof gilt als eine Art päpstlicher Legat nördlich der Alpen und Reichserzkanzler von Germanien. Die römischen Könige werden in Frankfurt, das damals noch zu Mainz gehört, gewählt und dem Erzbischof ist es vorbehalten, den König zu salben.
Seine Vormachtstellung will Erzbischof Willigis (975-1011) mit einem repräsentativen Dom verdeutlichen. "Aus pastoralen Gründen hätte es den Dom nicht gebraucht", sagt Domdekan Heckwolf. "In der Mainzer Stadt gab es damals viele Stifts- und Pfarrkirchen. Die hätten für die damaligen Christen ausgereicht. Aber Willigis hatte eine andere Idee." Nämlich ein Gotteshaus für Königskrönungen und große Prozessionen.
"Zweites Rom" und "Heiliger Stuhl"
Vorbild für die Kathedrale ist dabei kein geringerer als der alte Petersdom in Rom. Entgegen der üblichen Kirchengestaltung der damaligen Zeit wird der Mainzer Hauptaltar deshalb nicht im Osten, sondern – so wie der Papstaltar – im Westen aufgestellt. Der Anspruch von Mainz als "Zweites Rom" solle dadurch und durch die gewaltigen Ausmaße unmissverständlich demonstriert werden. Bis heute ist diese Aufteilung im Dom beibehalten und auch den Ehrentitel "Heiliger Stuhl" führt das Bistum weiterhin.
Wann genau der Bau des ersten Doms beginnt, lässt sich heute nicht mehr sicher nachvollziehen. Die Vollendung seiner Bauidee erlebt Willigis selbst nicht mehr: Am Tag der geplanten Weihe (30. August 1009) oder bereits am Vortag beschädigt ein Brand den Dom schwer. Noch unter Willigis beginnt die Wiederherstellung, geweiht wird der wiederaufgebaute Dom 1036 schließlich durch Erzbischof Bardo.
Über Jahrhunderte hinweg gilt der Mainzer Dom als religiöses und politisches Zentrum des römisch-deutschen Reichs und ist deshalb auch Schauplatz zahlreicher wichtiger historischer Ereignisse im Mittelalter. Allein sieben Krönungen finden dort statt und unter Papst Leo IX. 1049 auch eine Synode.
Gebaut wird das Gotteshaus im Stil der Romanik. Dieser Stil wird im Laufe der Jahrhunderte beibehalten – sogar als er schon nicht mehr in Mode ist. Nach einem erneuten Dombrand 1081 fördert Kaiser Heinrich IV. den Wiederaufbau des Doms, nachdem er zuvor schon den Dom in Speyer hatte umbauen lassen. Aufgrund seines Wirkens zählt der Mainzer Dom neben den Kirchen in Worms und Speyer zu den drei rheinischen Kaiserdomen. In dieser Zeit entsteht auch die monumentale Ostgruppe mit einem großen Mittelturm und einer Ostapsis.
"Man meint, der Dom wäre aus einem Guss"
Bei einem Aufstand gegen Erzbischof Arnold 1159 stürmen die Bürger den Dom und verwüsten ihn erneut. Am 4. Juli 1239 weiht Erzbischof Siegfried III. dem Dom zu Ehren des heiligen Martinus. Damit ist das romanische Bauwerk in seiner bis heute erhaltenen Grundform und wesentlichen Gestaltung vollendet. Spätere gotische und barocke Ergänzungen fügen sich in dieses Bild ein. Wer heute die verschiedenen Baustile des Doms erkennen möchte, muss schon genauer hinschauen. "Das liegt am Können der Baumeister und Steinmetze", erklärt Domdekan Heckwolf. "Das ist so perfekt gemacht, dass man meint, der Dom wäre aus einem Guss."
Einen großen Einschnitt in der Geschichte des Bistums aber auch der Mainzer Doms bildet die Französische Revolution. Während der Belagerung durch die französischen Truppen 1793 geraten große Teile der Stadt in Brand, auch der Dom fängt Feuer. Vor allem der östliche Teil der Kathedrale nimmt großen Schaden, die Orgel brennt komplett ab. Nur die Gewölbe und Steindächer der Westgruppe halten stand. Nach dem endgültigen Zusammenbruch des Erzbistums Mainz weht ab 1798 die französische Trikolore auf dem Westturm, das Militär nutzt den beschädigten Dom als Lebensmittellager. Die Innenausstattung wird zum größten Teil verkauft oder vernichtet. Bis auf die Denkmäler und Altäre ist der Dom weitestgehend leergeräumt. Der französische Präfekt mit Sitz in Mainz plant sogar den Abriss des beschädigten Doms.
Nach zähen Verhandlungen gibt die französische Regierung den Dom schließlich jedoch wieder in kirchlichen Besitz zurück. Unter Bischof Joseph Ludwig Colmar (1802-1818) beginnen 1804 erste Wiederherstellungsarbeiten. Auf dem Rückzug nach der Leipziger Völkerschlacht dient das Gotteshaus 1813 den französischen Truppen als Lazarett. Rund 6.000 Soldaten sollen hier betreut worden sein. Erst ab November 1814 wird der Dom wieder für Gottesdienste genutzt.
Eine große Renovierung erfährt der Mainzer Dom unter Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler Ende des 19. Jahrhunderts. Unter anderem wird dabei der zentrale Ostturm abgetragen und im neoromanischen Stil wiederaufgebaut. "Das ist der Zustand, den es heute noch gibt", sagt Domdekan Heckwolf.
Bekannt für die kunstvollen Grabdenkmäler
Seit 2001 wird der Dom in Teilschritten erneut systematisch von außen und innen saniert. Dabei wird auch die Orgelanlage erneuert. Sie gehört zu einer der kompliziertesten ihrer Art in Europa und verteilt sich auf drei Teilwerke im Ostchor, im nördlichen Seitenschiff und später auch im Westchor.
Bekannt ist der Mainzer Dom für die Sammlung kunstvoller Grabdenkmäler aus unterschiedlichen Epochen der europäischen Kunstgeschichte. Sie gedenken Erzbischöfen, Mitgliedern des Domkapitels oder hochgestellten Laien. Die Bandbreite reicht von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert. Viele der Denkmäler, die heute im Dom an den Wänden hängen, lagen ursprünglich auf dem Boden. Seit 1925 werden alle Bischöfe in Grabnischen in der dafür neu geschaffenen Westkrypta beigesetzt – zuletzt 2018 Karl Kardinal Lehmann.
Die bewegte Geschichte vom imposanten Kaiserdom des bedeutenden Erzbistums bis zur Kathedrale der heutigen Mainzer Bischöfe lässt sich im Kleinen auch in den gotischen Maßwerkfenstern nachvollziehen. Dort sind stilisierte Porträtbilder oder Wappen aller Bischöfe seit der Gründung des Mainzer Doms angebracht: von Willigis bis Peter Kohlgraf.