Bonn ‐ In vielen katholischen Kirchen zeigen Abbildungen den Leidensweg Jesu. Die Gemälde oder Holzreliefs bilden den so genannten Kreuzweg. Dieser lädt dazu ein, den Leidensweg Jesu nachzuvollziehen.
Schon in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zogen Jerusalem-Pilger Jahr für Jahr am Gründonnerstag zum Ölberg. Dort gedachten sie mit Gebeten und Gesängen der Todesangst Jesu. Anschließend zogen sie zu der Stelle, an der er gefangen genommen wurde. Am Karfreitag gingen die Pilger den Leidensweg Jesu nach - vom früheren Amtssitz des römischen Statthalters Pilatus bis zum Hügel Golgota, der Kreuzigungsstätte. Lautes Weinen und Wehklagen begleiteten die Gebete der Gläubigen. Anschließend hielten sie bis zum Anbruch des Ostertages Totenwache.
Zur Zeit der Kreuzzüge zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert entstand in Jerusalem ein Weg mit verschiedenen Stationen, an denen Bilder aus der Passionsgeschichte künstlerisch dargestellt waren. Dieser Weg wurde Via Dolorosa genannt - übersetzt "schmerzhafter Weg". Das Ganze entsprach franziskanischem Denken. Denn der Heilige Franz von Assisi wollte "in allem den Fußspuren des gekreuzigten Jesus folgen". Und so waren es auch Franziskaner, die dafür sorgten, dass die Idee der Via Dolorosa immer weitere Kreise zog. Unter ihrer Anleitung entstanden auch in anderen christlichen Ländern Wege mit den Leidensstationen Jesu - die Kreuzwege.
Mit schwarzen Tüchern verhängte Fenster
Ein Beispiel für die franziskanische Passionsbetrachtung ist das Ölbergspiel der Franziskaner in Dietfurt im Altmühltal. An jedem Donnerstag in der Fastenzeit kommen Menschen aus der Umgebung in die Klosterkirche, um daran teilzunehmen. Die Fenster sind mit schwarzen Tüchern verhängt. Eingebettet in eine feierliche Andacht mit Predigt und Chorgesang wird in drei Szenen das Ringen Jesu mit sich selbst und mit Gott-Vater wegen seines bevorstehenden Leidens und Sterbens dargestellt.
Hinter einem Vorhang tut sich eine Bühne auf. Die Kulissen zeigen den Garten Getsemani am Ölberg mit der Stadt Jerusalem im Hintergrund. Auf beiden Seiten ruhen die schlafenden Apostel. In der Mitte kniet Jesus - eine bekleidete, bewegliche Figur aus Holz. In den "drei Fällen Jesu" lässt sich ein Kreuz auf ihn herab und ruht eine Weile auf ihm. Ein Christussänger und der Chor bringen dabei die Gedanken und Gefühle Jesu zum Ausdruck. Dann erhebt sich die Christusfigur wieder, und ein Engel, der von einem Dietfurter Kind gespielt wird, kommt mit einem Kelch und einem Kreuz in der Hand vom Himmel herab, um Jesus für sein kommendes Leiden und Sterben zu stärken.
Franziskaner waren es auch, die den Gedanken der Nachbildung des Leidens und Sterbens Jesu in andere christliche Länder brachten. Mit Hilfe von Bildstöcken entlang eines Kreuzweges waren Menschen, die nicht lesen konnten, in der Lage, sich das Geschehen am Gründonnerstag und Karfreitag in Jerusalem bildlich vorzustellen und den Leidensweg Jesu nachzuvollziehen. Oft führte der Weg auf eine Anhöhe mit einer Kirche oder Kapelle. Solche Hügel heißen bis heute "Kalvarienberg", abgeleitet vom lateinischen Wort calvaria (Schädel). Der Hügel Golgota wurde nämlich auch Schädelstätte genannt.
Meistens waren es sieben Stationen, angelehnt an die Stundengebetszeiten der Klöster. Im Volksmund hießen diese sieben Stationen Fußfälle, weil die Betenden an jeder Station niederknieten. Im 18. Jahrhundert verdoppelte sich die Zahl der Darstellungen durch den Einfluss der Franziskaner. Die Zahl 14 wurde schließlich im Jahr 1731 durch Papst Clemens XII. offiziell festgelegt. Er ließ im Kolosseum in Rom einen Kreuzweg mit 14 Stationen anlegen. Seit 1975 betet der Papst ihn dort Jahr für Jahr am Karfreitag. Mittlerweile haben viele Kreuzwege noch eine 15. Station. Sie weist auf die Auferstehung Jesu hin.
Kreuzwege zeigt auch die dunklen Seiten des Menschseins
Die Kreuzwegbilder zeigen nicht nur die Leidensgeschichte Jesu, sondern auch die dunklen Seiten des Menschseins, die Verstrickung in Schuld und Sünde. Doch sie bringen in Berührung mit jenem Gott, der Menschen auf ihrem Leidensweg begleitet und tröstet. Nicht zuletzt deshalb ist die 15. Station so wichtig. Der Weg des Leidens - und niemand im Leben bleibt davon verschont - führt nicht in den Abgrund, sondern in Gottes Nähe.
Seit vielen Jahrhunderten beten Menschen den Kreuzweg. Zweifler fragen, ob dies überhaupt noch zeitgemäß ist? Positive Antworten geben die vielen Initiativen, die sich kreativ mit dem Kreuzweg auseinandersetzen, etwa die Aktion "Ökumenischer Kreuzweg der Jugend". In vielen Bistümern gibt es ökumenische Kreuzwege für Erwachsene, etwa der Kreuzweg der Schöpfung im Bistum Hildesheim. Jahr für Jahr machen Christen dabei auf Orte aufmerksam, an denen Gottes Schöpfungswerk durch Menschen zerstört wird, etwa landwirtschaftliche Betriebe mit Massentierhaltung und-schlachtung.
Der Kreuzweg von Heinrich Nüttgens (1903) in der St.-Maximilian-Kirche Düsseldorf