"verließen die füchse die wärmenden höhlen"
Weihnachtsgedicht ohne Kitsch
Endlich mal ein Gedicht ohne Weihnachtskitsch: Kein Schnee, kein Christbaum oder andere Deko, keine künstlichen Lichter. Stattdessen steigen bei mir im Kopf Bilder von der Heiligabend-Szene auf, wie sie in der Bibel beschrieben wird: Stern(e) über Bethlehem, die Hirten eilen laut rufend zu dem Ort, wo Jesus geboren ist.
Und die Engel? Dieser Teil aus der Geburtsgeschichte im Lukasevangelium, den wir in Krippenspielen kitschig darstellen, taucht nicht auf. Oder doch? Lärmfeuer, ultraschallschnell. Das kommt der Darstellung der Engel im Alten Testament schon näher. Die Seraphim werden mit ihren sechs Flügeln und den Heilig-Rufen jedenfalls ziemlich Lärm gemacht haben. "Die Türschwellen bebten bei ihrem lauten Ruf und der Tempel füllte sich mit Rauch", heißt es bei Jesaja 6,4 – zu pausbackigen Putten ist es da noch weit.
In den letzten beiden Strophen geht es immer noch um diese eine Nacht und den Weg dahin. Sie klingen für mich sehr nach Advent, nach dem Löwen, der Stroh frisst wie das Rind, nach Wolf und Lamm, die zusammen weiden (Jes 65,25) und nach Maria, die durch den Dornwald geht. Außerdem höre ich Jesus heraus: Bei Matthäus 8,20 sagt er: "Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann." Und nun, in dieser Heiligen Nacht, verlassen die Füchse ihre wärmenden Höhlen – und Jesus? Wer die Weihnachtsgeschichte nach Lukas kennt, weiß: Er ward geboren und seine Mutter Maria wärmt ihn, indem sie ihn in Windeln wickelt.
Aber auch Jesus wird in dem kurzen Gedicht nicht genannt. Die Autorin Dorothee Sölle (1929 - 2003) kennt als evangelische Theologin und Literaturwissenschaftlerin die Bibel sehr gut – und all die Stellen, die im Advent mit Blick auf Weihnachten gelesen werden. Für mich ist es ein Gedicht, dass schnell gelesen ist, über das man aber stundenlang nachdenken kann – am besten mit einer Bibel zur Hand.