Mit 24 Gedichten durch den Advent

"Nacht lichter als der Tag"

Veröffentlicht am 22.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Dossier: Adventskalender

Bonn ‐ "Über die Geburt Jesu" von Andreas Gryphius wirkt minimalistisch. Nur der Gegensatz Licht-Nacht bestimmt die Zeilen. Für Thomas Jansen bringt aber genau das die Botschaft von Weihnachten auf den Punkt.

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"Über die Geburt Jesu" von Andreas Gryphius

Nacht mehr denn lichte Nacht! Nacht lichter als der Tag,
Nacht heller als die Sonn' in der das Licht geboren,
Das Gott, der Licht, in Licht wohnhaftig, ihm erkoren:
O Nacht, die alle Nächt' und Tage trotzen mag.

O freudenreiche Nacht, in welcher Ach und Klag,
Und Finsternis und was sich auf die Welt verschworen
Und Furcht und Höllen Angst und Schrecken ward verloren!
Der Himmel bricht; doch fällt nun mehr kein Donnerschlag.

Der Zeit und Nächte schuf ist diese Nacht ankommen
Und hat das Recht der Zeit, und Fleisch an sich genommen
Und unser Fleisch und Zeit der Ewigkeit vermacht.

Der Jammer trübe Nacht die schwarze Nacht der Sünden
Des Grabes Dunkelheit, muß durch die Nacht verschwinden.
Nacht, lichter als der Tag! Nacht, mehr denn lichte Nacht!

Bild: ©picture alliance/KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA BELLA

Licht in der Nacht.

Christus, das Licht der Welt

Andreas Gryphius (1616 bis 1664) firmiert als Barockdichter. Doch seine Sicht auf die Geburt Christi hat auf den ersten Blick gar nichts Barockes, im Gegenteil: Es wirkt geradezu minimalistisch. Gryphius verzichtet auf alle ausschmückenden erzählerischen Elemente wie Betlehem, Krippe und Windeln, nicht einmal das Jesuskind selbst kommen in seinem Gedicht vor. Stattdessen konzentriert er sich aufs Elementare: Licht und Nacht. Mit diesem metaphorischen Gegensatzpaar drückt der Dichter die theologische Botschaft von Weihnachten aus - im Versmaß des Alexandriners: Christus ist das Licht der Welt.

Die "Nacht", von der in dem Gedicht die Rede ist, ist die Nacht der Geburt Jesu, aber auch eine Metapher für die Dunkelheit der sündigen, unerlösten Welt. Diese Nacht wird "licht" durch die Geburt Jesu. So macht Gott das Unmögliche möglich: eine "Nacht lichter als der Tag". Der Tod ist besiegt: "Des Grabes Dunkelheit, muß durch die Nacht verschwinden".

Von Thomas Jansen