Der spirituelle Adventskalender in der Corona-Krise

Vielleicht gibt Corona im Advent Anlass zur Besinnung

Veröffentlicht am 02.12.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Brixen ‐ Die Corona-Krise zeigt auf dramatische Weise, wie gefährdet noch heute unser Leben sein kann. Für Martin M. Lintner gibt die Pandemie aber auch Anlass zur Entschleunigung – und das lade zur Besinnung im Advent ein.

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Es war ruhig, gespenstig ruhig. Ich schaute aus dem Gangfenster unseres Klosters in der Innsbrucker Innenstadt. Vom tiefblauen, wolkenlosen Himmel schien die Frühlingssonne wärmend auf die stille Straße, sie wirkte wie ausgestorben. Normalerweise war sie um diese Uhrzeit bereits belebt mit Fußgängern, Autos, Bussen, Straßenbahnen. Ich ging zurück in mein Zimmer und atmete erst mal tief durch. Wie wohl viele andere wusste ich an diesem Morgen im März, als der erste Lockdown ausgerufen worden war, nicht so recht, wie mir geschah. Hektische Wochen mit einem dichtgefüllten Terminkalender lagen hinter mir. Mit gemischten Gefühlen dachte ich an die Veranstaltungen in der nächsten Zeit, die jetzt der Reihe nach ausfallen würden. Irgendwie war ich aber auch froh, dass es jetzt erst mal etwas ruhiger werden wird. Zeit zum Nach- und Aufarbeiten. Nachdem ich eine Weile vor mich hin sinniert hatte, begann ich, mein Zimmer aufzuräumen.

Mittlerweile sind Sommer und Herbst vorüber; der Winter zieht ins Land. Die Corona-Krise hält uns weiter in Atem. Covid-19 konfrontiert uns auf dramatische Weise damit, wie gefährdet unser Leben ist, auch heute, trotz des medizinischen Fortschritts. Krisen sind Einschnitte, die schmerzen und uns die Orientierung nehmen. Sie können aber auch ein Anlass sein, in Situationen von Unsicherheit Geschwindigkeit rauszunehmen, innezuhalten, das Leben zu bedenken und zu ordnen.

Advent. Auch ohne Lockdown, zu dem uns die zweite Infektionswelle zwingt, will er eine Zeit der Entschleunigung und der Besinnung sein: Wohin steuert mein Leben? Was erwarte ich mir von ihm? Oder: Von wem hoffe ich, erwartet zu werden? Bei wem finde ich Ruhe? Nach wem sehnt sich mein Herz? Der Advent lädt ein, diese Fragen nicht aufzuschieben, sondern mich mitten im Alltag mit ihnen auseinanderzusetzen. Der Komiker Karl Valentin hat über den Advent einmal gesagt: "Wenn die stade Zeit vorbei is’, wird’s a wieda ruhiga." Vielleicht komme ich heuer nicht erst nach der stillsten Zeit im Jahr zur Ruhe.

Von Martin M. Lintner

Der Autor

Martin M. Lintner ist Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen (Südtirol). Er ist Mitglied des Servitenordens.