Der spirituelle Adventskalender in der Corona-Krise

Von nun an wird nichts mehr sein wie es war

Veröffentlicht am 13.12.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt am Main ‐ Allzu simple Heilsversprechen erscheinen gerade im Moment sehr verblichen, beobachtet Paul Platzbecker. Er erinnert an eine besondere Weihnachtsgeschichte und appelliert an ein Versprechen, das in dieser Situation wichtiger ist denn je.

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Ein Klassiker der Weihnachtsgeschichten, die von Paul auf den Bäumen vom unvergessenen Hanns-Dieter Hüsch. Nie fand ich sie eindringlicher als am Ende dieses Corona-Jahres! Es ist die Episode eines Ausbruchs aus einer Anstalt. Paul, der Irre, auf der Flucht – umherstreifend, ziellos – so verbringt er den Heiligen Abend in einem leeren fahrenden Güterwagen. Ver-rückt hat das Virus unser Leben – ein unfreiwilliger Ausbruch aus unseren Routinen, Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten.

Irgendwo in der Welt zwischen Brisbane und Stavanger befindet sich der Zug, egal, die Pan-demie ist überall. Der Güterwagen: Chiffre für den notgedrungenen Rückzug, ganz auf uns selbst sind wir geworfen – der Wagen ist Schutz und Gefängnis – für Paul wie für uns. In völliger Dunkelheit beschreibt Paul die inneren Wände des Wagens mit Kreide - um den Schlaf zu vergessen – schreibt er alles, was in ihm, ohne zu wissen was. Hilferufe und Wutausbrüche sind es bei ihm. Was würden wir in dieser Zeit auf die inneren Wände des Gehäuses kritzeln, aus dem wir nicht hinauskommen, solange wir mit ihm unterwegs sind? Was stünde auf unseren Schatten- und Nachtwänden? Von Angst, Ungewissheit, Schmerz, Einsamkeit und allem, was derzeit nicht lebbar ist, wäre die Rede.

Morgen, die Nacht ist zu Ende: Paul öffnet die Tür und es wird Licht. Doch was er nun lesen kann, ist etwas anderes. Auf den Wänden steht überall, hinter- und übereinander, so beschwört er: FÜRCHTET EUCH NICHT und wäre nicht mehr wegzuwischen gewesen. Zum Glück – ja, in diesem Jahr zum Glück – steht an den Wänden nicht: Alles wird gut! oder: Gott liebt dich und sorgt für dich. Die Heilsversprechen, seien sie religiös oder profan, erscheinen derzeit so verblichen wie Schrift auf der rostigen Wand eines Güterwagens. Ein neuer Text muss nach der Krise erst noch geschrieben werden. Derweil reicht die eine, seit dieser Nacht immer wiederkehrende Zusage. So bleibt die Ahnung einer Zeitenwende – Gott kommt auch in leeren fahrenden Güterwagen zur Welt.

Von Paul Platzbecker

Der Autor

Paul Platzbecker ist Theologe ist Leiter des Instituts für Lehrerfortbildung in Essen und arbeitet am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Katechetik der Ruhr-Universität Bochum