Adventlich leben: Auf Gott warten dürfen
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Der Advent ist eine Zeit der gespannten Erwartung. "Advent" heißt Ankunft. Wir sehnen uns nach etwas, das auf uns zu kommt, aber noch nicht da ist: die Heilige Nacht. Wie jedes Ereignis, auf das wir uns freuen, gewinnt sie an Gegenwart gerade dadurch, dass wir geduldig auf sie warten müssen. Wenn dann die weihnachtlichen Tage beginnen, feiern wir ein Fest, das historische Wurzeln hat: die Geburt des Jesus von Nazareth vor knapp 2000 Jahren. Auch damals, so die biblischen Texte, wurde der Erlöser sehnsuchtsvoll erwartet. Dann wurde er geboren, am Rande der damals bekannten Welt. Gott hat sich in die Geschichte, auf den Menschen eingelassen. Seitdem zeigt sich Geschichte, alles, was je geschehen ist und je geschehen wird, in einem anderen, verheißungsvollen Licht – auch das, was wir wie die Corona-Pandemie nicht wirklich verstehen können, was keinen Sinn zu haben scheint, was uns erschüttert und verletzt.
So ist die Erinnerung an das Licht der Weihnacht, den Stern, der unsere Dunkelheit erleuchtet, immer auch ein Vorausblick. Im Vergangenen blitzt Zukünftiges auf. In dem, der gekommen ist, zeigt sich der, der bei uns ankommen wird. Der christliche Gott ist ein adventlicher Gott. Seine Verheißung liegt vorne, in der Zukunft. Gott berührt uns, indem er Mensch wird, kommt uns nahe, ist ganz präsent und geht zugleich an uns vorbei, schreitet uns voraus und kommt aus seiner Zukunft wieder auf uns zu. Christinnen und Christen leben deshalb adventlich, auf die Ankunft Gottes hin orientiert. So ist unser Leben von einer ungeheuren Spannung gekennzeichnet. Der Heiland ist schon gekommen, und doch steht unser Heil noch aus. Leid, Krankheit und Trauer bestimmen weiterhin unser Leben. In jeder Geburt zeigt sich schon das Gesicht des Todes, im Holz der Krippe das Holz des Kreuzes. Daran wurden wir in diesem Jahr besonders erinnert.
Unsere Erwartung ist daher oft mühsam und voller Leid. Wir wollen sie immer wieder abkürzen oder ganz auf sie verzichten. Wir wollen die Erlösung vorwegnehmen und sie selbst verwirklichen – durch unsere menschlichen, allzu menschlichen Bestrebungen, durch den Willen zur Macht, den Drang zur Herrschaft, die Kontrolle über uns und die Welt. Doch gehört zum Menschsein das Warten: auf die rechte Zeit, auf das, was kein Mensch vorwegnehmen, machen oder planen kann, auf ein Licht von außen, das in uns leuchten kann und unsere Dunkelheit erhellt. Schmerzhaft mussten wir das Warten im Schatten der Corona-Pandemie wieder neu lernen.
Wie Gott sich in unsere Geschichte eingelassen hat, können wir uns auf seine Heilsgeschichte mit uns einlassen. Eigentlich müssen wir nicht auf ihn warten. Wir dürfen warten. Die Wochen des Advents sind selbst schon ein Geschenk, die Gabe des ankommenden, des zukünftigen, des heilenden Gottes.
Der Autor
Holger Zaborowski ist Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
Hinweis
Die Texte erscheinen in Kooperation mit dem kulturellem Diakonieprojekt "Denkbares".